MANNdat bei der Verdi-Veranstaltung zur Fernfahrergesundheit

von H.-Norbert Ulbrich

Der Beruf des Kraftfahrers ist ein typischer Männerberuf. 95% der Fernfahrer sind Männer. Neben den langen Arbeitszeiten und der Abwesenheit von Familie und Freunden zeigt sich als gravierendes, aber bisher wenig beachtetes Problem die fehlende Gesundheitsversorgung von Fernfahrern. Das soll sich ändern. Im Januar 2013 trafen sich Fachleute zum Thema Kraftfahrergesundheit bei der Gewerkschaft Verdi in Kassel. MANNdat war dabei.

Rund 95% der Fernfahrer sind Männer. Ihre Arbeit ist hart, anstrengend und schlecht bezahlt. Fernfahrer tragen eine hohe Verantwortung. Trotzdem ist ihr Ansehen in der Gesellschaft nicht wirklich hoch. Sie sind häufig die ganze Woche über auf Achse und leben nur wenige Stunden am Wochenende ihre sozialen Kontakte mit ihren Familien und Freunden.

Jetzt ist geplant, in Kassel das erste Fernfahrergesundheitszentrum in Deutschland zu errichten.

Auf Einladung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Nordhessen, Fachbereich Logistik, und der Akademie und Institut für Sozialforschung e.V., Verona, trafen sich die Experten im Januar 2013 in den Räumen von Verdi Nordhessen in Kassel. Auch MANNdat war auf Einladung dabei. Die Veranstalter baten MANNdat e.V. um Abgabe eines Statements zur Situation der Fernfahrer aus Männergesundheitssicht.

MANNdat e.V. war durch H.-Norbert Ulbrich vertreten. Außerdem waren auch Vertreter von Behörden wie dem Bundesamt für Güterverkehr, dem Regierungspräsidium Kassel und dem Regionalmanagement Nordhessen, der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehr sowie von Hochschulen, Autobahnbetreibern, Krankenkassen, dem VdK und dem Paritätischen Gesamtverband anwesend.

An zwei Tagen wurde die Problematik der Kraftfahrergesundheit aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert und nach einer Lösung gesucht, wie Fernfahrer unterstützt werden können. Geplant ist, ein Kraftfahrergesundheitszentrum am SVG-Rasthof „Lohfeldener Rüssel“ an der A7 bei Kassel zu errichten. Dabei werden Betreiber von den vertretenen Firmen und Organisationen, besonders von Logistikunternehmen und Krankenkassen, unterstützt. Einzelheiten werden von dem zu gründenden Verein „Zentrum für Kraftfahrer-Gesundheit Kassel (ZKK)“ geplant und umgesetzt.

Die Fachzeitschriften Fernfahrer und Trucker berichten von der Fachtagung.

Nachfolgend unser Statement zur Fachtagung:

Kraftfahrergesundheit ist Männergesundheit: Zum Nutzen geschlechtsspezifischer Gesundheitsversorgung

auf der Fachkonferenz Logistik und Gesundheit am 24. Januar 2013

von MANNdat e.V., vorgelegt von H.-Norbert Ulbrich

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat sich im Jahre 2009 in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, ein leistungsfähiges und innovatives Logistik- und Güterverkehrssystem in Deutschland zu verankern. [1, S. 7] Das bezog sich natürlich primär auf die Verkehrs- und Wirtschaftspolitik. Nichtsdestotrotz ist es selbstverständlich, dass in einer Gesellschaft, deren Verfassung auf den Menschenrechten basiert, auch die Arbeitsbedingungen für den einzelnen Mitarbeiter, hier den Berufskraftfahrer, als Qualitätskriterium gelten müssen. Unabhängig davon ist es längst bekannt, dass Motivation und ein guter Gesundheitszustand der Beschäftigten sowohl einen wichtigen betriebswirtschaftlichen als auch einen wichtigen volkswirtschaftlichen Faktor darstellt.

Zudem sind Güterverkehr und Logistik die Basis einer funktionierenden modernen Ökonomie. Handel und Gewerbe sind von zuverlässigen Transporten abhängig. Aber auch die Bürger bestellen immer öfter im Internet und erwarten kurze Zeit später bereits die Lieferung. Es verwundert deshalb nicht, dass über eine Dreiviertelmillion Menschen als Berufskraftfahrer tätig sind.

Umso verwunderlicher ist jedoch, dass der gesundheitlichen Situation dieser Menschen bislang so wenig Beachtung geschenkt wurde.

Dabei sind die Zahlen eindeutig. Berufskraftfahrer haben ein Vielfaches und im Vergleich zur sonstigen arbeitenden Bevölkerung signifikant erhöhtes Erkrankungs-, Verletzungs- und Sterblichkeitsrisiko. Sie weisen ein signifikant höheres Risiko für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als der Durchschnitt auf [1 S.16], werden häufiger krankgeschrieben und werden mindestens 1,4fach häufiger erwerbsunfähig. [2 S.50]. LKW- Fahrer haben wenig Bewegung während der Lenkzeiten und kommen oft nur zu einer unregelmäßigen Nahrungsaufnahme. In einer Studie der Hochschule Furtwangen gaben alle befragten Fahrer an, dass es nicht möglich sei, auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu achten. [1 S. 16] Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie eine um das Doppelte erhöhte Überrepräsentanz bei Adipositas [2 S.49] aufweisen.

Eine Ursache für diesen Gesundheitszustand der Berufskraftfahrer, gerade im Gütertransportgewerbe, sind die hohen spezifischen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind. Für Fernfahrer sind dabei die Belastungen am höchsten. Die wichtigsten sind:

1. Psychomentale Stressoren durch Zeitdruck, Wartezeiten in der Logistikkette und die Anforderung an eine erhöhte Aufmerksamkeit durch die immer stärkere Verkehrsdichte und ein schlechtes Berufsbild der Berufskraftfahrer in der Öffentlichkeit;

2. Psychosoziale Faktoren durch Isolation am Arbeitsplatz und in den Ruhepausen, Abwesenheit von der Familie und dem Bekannten- und Freundeskreis, verbunden mit unzulänglichen Rahmenbedingungen während der vorgeschriebenen Ruhezeiten auf Autobahnen;

3. Umweltfaktoren wie Autolärm, Hitze oder Abgase während der Schlafpausen auf Autobahnen und schließlich

4. Körperliche Belastungen durch Lastentransport und Bewegungsmangel während der Fahrtätigkeit.

In der schon erwähnten Studie der Hochschule Furtwangen gaben über 63% der befragten Berufskraftfahrer an, dass sie mehr als 50 Stunden in der Woche arbeiten. Noch ein Drittel aller Befragten gab an, mehr als 60 Stunden pro Woche zu arbeiten. [1 S.14] Wöchentliche Lenkzeiten von max. 56 Stunden sind zulässig. Hinzu kommt, dass Lenkzeiten nicht gleich Arbeitszeiten sind. Zu den Lenkzeiten sind noch Kommissionierungsarbeiten hinzuzurechnen. So wird schnell klar, dass nur ein kleiner Teil der befragten Lastkraftwagenfahrer sich mit einer 40-Stunden Woche identifizieren kann.

Leider schlägt sich die verantwortungsvolle Tätigkeit und deren hohe gesellschaftliche Bedeutung nicht in der Entlohnung des Berufes des Kraftfahrers nieder. Verdienste zwischen 1.500€ und 2.000€ sind üblich. Mehr als ein Viertel hat ein Einkommen von weniger als 1.500€ pro Monat. Legt man nun eine wöchentliche Arbeitszeit von 56 Stunden zu Grunde, so lässt sich ein durchschnittlicher Stundenlohn von 7,48€ berechnen. Der DGB fordert einen Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde. Ein Trucker verdient also 1 € weniger als diesen geforderten Mindestlohn, hat jedoch viel Verantwortung in seinem Job [1 S22 f.] und extrem hohe Arbeitszeiten. Im Vergleich dazu liegt das Gehalt einer Erzieherin, dessen geringe Höhe in der öffentlichen Diskussion immer als Beispiel schlechter Bezahlung herangezogen wird, bei 1.900 bis 3.000 Euro im Monat, abhängig von der Einkommensstufe, und ist damit um gut 50% besser als die Bezahlung der Berufskraftfahrer. [4]

Und damit sind wir bei der geschlechterspezifischen Betrachtung der Gesundheit von Fernfahrern. Nach geschlechterpolitischem Klischee sind schlecht bezahlte Berufe Frauenberufe. Danach müsste der Fernfahrerberuf aufgrund seiner schlechten Bezahlung ein reiner Frauenberuf sein. Die Realität sieht jedoch anders aus. Der Männeranteil an dem schlecht bezahlten Beruf des Kraftfahrers beträgt etwa 95%. Das entspricht dem Frauenanteil beim Erzieherberuf, der als Frauenberuf gilt. Geschlechterpolitisch werden Männer aber auch heute noch ausschließlich als hoch bezahlte Topmanager wahrgenommen. Der Beruf des Kraftfahrers und damit auch der Beruf des Fernfahrers zeigt, dass diese pauschale und undifferenzierte Sichtweise nicht gerechtfertigt ist. An dieser Sichtweise hat sich aber auch durch neue geschlechterpolitische Strategien, wie z.B. Gender Mainstreaming, das ja die Anliegen beider Geschlechter berücksichtigen soll, nichts geändert.

Deshalb fallen nicht nur, aber auch die Fernfahrer durch das sehr grobe Raster geschlechterspezifisch differenzierter Gesundheitsbetrachtung. Das ist fatal, denn der Männergesundheitspilotbericht aus dem Jahr 2010, der von der Stiftung Männergesundheit  und der deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. mit Unterstützung der DKV erstellt wurde, hat gezeigt, dass Präventionsangebote und medizinische Versorgung besser an die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen ausgerichtet sein müssen. Und gerade bei den präventiven Maßnahmen muss eine Verbesserung der Gesundheit von Fernfahrern ansetzen, wie verschiedene Studien zur Verbesserung der Gesundheit von Fernfahrern gezeigt haben. Deshalb wäre es fatal, die geschlechtsspezifische Komponente bei den Präventionsangeboten außer Betracht zu lassen.

Insbesondere bei psychischen Erkrankungen wird den geschlechterspezifischen Bedürfnissen von Männern dabei zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen. Die psychischen Belastungsfaktoren sind, wie wir schon gesehen haben, gerade bei Fernfahrern bedeutend. Nach der Furtwangen-Studie finden fast 50% der Berufskraftfahrer ihren Job „belastend“ oder sogar „sehr belastend“ [1 S.10].

Auf eine individuelle geschlechterspezifische Risikodisposition durch in der Sozialisation zu suchende Persönlichkeitsfaktoren deutet schon eine Studie von Michael Florian aus dem Jahr 1993 [3] hin über die ungewöhnlichen, häufig selbstgefährdenden Arbeitsleistungen von Fernfahrern als Begleiterscheinung einer mythosbehafteten Berufskultur, die in Analogien wie „Kapitäne der Landstraße“, „Asphaltcowboys“ oder „Highwayhelden“ zum Ausdruck kommt. Danach sei die betont männliche Berufsehre als Basis für die subjektive Bewältigung der hohen Arbeitsanforderungen im Straßengütertransport nur begrenzt nützlich für die tatsächliche Bewältigung der arbeitsbedingten Risiken. In wieweit dies heute noch, zwanzig Jahre danach, zutrifft, sei dahingestellt. Dies ernst zu nehmen, ist aber auch heute noch wichtig, wenn man ernsthaft den Gesundheitszustand von Fernfahrern verbessern will.

Aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für Fernfahrer sehr problematisch. „Die Tür ist zu, das Haus ist leer. Längst schon ist sie nicht mehr da.“ So singt es Gunter Gabriel in seinem bekannten Oldie über den Fernfahrer.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch ein Männerproblem. Und das gilt nicht nur für gut bezahlte Topmanager, sondern auch und gerade für Fernfahrer. Tatsächlich empfinden in der Furtwangen-Studie fast 50 Prozent der Berufskraftfahrer ihre freie Zeit mit Familie und Freunden als unzureichend. Auch hier haben wir das Problem, dass die Vereinbarkeitsproblematik heute noch fast ausschließlich als frauenspezifisches Thema wahrgenommen wird. Und die Politik zeigt dabei nur mit erschreckender Langsamkeit eine Bereitschaft zum Umdenken.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wer geschlechterspezifische Gesundheitspolitik ernst meint, muss parallel zur Frauengesundheitspolitik auch eine Männergesundheitspolitik etablieren. Welch wichtige Impulse eine geschlechterspezifische Gesundheitspolitik bringen kann, hat nicht zuletzt die Frauengesundheitspolitik gezeigt. Und wer Männergesundheit ernst nimmt, der muss auch Fernfahrergesundheit in den Blick nehmen. Eine Dreiviertel Million Menschen als Berufskraftfahrer, davon 95% Männer, können von einer geschlechterspezifischen Gesundheitspolitik nicht ignoriert oder marginalisiert werden.

Aus diesem Grunde ist Fernfahrergesundheit auch Männergesundheit. An dieser Tatsache darf nicht vorbeiideologisiert werden. Ein Gesundheitszentrum für Fernfahrer wäre deshalb nicht nur ein ergänzender Baustein, sondern ein Grundstein für Männergesundheit.

Quellen:

  1. Baier, J.: Studie „Trends im Straßengüterverkehr – Aktueller Status und Meinungen der Berufskraftfahrer in Deutschland“; Hochschule Furtwangen University; 2011
  2. Michaelis, M.: „Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung von Berufskraftfahrern; BAUA 2008
  3. Florian, M.: „Highway-Helden“ in Not. Arbeits- und Berufsrisiken von Fernfahrern zwischen Mythos und Realität. Berlin: Edition Sigma 1993
  4. http://www.yourfirm.de/erzieher-erzieherin-gehalt/ ; Abruf 20.12.2012

Bildquelle: (c) manndat.de

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