Schneeweißchen und das Rosenböckchen
Im MANNdat-Rundbrief 4/2010 berichteten wir über Frau Cornelia Funke, die sich über die reaktionären, patriarchalen und frauenfeindlichen Märchen beklagte, welche nicht mehr zeitgemäß seien. Eines der besonderen Dramen bestand für sie darin, dass die Helden immer wieder ins bürgerliche Leben zurück kehrten. Geradezu undenkbar! Insbesondere, wenn man die Zeit betrachtet, in der die Gebrüder Grimm die Märchen aufschrieben. Es war uns natürlich eine Freude, die Anregung aufzugreifen und die bösen Grimmschen Märchen auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen. Nach der Aktualisierung vom Rotkäppchen, dem Dornröschen und dem Tischlei-deck-dich – ganz getreu dem Gender Mainstreaming-Ansatz: Frauen und weibliche Helden vor – bringen wir nun heute die aktuelle Version vom Schneeweißchen und Rosenrot.
Schneeweißchen und das Rosenböckchen
Es war einmal eine alte Witwe, die lebte in einem Haus nahe am Wald des wahren Lebens. Mit ihr lebte ihre schöne Tochter und ein lila Ziegenböckchen, der ihnen zugelaufen war. Vermutlich floh er vor dem Knüppel aus dem Sack und erweckte das Mitleid der beiden Frauen, die es ihm weder zutrauten, im Wald des wahren Lebens den Tag zu überstehen, noch wollten, dass er im Gasthaus „Zur freien Marktwirtschaft“ auf der Speisekarte landete. Also boten sie ihm Unterschlupf, aber so richtig glücklich waren sie mit ihm nicht.
Das schöne Kind wurde von allen Schneeweißchen gerufen, weil es sich hingebungsvoll um den Garten kümmerte und besonders den weißen Steuerrosen stets aufs Neue zu strahlender Schönheit verhalf. Das Ziegenböckchen hingegen machte nichts weiter als die saftigen Blätter der Steuerrosen zu rupfen, bis dass diese so kahl als möglich waren, und als Dank dafür strengte es sich noch nicht einmal an, um gezielt die Weide der Wissenschaft zu düngen. Stattdessen ließ es überall seine braunen Häufchen fallen, einzig mit dem Ziel, dass dieser Dreck möglichst vielen Leuten an den Schuhen kleben bleiben sollte. Da ihn aber niemand ernst nehmen konnte, wurde er von allen nur das Rosenböckchen genannt, obwohl er schon längst ein ausgewachsener Mistbock war.
Die Mutter hatte keine Sorge, ihre Tochter und das Rosenböckchen in den Wald gehen zu lassen, denn jede Blähung des Böckchens war von einem lauten Böller begleitet, denn auch seine Furze waren froh, endlich mal etwas verkünden zu können, denn sonst interessierten die Blähungen ja niemanden. Doch dadurch wusste die Mutter immer, wo sich ihre Tochter im Wald befand, und auf Grund des Gestankes traute sich ja niemand in die Nähe.
Eines Tages traf Schneeweißchen einen Bären und war verwundert. „Aber Bär, warum siehst du nur so braun aus?“, fragte sie, kam näher und roch. „Und warum stinkst du so nach Bock?“
„Tja“, sagte Bär und kratzte sich am Kopf, während der paranoide Ziegenbock „Hilfe er frisst mich“ schrie. „Gestern kampte ich im Wald und da hat mir doch tatsächlich einer einen braunen Farbtopf auf über den Kopf geebert. Da war ich schon ziemlich verwundert. Tja und heute habe ich mein Nickerchen im Gras gemacht, als ich von lauten Böllern munter wurde und sah, wie das Rosenböckchen seinen Dünnpfiff auf meinem Bauch rausließ. Aber mache dir nichts draus, im Licht der Wahrheit ist das alles nicht mehr zu sehen und jeder erkennt, dass ich eigentlich ein ziemlich bunter Bär bin.“
Sprach’s, trollte sich seiner Wege und ging weiter seiner Arbeit nach: Das Lügengestrüpp beseitigen, auf dass das Licht der Wahrheit wieder in den Wald des wahren Lebens vordringen konnte, im Fluss der Gleichberechtigung die künstlichen Dämme zu beseitigen, die Oase der Geschlechter vom lila Giftmüll zu reinigen und aufzupassen, dass die lila Zwerge und besonders die -innen nicht zu dreist ihre Fördersäckchen im kleinen Steuersee füllten.
Als Schneeweißchen und das Rosenböckchen wieder einmal in den Wald gingen, es war mitten im Lenz, vernahmen sie ein großes Wehklagen. Eine kleine, hässliche Quotenzwergin hatte sich mit ihren langen, alten Zöpfen im zahlreich wuchernden Lügengestrüpp so verfangen, dass sie nicht mehr allein heraus kam. Hilfsbereit wie Schneeweißchen war, lief sie hin und fragte: „Oh, was ist dir denn widerfahren?“
„Du dummes Ding“, rief die Zwergin. „Siehst du nicht, dass ich in Not bin! Ich suchte am Boden nach kleinen Würmern, die ich als Gehilfen einsetzen kann und habe mich in diesem grässlichen Strauch verfangen. Los hilf mir hier raus!“
Schneeweißchen mühte sich redlich, während das Rosenböckchen an der Zwergin leckte. Wo genau, verraten wir natürlich nicht. Das Mädchen schaffte es jedenfalls nicht, die Zwergin vollständig zu befreien. Ein ganzes Stück des „23 Prozent weniger Lohn bei gleicher Arbeit“ -Zopfs hing einfach zu fest im Lügengestrüpp. Also nahm sie die Schere der Statistik und schnitt ihn Stück für Stück ab, aber er löste sich nicht. Als nur noch 8 Prozent des Zopfes übrig blieb, versagte die Schere der Statistik, weil sie nicht mehr scharf genug war. Da zerrte die Zwergin heftig, bekam den Rest heraus und schimpfte fürchterlich: „Was hast du garstiges Ding getan? Mit diesem Rest von Zopf kann ich mich doch nirgends mehr sehen lassen! Jetzt muss ich erst wieder in den Friseusensalon ‚Zur kompletten Ignoranz’ und mir eine Haarverlängerung teuer erkaufen.“
Sprach es und verschwand ohne ein Wort des Dankes. Doch als sie davon zog, sah Schneeweißchen ganz deutlich ein Fördermittelsäckchen voller goldener Früchte, die das Lügengestrüpp für die Zwergin ausspuckte und das sie schnell unter ihrem Mäntelchen versteckte.
Wenig später trafen die beiden die Zwergin wieder und wieder war sie in einer Notlage. Eigentlich angelte sie im Steuersee nur, weil sie ein paar möglichst fette Fördermittelfische an Land ziehen wollte. Erstaunlicherweise angelte sie nicht mit einer Rute, sondern mit dem anderen, noch verbliebenen alten Zopf, auf dem das Schneeweißchen ganz deutlich lesen konnte „Männer immer Täter, Frauen immer Opfer“. Doch sie hatte Pech, denn der Fisch der Wahrheit hatte angebissen und drohte sie nun in den See zu ziehen, wo sie unweigerlich absaufen würde.
Als Schneeweißchen das sah, lief sie hin und wollte den Zopf der Zwergin befreien, währenddessen das … na, ihr wisst schon wer, ihr wisst schon wem, ihr wisst schon wo … leckte. Doch der Fisch war zu stark und Schneeweißchen blieb nichts anderes übrig, als die Schere der Realität herauszuholen und den Zopf der bösen Zwergin auf die Hälfte einzukürzen. Oh, was jammerte die da!
„Du dummes Ding!“, schrie sie Schneeweißchen an. „Was hast du nur getan? Glaubst du wirklich, dass es hier um Realität, Statistik oder echte Hilfe für Betroffene geht? Hier geht es um die kleinen und großen Förderfische, die ich nun viel schwerer aus dem Wasser ziehen kann. Mit dem halben Zopf kann ich mich doch nirgends mehr blicken lassen. Die Leute müssen dann doch denken, ich hätte sie jahrzehntelang angelogen!“
„Ähm, hast du nicht?“, fragte Schneeweißchen mit einem spitzbübischen Lächeln. Verächtlich schnaubend zog die Zwergin ein Säckchen mit goldenen Förderfischen aus dem Schilf, versteckte es unter ihrem Mäntelchen und verschwand im Wald.
Wir wollen an dieser Stelle mal die Sache ein wenig einkürzen und gleich zum Finale kommen, denn Schneeweißchen und das Rosenböckchen trafen einige Zeit später auf einer Lichtung die Quotenzwergin wieder. Weil sie verängstigt rief, liefen die beiden zu ihr hin.
„Was ist passiert?“, fragte Schneeweißchen vorsichtig, denn sie hatte die cholerische Zwergin ja nun schon mehrfach kennen gelernt.
„Ich fürchte, dass mir früher oder später einige Fördermittelsäckchen weggenommen werden“, schimpfte die Zwergin und ergänzte: „Wegen dem da!“, wobei sie mit dem Finger in die Lüfte zeigte. Da sahen es Schneeweißchen und das Rosenböckchen auch. Hoch über ihnen kreiste der gemeine europäische Pleitegeier und senkte sich Runde für Runde tiefer hinab.
„Nimm Schneeweißchen oder die Fische aus dem Steuersee oder meinetwegen auch das Rosenböckchen“, schrie sie immer schriller dem Vogel zu, „aber lass mich und meine Fördermittel in Ruhe!“
Da brummte es laut, die Zwergin drehte sich verängstigt um und erblickte hinter sich den Bären. „Du hast die längste Zeit hier herumschmarotzt! Hinweg mit dir“, rief er. Dabei hatte die Zwergin wieder einmal großen Lenz, dass er Gewalt verabscheute. So packte er sie nur, steckte sie in das Loch, aus dem sie gekrochen war und legte einen so großen Fels darauf, dass sie nicht mehr heraus kam und fortan mit ehrlicher Arbeit ihre Brötchen verdienen musste. Doch dadurch war der Zauber der bösen Zwergin aufgehoben. Dem Bären fiel das Fell ab und hervor trat ein schöner, kluger Jüngling, an dem Schneeweißchen sofort gefallen fand. Auch das Rosenböckchen verwandelte sich in das, was es vorher war: Ein kleiner, sich im Staub windender Wurm, der recht schnell im Loch der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Und wenn sie nicht gestorben sind, flucht die Zwergin heute noch darüber, dass es viel schwerer ist, den Steuersee mit ehrlicher Arbeit zu füllen, als die darin enthaltenen Förderfische zu verbraten.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.