Migrantenjungen und Politik
Schon die erste PISA-Studie im Jahr 2000 hat gezeigt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund die größten Bildungsprobleme in Deutschland aufweisen. Die Ergebnisse der neuen PISA-Studie 2006 bestätigen diese Ergebnisse. Wie geht die Integrationspolitik von Bund und Ländern auf die problematische Bildungssituation von Migrantenjungen ein? Wir wollen aus vorliegenden Veröffentlichungen und Aktivitäten der verschiedenen Parteien eine Bewertung aus unserer Sicht abgeben. Den betroffenen Parteien und Einrichtungen wurde vor der Veröffentlichung die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
Die folgende Tabelle gibt die Schulabsolventen nach Schulart und Geschlecht im Jahr 2003 wieder. Die Tabelle zeigt: Migrantenjungen und männliche Migrantenjugendliche sind die größten Bildungsverlierer in Deutschland. Bei den Migrantenjungen erreichen alarmierende zwei Drittel keinen Schulabschluss über Hauptschulniveau. Fast ein Viertel der männlichen Migrantenjugendlichen in Deutschland verlässt die Schule ohne Abschluss.
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Abschluss | Jungen (o.M.) | Mädchen (o.M.) | Migranten-Jungen | Migranten-Mädchen |
Ohne | 10,0% | 5,8% | 22,6% | 15,4 % |
Hauptschule | 27,9% | 21,0% | 42,6% | 40,4% |
Realschule | 39,8% | 43,4% | 26,4% | 32,1% |
Gymnasium | 22,3% | 29,8% | 8,5% | 12,1% |
Jungen ausgrenzende Integrationspolitik
Schon im Jahr 2004 wurde unter der rot-grünen Bundesregierung von der Bundesjugendministerin Renate Schmidt (SPD) und der Migrantenbeauftragten Marieluise Beck (Die Grünen) eine Studie „Viele Welten leben“ herausgegeben, die ausschließlich die geschlechterspezifischen Bildungs-und Integrationsprobleme von weiblichen Migrantenjugendlichen und –kindern beleuchtet. („Viele Welten leben Lebenslagen von jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem, türkischem und Aussiedlerhintergrund“).
Befragt wurden von November 2001 bis März 2002 insgesamt 950 Mädchen und unverheiratete Frauen im Alter von 15 bis 21 Jahren mit Migrationshintergrund. Die Untersuchung wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning (Universität Duisburg/Essen) und Frau Prof. Dr. Yasemin Karagasoglu (Universität Bremen) durchgeführt. Untersucht wurden u.a, die Lebenssituation der älteren alleinstehenden Migrantinnen, Mädchen mit Migrationshintergrund und sportliches Engagement.
Obwohl männliche Migrantenjugendliche die größten Bildungsverlierer darstellen, blieben sie bei der geschlechtsspezifischen Betrachtung unberücksichtigt.
Interessant ist, dass die Tabelle zur Bildungssituation von Migrantenjungen und – mädchen aus dieser Studie „Viele Welten leben“ stammt. Das heißt, man hat Migrantenjungen, deren schlechtere Bildungssituation deutlich vor Augen, bewusst ignoriert.
Im Jahr 2004 hat MANNdat e.V. bezüglich dieses Verstoßes gegen Gender Mainstreaming, also der Geschlechterpolitik, die angeblich auch jungenspezifische Belange berücksichtigen soll, Beschwerde beim Petitionsausschuss eingelegt. Diese Beschwerde wurde abgelehnt, da es auch Studien gäbe, die sich mit männlichen Migrantenjugendlichen beschäftigten (siehe dazu auch hier). Die nach Anfrage beim Bundesjugendministerium zugesendete Liste der Studien zeigte, dass darin keine einzige Studie war, die von ministerieller Seite in Auftrag gegeben wurde. Der Unterschied zwischen einer politisch initiierten Studie und einer „nur“ wissenschaftlich motivierten Studie sind erheblich. Bei der wissenschaftlich initiierten Studie steht die wissenschaftliche Erkenntnis im Vordergrund. Eine politisch initiierte Studie signalisiert aber auch, dass zu diesem Thema politisch etwas getan werden soll.
MANNdat befürchtete deshalb, dass sich die Geschlechtersensibilität der Integrationspolitik wieder ausschließlich im bloßen Weglassen von Jungen und Männern erschöpft.
Die Befürchtungen von MANNdat haben sich bestätigt, denn 2006 gab es unter der nun schwarz-roten Bundesregierung beim Integrationsgipfel sechs Arbeitsgruppen. Darunter eine Arbeitsgruppe mit geschlechterpolitischem Ansatz, und diese beschränkte sich ausschließlich auf Frauen und Mädchen: „Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirklichen.“ Federführend für die AG war das Bundesjustizministerium.
Die Studie „Bildungs(Miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen“ des Bundesbildungsministeriums die vor kurzem im Dezember 2007 veröffentlicht wurde, zeigte übrigens, dass die Aussage des Bundesjugendministeriums und des Petitionsausschusses so nicht korrekt war. Auf Seite 24 wird ausdrücklich dargelegt, dass sich der soziale Aufstieg von jungen Männern mit Migrationshintergrund schwieriger erweist als der junger Frauen mit Migrationshintergrund, ohne dass zu den Gründen aktuelle Studien vorliegen würden. Auf Seite 31 steht unter „Zentrale Herausforderungen“:
Es fehlen Studien über die Selbstsicht von Jungen mit Migrationshintergrund, Selbst-und Re-Ethnisierungen sowie die Orientierungsfunktion migrantischer Männlichkeit in unterprivilegierten Gesellschaftsschichten.
Dies zeigt auch, wie oberflächlich Petitionen behandelt und mit unkorrekten Aussagen abgelehnt werden, die sich mit der Berücksichtigung jungenspezifischer Belange befassen.
Die Studie ist beim Bundesbildungsministerium nicht mehr abrufbar. Nachdem MANNdat e.V. die Studie in einer Pressemitteilung bekannt machte, die eine Benachteiligung von Jungen im Bildungswesen bestätigte, entfernte das Bundesbildungsministerium die Studie kurzerhand aus ihrem Angebot.
Wie stehen die Koalitionspartner SPD und CDU zur Berücksichtigung jungenspezifischer Belange in der Integrationspolitik?
SPD
Die SPD formuliert im Jahr 2006 in ihrer Integrationspolitik: „Insbesondere Migrantinnen müssen gefördert, unterstützt und geschützt werden.“ Und weiter: „Der besonderen Situation jugendlicher Migrantinnen in Schule und bei Freizeitangeboten muss Rechnung getragen werden.“ Eine der größten Parteien in Deutschland, die sich sogar noch sozialdemokratisch bezeichnet, schreibt also in ihrem Parteiprogramm die nachrangige Berücksichtigung der größten Bildungsverlierer in Deutschland, die Migrantenjungen, ausdrücklich fest. Sowohl der SPD-Bundestagsfraktion als auch der Bundespartei SPD wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. Eine Antwort haben wir bis zur Veröffentlichung der Studie nicht erhalten.
CDU
Aber beim Koalitionspartner CDU ist es nicht anders. Laut Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion vom 4. Juli 2007 erklären anlässlich eines Expertengesprächs der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Vorsitzende der Fraktions-Arbeitsgruppe „Integration“, Hartmut Koschyk MdB, die Beauftragte der Bundesregierung für Integration, Maria Böhmer MdB, und die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ursula Heinen MdB, die Situation von Migrantinnen verbessern zu wollen. Von der Verbesserung der Situation männlicher Migrantenjugendlicher redeten sie nicht.
Dabei startete die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch als Oppositionspartei im Mai 2004 eine Kleine Anfrage mit dem Titel „Verbesserung der Zukunftsperspektiven für Jungen“ (BTDrs. 15/3516). Nach Meinung der CDU zeigte die Antwort der damaligen rot-grünen Bundesregierung (BT-Drs. 15/3607), „dass die Bundesregierung kein Gesamtkonzept zur geschlechtsspezifischen Förderung der Jungen hat.“ Deshalb versprach die CDU, „die Jungen mit gezielter Förderung aus dem Abseits zu holen.“ Die CDU stünde „in den Startlöchern, um nach der Regierungsübernahme [ihre] Ideen endlich umsetzen zu können.“ (Stellungnahme der CDU vom 28. Juli 2005 von Michaela Noll zur MANNdat-Analyse „Männerpolitik der Parteien – eine Analyse“).
Die „gezielte“ Jungenförderung hat sich also nicht nur als inhaltsloses Wahlversprechen entpuppt. Vielmehr dehnt sie die Politik der Jungenausgrenzung auch auf ihre Integrationspolitik aus und setzt statt dessen auf Erziehungslager (Bootcamps nach amerikanischem Vorbild) und Verschärfung des Jugendstrafrechts. (siehe Spiegel, Abruf 05.01.08 und Die Welt, Abruf 05.01.08). Die Bootcamps in den USA zeichnen sich dadurch aus, dass straffällige Jugendliche durch harten Drill, Beschämung und Erniedrigung erzogen werden sollen. Eine Einrichtung, die äußerst umstritten ist.
Sowohl der CDU-Bundestagsfraktion als auch der Bundespartei CDU wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. Eine Antwort haben wir bis zur Veröffentlichung der Studie nicht erhalten. Wie stehen die Oppositionsparteien zur Berücksichtigung jungenspezifischer Belange in der Integrationspolitik?
Die Grünen
Bei den Grünen gibt es unterschiedliche Positionen. Während z.B. die ehemalige Migrantenbeauftragte Marieluise Beck mitverantwortlich ist für die Nichtberücksichtigung jungenspezifischer Belange in der Eingangsstudie zur Migrantenpolitik „Viele Welten leben“, sieht Omid Nouripour die jungenspezifischen Integrationsprobleme durchaus als wichtiges Thema (Quelle).
Sowohl der Bundestagsfraktion der Grünen als auch der Bundespartei Die Grünen wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. In ihrer Rückantwort haben Die Grünen auf die Aktivitäten von Herrn Omid Nouripour hingewiesen. Zudem wurden allgemein bildungspolitische Aktivitäten dargelegt. So setzt sich in Baden-Württemberg vor allem die grüne Landtagsabgeordnete Renate Rastätter für die stärkere Berücksichtigung jungenspezifischer Belange in der Bildungspolitik und im Bildungswesen ein. Ein Engagement, das ohne Frage außerordentlich positiv und vorbildlich zu sehen ist. Diese Studie konzentriert sich aber auf die migrantenspezifischen Aktivitäten.
FDP
Und als Vierte im Bunde hat die FDP sich Anfang 2007 in einer großen Anfrage in über 80 Fragen erkundigt nach der Situation weiblicher Migranten, nach Projekten, die deren Bildungschancen erhöhen und ihre Integration in den Arbeitsmarkt verbessern sollen. Die Klientel der größten Bildungsverlierer, die männlichen Migrantenjugendlichen, hat aber auch die FDP einfach unter den Tisch gekehrt. Auf eine Anfrage im Bundestagswahlkampf 2005 hat uns die FDP noch geantwortet (Schreiben der FDP, Frau Ina Lenke, vom 04.Juli 2005 an MANNdat e.V.):
Dass die FDP Geschlechterpolitik nicht nur als Frauenpolitik begreift, haben wir beispielsweise im Antrag BT-Drs. 15/5032 zum Ausdruck gebracht: Gender Mainstreaming sollte die gesamte Politik als Prozess zur Qualitätsentwicklung prägen. Durch die Ausrichtung aller gesellschaftlichen Vorhaben an den Lebensrealitäten und Interessen beider Geschlechter wird die Wirksamkeit von politischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen erhöht…. …Besonderes Augenmerk ist auf eine gender-sensible Pädagogik zu legen, die auf die unterschiedlichen Lernweisen und Interessen von Mädchen und Jungen adäquat eingeht. So sollen Jungen beispielsweise besser in ihren sprachlichen und sozialen Fähigkeiten und Mädchen in ihren naturwissenschaftlichen Fähigkeiten gefördert werden.‘ (Positionspapier „Familie und Kinder: Ein Weg in die Zukunft“)
Auf unsere Kritik bezüglich des gebrochenen Wahlversprechens hat Dirk Niebel von der FDP mit Schreiben vom 02. März 2007 geantwortet:
Angesichts der – wie auch von Ihnen dargestellt – verschiedenen geschlechtsspezifischen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen bedarf es unserer Ansicht nach jedoch einer Differenzierung im Rahmen der politischen Debatte.
Ob die FDP auch noch andere „Differenzierungen“ außer dem bloßen Weglassen jungenspezifischer Belange parat hat, blieb uns Herr Niebel in seiner Antwort schuldig. Sowohl der FDP-Bundestagsfraktion als auch der Bundespartei FDP wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. Eine Antwort haben wir bis zur Veröffentlichung der Studie nicht erhalten.
Jungen und Integrationspolitik heute
Auf Grund dieser konsequenten Ausgrenzung von jungen-und männerspezifischen Belangen durch alle Parteien beschränkt sich konsequenterweise das Thema Geschlechtersensibilität im nationalen Integrationsplan, herausgegeben 2007, im gleichnamigen Kapitel auf den Passus „Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirklichen.“ Dies bedeutet, dass von der ersten Studie bis zum fertigen nationalen Integrationsplan jungenspezifische Belange aus der geschlechtersensiblen Komponente der Integrationspolitik konsequent und durchgängig ausgeblendet wurden.
Diese Politik wurde während der deutschen Ratspräsidentschaft auch noch auf EU-Ebene manifestiert. Eine entsprechende Erklärung unterzeichneten Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und die Vertreter der nachfolgenden Präsidentschaftsländer Portugal und Slowenien vor dem EU-Familienministerrat 2007 in Bad Pyrmont. Nach dieser Erklärung sollen u.a. eingewanderte Frauen in allen Bereichen gefördert werden – »insbesondere in der Beschäftigung und in Bildung und Ausbildung«. Eine Förderung der männlichen Migrantenjungen, blieb, wie schon auf nationaler Ebene, unerwähnt.
Diese Jungen ausgrenzende Integrationspolitik setzt sich sukzessive mittlerweile bis auf die Länderebene und kommunale Ebene fort. So werden z.B. in Aachen beim sogenannten „Ladies-Weekend“ etwa 30 Veranstaltungen speziell für Mädchen und weibliche Jugendliche, insbesondere auch mit Migrationshintergrund, durchgeführt. Ziel ist es, die Integration von Mädchen und weiblichen Migrantenjugendlichen zu fördern. Weshalb es nicht auch Veranstaltungen gibt, die die Integration von Migrantenjungen oder männlichen Migrantenjugendlichen fördern, ist nicht nachvollziehbar. Eine geschlechterspezifische Integrationsförderung ist sicher sinnvoll, hätte aber im Sinne einer Politik des „Gender Mainstreaming“ Jungen nicht ausgrenzen dürfen. Und es hätte durchaus auch Möglichkeiten gegeben, die Integration geschlechterspezifisch zu fördern, ohne Jungen pauschal auszugrenzen.
Diese fehlende Berücksichtigung von Jungen widerspricht zudem dem Aachener Kinder-und Jugendhilfeplan, nach dem es zu wenig jungenspezifische Fördermaßnahmen gibt (Jugendhilfeplan der Stadt Aachen, S.20):
Die geschlechtsspezifische Jungen- und Mädchenarbeit nach § 9 III SGB VIII basiert auf der Grundlage des Ansatzes „gender mainstreaming“…
b) Jungenarbeit
In Aachen gibt es nur wenige Einrichtungen, die eine parteiliche und reflektierte Jungenarbeit realisieren. Seit einigen Jahren entwickelt sich mit der Initiative „Aachener Boys Day“ ein Jungentag, wobei Jungen u.a. an „mädchenbesetzte“ Arbeitsfelder herangeführt werden.Bewertung
In Aachen ist die Mädchenarbeit traditionell stärker etabliert als die Jungenarbeit. Dies zeigt sich schon in der personellen Ausstattung (Gleichstellungsbeauftragte für die Mädchenarbeit) und die mädchenrelevanten Gremien. Dies ist sicherlich darin begründet, dass es eine asymmetrische Entwicklung der Mädchen-und Jungenarbeit gegeben hat. Somit gibt es derzeitig noch kein Gremium, dass sich jungenrelevanten Themen annimmt.Maßnahmen
Jugendhilfe sollte Angebote beinhalten, die eine parteiliche und reflektierende Mädchenarbeit wie Jungenarbeit ermöglichen. Dies soll zu einer geschlechtsbezogenen Identität und einer selbstbestimmten und partnerschaftlichen Lebensführung führen. Angebote für Mädchen und junge Frauen sowie für Jungen und junge Männer müssen als gleichwertige Angebote begriffen und dargestellt werden. Erfolgreiches Arbeiten wird demnach nur im Rahmen einer kooperativen Vernetzung beider Bereiche möglich sein.
Bezeichnend für diese Tabuisierung jungenspezifischer Integrationsprobleme in der Integrationspolitik ist, dass diese einseitige Veranstaltung vom Integrationsminister von NRW gefördert wird. Für Migrantenjungen gibt es keine spezielle Integrationsförderung. Damit wird auch das Kinder-und Jugendhilfegesetz zur Farce.
Die Antidiskriminierungsstelle meint zu der pauschalen Ausgrenzung von Migrantenjungen im vorliegenden Fall:
Die Beurteilung von jugendpolitischen Entscheidungen einer Kommune, welche Programme oder Maßnahmen sie zur Förderung eines Geschlechtes im Rahmen der Verpflichtung des Staates anbietet, um die Gleichstellung zu fördern, kann durch die ADS nicht durchgeführt werden. Die Begründung der Gemeinde und deren Ausführungen zu Gender Mainstreaming sind nachvollziehbar.
Die Begründung der Gemeinde wurde uns nicht mitgeteilt.
Zusammenfassend halten wir fest: In diesem Integrationsförderprojekt in Aachen werden Migrantenjungen pauschal gezielt und bewusst ausgegrenzt. Diese Ausgrenzung wird vom Integrationsminister gefördert, von der Gleichstellungsbeauftragten unterstützt und von der Antidiskriminierungsstelle geduldet. Und dies, obwohl der Aachener Kinder-und Jugendhilfeplan die zu geringen Jungenförderprojekte beklagt.
Sowohl dem Integrationsministerium von NRW als auch der Stadt Aachen wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. Eine Antwort haben wir bis zur Veröffentlichung der Studie nicht erhalten.
Die Sozialministerin von Baden-Württemberg, Frau Stolz (CDU), fordert in einer Pressemeldung (Pressemeldung des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg vom 07.09.07 „Arbeits-und Sozialministerin Dr. Monika Stolz: Potenziale von Migrantinnen stärker wahrnehmen und fördern“) die Förderung und Wahrnehmung der Potenziale von Migrantinnen. In der Pressemeldung heißt es:
Die Datenlage hinsichtlich der Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund sei verbesserungsfähig…Die Ministerin sprach sich in diesem Zusammenhang auch für eine Grundlagenforschung zur Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Hierzu könnten vor allem auch der Integrationspolitik gesicherte Handlungsgrundlagen und -empfehlungen gegeben werden.
Aber es gibt auch ein erhebliches Defizit in jungen-und männerspezifischen Migrantenstudien, wie auch die neue Studie des Bundesbildungsministeriums belegt. Auf diese Problematik geht die Ministerin in der o.g. Pressemeldung nicht ein.
Dies ist umso bedauerlicher, da Ministerin Stolz eine jener wenigen politischen Persönlichkeiten ist, die sich derzeit für eine stärkere Berücksichtigung jungenspezifischer Belange einsetzt.
Dem Sozialministerium von Baden-Württemberg wurde die Möglichkeit gegeben, zur Aussage in unserer Studie Stellung zu beziehen. In der Antwort wurden wir u.a. auf die Initiativen von Frau Stolz zur stärkeren Berücksichtigung jungenspezifischer Belange allgemein hingewiesen. Als Erklärung, für die einseitige Betrachtung wurde dargelegt (Schreiben des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom 18.12.07, Az.: 21-1304):
Hierfür gab und gibt es gute Gründe. So spielen Migrantinnen z.B. als Mütter von jungen Migrantinnen und Migranten im familiären Sozialisationsprozess eine zentrale Rolle. Dies hängt auch damit zusammen, dass in Familien mit Migrationshintergrund eine traditionelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern herrscht.
Dass auf mädchen- und frauenspezifische Belange explizit eingegangen wird, ist aber nicht unserer Kritikpunkt. Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass jungen-und männerspezifische Belange unberücksichtigt bleiben.
Zusammenfassung
Die größten Bildungsverlierer, die Migrantenjungen, werden von ALLEN Parteien geschlechterpolitisch aus ihrer Integrationspolitik gezielt und systematisch ausgegrenzt oder nachrangig berücksichtigt. Es gibt wohl kaum ein Thema, bei dem die Parteien so übereinstimmen wie beim Ignorieren jungenspezifischer Bildungsbelange.
Von der ersten Studie vom Jahr 2004 bis zum fertigen nationalen Integrationsplan im Jahr 2007, sowie fortgesetzt bei Fördermaßnahmen auf kommunaler und Landesebene, beschränkt sich die Geschlechtersensibilität im Jugendbereich nach wie vor nahezu ausschließlich auf Mädchen und weibliche Migrantenjugendliche.
Gerade in der Integrationspolitik erfährt damit die Politik der Jungenausgrenzung, wie wir sie seit dem Zukunftstag eindrucksvoll kennen gelernt haben, eine Renaissance, obwohl sie im Zeitalter der Chancengleichheit eigentlich der Vergangenheit angehören sollte.
Damit wurde schon im Vorfeld einer beabsichtigten Bildungsinitiative, die die Bildungsbenachteiligung von sozial schwachen Kindern oder Kindern mit Migrationshintergrund beseitigen soll, dafür Sorge getragen, dass das geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen erhalten bleibt.
Die rigorose Ausgrenzung von Jungen aus der geschlechtersensiblen Komponente der Integrationspolitik und aus konkreten Fördermaßnahmen liefert damit erneut deutliche Hinweise, dass die Bildungsbenachteiligung von Jungen im Sinne einer „positiven“ Diskriminierung von einem erheblichen Anteil der Politikerinnen und Politiker als legitimes Frauenfördermittel gesehen wird.
Gender Mainstreaming, also die Geschlechterpolitik, die ursprünglich auch jungen-und männerspezifische Belange hatte berücksichtigen wollen, wird seinem Anspruch nicht gerecht. Vielmehr wird Gender Mainstreaming als pauschale Rechtfertigung für immer neue Ausgrenzungen von Jungen instrumentalisiert. Einmal mehr entpuppen sich die Willensbekundungen der politisch Verantwortlichen, die Bildungsprobleme von Jungen stärker ins Blickfeld zu nehmen, als bloße Sonntagsreden. In der Praxis bleibt Geschlechterpolitik im Jugendbereich vorrangig beim bloßen Weglassen von Jungen.
Für Jungen soll es statt dessen nach Willen der CDU/CSU „Erziehungslager“ nach amerikanischen Vorbild geben. Wir kritisieren dabei nicht, dass straffällige Jugendliche bestraft werden sollen. Wir kritisieren aber, dass man männliche Migrantenjugendliche gezielt und systematisch aus der geschlechtersensiblen Förderung der Integrationspolitik ausgrenzt, also eher auf Gewalt und nicht auf Prävention setzt.
Was ist notwendig?
Was braucht eine Politik, die Jungen, speziell auch Migrantenjungen aus ihrer Position als Bildungsverlierer herausholen wollte? Wir haben nachfolgend einige Anregungen zusammengestellt:
- Die Politik muss eine Studie in Auftrag geben, die umfassend und objektiv die Ursachen für die schlechtere Bildungssituation und die Bildungsbenachteiligung von Jungen, insbesondere auch von Migrantenjungen, erforscht.
- Implementierung einer Jungen-und Männerpolitik in den Parteien und Regierungen.
- Beenden der Politik der gezielten und systematischen Jungenausgrenzung.
- Verpflichtung von Gleichstellungsstellen zur Jungenförderung anstatt Jungenausgrenzung.
- Berücksichtigung jungenspezifischer Belange in geschlechterspezifischen Studien und Berichten, auch in der Integrationspolitik.
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