Das schwarz-gelb gestreifte Zebra
Oder: Im Feminismus ist alles möglich
Einem offenbar unausrottbaren Vorurteil zufolge sind Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst stinkefaul und bedrückend unkreativ.
Womöglich wird es Zeit, diese Vorurteile allmählich über Bord zu werfen. Die Berner Fachstelle für die Gleichberechtigung von Mann und Frau hat sich nämlich bis über beide Ohren in Arbeit gestürzt und einen immerhin 192 Seiten starken und 10.000 Franken teuren „Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren“ erarbeitet, der für die öffentlich Bediensteten der schweizer Hauptstadt verbindlich sein soll.
Nicht nur emsig waren sie, die Berner Sprachpolizisten und Sprachpolizistinnen, sondern auch kreativ. Das zeigt sich am Lösungsansatz für ein Problem, an dem sich schon viele gendergerecht denkende Verkehrsplaner die Zähne ausgebissen haben: Welchen Begriff soll man bloß anstelle von „Fußgängerüberweg“ verwenden?
Nach der Logik von Feministinnen ist dieses Wort „Fußgängerüberweg“ nämlich diskriminierend. Jede und jeder denkt dabei schließlich an einen männlichen Fußgänger. Das kann fatale Folgen haben: Der Autofahrer oder die Autofahrerin, das Bild des über die Straße hastenden Mannes vor Augen, ist völlig perplex und unvorbereitet, wenn er dann plötzlich auf dem Zebrastreifen eine FußGÄNGERIN vor dem Kühlergrill hat. Moment mal, von einer FußGÄNGERIN ist in diesem Wort doch gar nicht die Rede, es heißt schließlich FußGÄNGERüberweg. Und schon ist es passiert, vor lauter Nachdenken hat man die unbotmäßig die Straße überquerende FußGÄNGERIN überfahren, und sie kann sich nun die Ölwanne von unten ansehen.
In Deutschland haben gendersensible Sprachumerzieher dieses Problem nicht, denn hier heißt es genderneutral „Zebrastreifen“, was einleuchtet, denn hierzulande (und auch in Österreich) sind die Streifen abwechselnd schwarz und weiß, wie beim Zebra halt. Zudem hat das Zebra noch den unschlagbaren Vorteil, zumindest sprachlich ein Neutrum zu sein, sofern man dabei nicht gerade an einen Zebrahengst denkt.
Den Fußgängerüberweg zum Zebrastreifen zu machen, das geht in der Schweiz allerdings nicht so ohne weiteres, denn dort sind die Streifen schwarz und gelb gestreift. So dass man sie eigentlich nicht als „Zebrastreifen“ bezeichnen kann, wenn man es ganz genau nimmt. Denn wer hat schon jemals – außer vielleicht im Dortmunder Westfalenstadion – ein schwarz-gelb gestreiftes Zebra gesehen?
Aber erstens sind solche Bedenken ziemlich kleinlich. Und zweitens klingt „Zebrastreifen“ ja immer noch besser als „Fußgänger- und Fußgängerinnenüberweg“. Bis man das ausgesprochen hat, mussten vielleicht schon wieder ein paar Fußgänger und Fußgängerinnen dran glauben. Insofern mag „Zebrastreifen“ für Schweizer Begriffe zwar zoologisch haarsträubend sein. Aber dafür dient dieser Ausdruck der Geschlechtergerechtigkeit.
Ok, gebongt. Ist ja alles schön und gut, und wie beneidenswert glücklich muss ein Volk sein, das offensichtlich keine anderen Probleme hat als die gendergerechte Benennung seiner Fußgängerfurten. Sorry, es muss natürlich Fußgänger- und Fußgängerinnenfurten heißen!
Trotzdem sollte man sich nichts vormachen. Wir werden hier mal wieder nach Strich und Faden für dumm verkauft. Uns wird ein teures und umfangreiches Behörden-Machwerk als „geschlechtergerecht“ verkauft, und wie immer in diesen Fällen dient dieses Wörtchen zur Vernebelung des Umstands, dass hier Feminismus pur waltet und die Sprachbereinigung nicht „den Geschlechtern“ dient, sondern nur einem davon, nämlich den Frauen.
Feminismus pur, das ist schon das bewährte Verfahren, einen bestimmten, unumstritten existierenden Sachverhalt so umzudeuten, dass daraus eine patriarchalische Verschwörung zu Lasten der benachteiligten Frauen wird. In der deutschen Sprache ist es seit je her Sitte, dass die Bezeichnung der Mehrzahl einer bestimmten Personengruppe der männlichen Form entspricht: Es heißt „der (einzelne, männliche) Fußgänger“, so wie es „die Fußgänger“ in der Gesamtheit heißt, die dann auch die Fußgängerinnen mit einbezieht. Ziemlich waghalsig ist allerdings die These, diese sprachliche Übereinkunft diskriminiere die Frauen. Aus einer grammatischen Regel, die aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Sprachökonomie getroffen wurde, wird so kurzerhand eine finstere patriarchalische Sprach-Verschwörung, der es nunmehr endlich Einhalt zu gebieten gelte. Geht’s nicht eine Nummer kleiner? Und wo, bitte, sind die handfesten Belege für diese steile These?
Nicht nur phantasievolle Deutungsansätze und schlampige Recherche sind kennzeichnend für den feministischen Ungeist, der hinter dieser Denke steckt, sondern auch die Einseitigkeit der Sichtweise. Wenn unsere Sprache so durch und durch „patriarchalisch“ verseucht ist, warum nennen wir sie dann eigentlich „Muttersprache“? Vielleicht, weil sie(!) zum Beispiel auch dann noch von „ DIE Geschwister“ spricht, wenn es sich um zehn Brüder und eine Schwester handelt. Ist das nicht ebenso furchtbar sexistisch und ungerecht? Die Männer selbst dann nicht zu erwähnen, wenn sie drückend in der Überzahl sind? Hier kann eigentlich nur matriarchalische Sprachverschwörung am Werk sein!
Im Ernst: Es gibt hunderte Beispiele dafür, die geeignet sind, das wacklige Theoriegebäude von der männlich-patriarchalisch geprägten Alltagssprache zum Einsturz zu bringen. Nur, solche Gegenbeispiele interessieren unsere wackeren schweizer Sprachpolizisten und Sprachpolizistinnen nicht die Bohne.
Der Leitfaden erwähnt zwar die „Geschwister“, stellt diesen Begriff aber kein bisschen in Frage, sondern schreibt hierzu lapidar (Seite 31): „Gewisse Kollektivbezeichnungen werden nur in der Mehrzahl verwendet“, darunter auch „Geschwister“. Nicht einmal der geringste Hinweis darauf, dass eine wirklich konsequent geschlechtergerechte Sprache sich hierfür doch tunlichst einen anderen Begriff ausdenken sollte, wenn es sich nicht gerade ausschließlich um Schwestern handelt.
Auf Seite 150 keimt noch einmal Hoffnung auf. Als Beispiel dafür, was man nicht schreiben sollte, heißt es da: „Alle fünf Geschwister wollten immer ihre eigenen Herrinnen und Herren sein.“ Aber auch hier wird bitter enttäuscht, wer auf sprachliche Gerechtigkeit hoffte. Der „richtige“ Satz muss nämlich heißen: „Alle fünf Geschwister wollten immer selbstbestimmt leben.“
Hier wird erkennbar mit zweierlei Maß gemessen. Womöglich wird diese krasse Ungleichbehandlung „männlicher“ und „weiblicher“ Begriffe auch als eine Form der Wiedergutmachung für die jahrtausendelange Unterdrückung von Frauen im Patriarchat und daher als moralisch gerechtfertigt angesehen. Bei Feministinnen wundert einen ja prinzipiell überhaupt nichts.
So ganz neu ist dieses durch und durch feministische Neusprech indes nicht. Unsere Politiker machen uns ja schon seit geraumer Zeit vor, was sie unter sprachlicher Geschlechtergerechtigkeit verstehen. Sie bedanken sich nach gewonnener Wahl gerne überschwänglich bei den „Wählerinnen und Wählern“ und versprechen hoch und heilig, sich auch weiterhin für die Belange der „Bürgerinnen und Bürger“ einzusetzen. Um dann im nächsten Abschnitt ihrer nächsten Rede energisch darauf hinzuweisen, dass sie fortan noch entschiedener gegen „Schwerverbrecher“ und „Steuerhinterzieher“ vorgehen werden.
Wenn schon die – räusper – Elite unseres Volkes uns derart eindrücklich ihr Verständnis von Gleichberechtigung vorlebt, was kann man da von subalternen Beamten anderes verlangen, als dass sie sich deren Sicht der Dinge zu eigen macht.
Dabei scheinen sie allerdings den Bogen etwas überspannt zu haben, zumindest in der Schweiz, denn selbst die Presse dort, die sonst dazu neigt, noch den größten feministisch inspirierten Irrsinn als segensreich zu verkaufen, findet in Form der „Basler Zeitung“ mehr als deutliche Worte für das Treiben der Berner Fachstelle: „Glücklich die Stadt, die ihre Angestellten derart umsorgt und in Denken und Ausdruck zu leuchtenden Vorbildern erziehen will. Wir warten nun, bis sich die offensichtlich unterbeschäftigte Fachstelle Berns Sehenswürdigkeiten vorknüpft und in ‚Kindlifresserin-Brunnen‘, ‚Bärinnengraben‘ und dergleichen mehr umtauft. Und bis schliesslich jemand die Schnauze voll hat von solch höherem Blödsinn und den Leitfaden dorthin bringt, wo er hingehört – in die reissfreudigen Tatzen des Berner Wappentiers.“
In den deutschen Medien kann von derart ätzender Kritik an feministischer Sprachverhunzung hingegen nicht die Rede sein. Die grüne Generalsekretärin Lazar und die feministisch-linguistische Radikale Luise Pusch dürfen ihre Vorstellungen von „Sprachgerechtigkeit“ per Presse unwidersprochen unters Volk bringen. Letztere sieht die Verwendung derart „gerechten“ Neusprechs gar als „Empathietraining für Männer“. Wobei sie jedoch unter „gerechtem Neusprech“ die ausschließliche Verwendung der weiblichen Form verstehen.
Wie wäre es, wenn wir es einfach bei der alten, eigentlich geschlechtsunabhängigen Form belassen würden? Die wäre nicht nur kürzer. Das wäre außerdem gleich einmal ein Empathietraining für Feministinnen, und die haben so etwas nun wirklich dringend nötig…
Der sexistische Fußgängerstreifen
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