Der Aufstand der Pussys
So ungefähr einmal im Jahr liest man irgendwo in einer Zeitung oder im Netz, dass die Wiederkehr des Feminismus kurz bevor steht. Hat man solche Prophezeiungen anfangs noch mit Erstaunen und leichter Besorgnis zur Kenntnis genommen, so hat man sich inzwischen längst daran gewöhnt und weiß, dass es sich bei ihnen lediglich doch nur um unverbindliche Gedankenspiele handelt, die gerne schonmal in den nachrichtenarmen Sommermonaten kolportiert werden und die bislang stets folgenlos blieben.
Manchmal wirkt die Inszenierung durchaus gelungen. Einer der großen Hypes des Jahres 2011 waren die sogeannten „Slut Walks“, die Schlampenläufe, bei denen sich in vielen Städten weltweit mehr oder weniger bis ganz und gar nicht ansehnliche Frauen zusammentaten, um barbusig oder in Reizwäsche gegen eben jene sexuelle Belästigung zu protestieren, derer sie sich selbst durch ihre oft vulgäre Aufmachung schuldig machten.
Besonders interessant die Ursache der Schlampenparaden: Ein kleiner Polizist in der kanadischen Provinz hatte doch in einem Vortrag behauptet, dass Frauen, die nicht vergewaltigt werden wollten, sich nicht so aufreizend anziehen sollten.
Man kann sicherlich über Sinn oder Unsinn der Aussage streiten. Die Art und Weise, wie der arme Polizist fertig gemacht wurde, inklusive persönlicher Angriffe, geht jedoch weit über jedes vernünftige Maß hinaus. Dass sich Feministinnen daraus dann auch noch eine Protestbewegung mit zeitweise erstaunlicher medialer Resonanz bastelten, zeigt zweierlei: zum einen haben viele Frauen wohl einfach viel zu viel Freizeit und zum anderen fehlen dem Feminismus mittlerweile die echten Probleme.
Die Slut Walks waren stets ein reines Medienphänomen ohne echte Resonanz in der Bevölkerung, der hier wieder einmal künstlich ein Problem nahe gebracht werden sollte, das in den abendländisch-aufgeklärten, westlich-liberalen Gesellschaften kaum noch eine große Rolle spielt: die sexuelle Belästigung von Frauen. Streng nach politisch korrektem Schema F inszenierten sich Frauen als die unschuldigen Opfer sexueller Belästigung, während Männern in altbewährter Manier die Rolle der Bösewichter zukam.
Als es im Herbst 2011 dann kälter wurde, waren die Slut Walks schlagartig vorbei. Wichtigtuerisch daherkommendes „politisches Engagement“, das mit Verve offene Türen einrennt, macht, wie andere Formen sinnfreien Zeitvertreibs, schließlich bei schönem Wetter weitaus mehr Spaß. Wer aber noch an kalten Oktobertagen nur in Reizwäsche bekleidet durch die Straßen läuft, macht sich nicht nur äußerst lächerlich, sondern riskiert außerdem noch eine Erkältung. Vielleicht hat auch die Enttäuschung der Schönwetter-Feministinnen zum schnellen Ende der Slut Walks beigetragen: Trotz aller provokanten Zurschaustellung weiblicher, nun ja, Reize, blieben die befürchteten, vielleicht insgeheim erhofften Übergriffe männlicher Schmutzfinken aus, die man so schön hätte skandalisieren können, um so zu zeigen, wie berechtigt die Dessous-Demos doch waren. Doch die Kerle wollten einfach nicht mitspielen.
So kam es, wie es kommen musste: Von den Schlampenaufmärschen hat man 2012 rein gar nichts mehr gehört, und wer einfach mal aus Spaß den Suchbegriff „Slut Walk“ bei Google Insights for Search eingibt, bekommt sozusagen schwarz auf weiß bestätigt, dass es mit dieser Form des politischen Protests vorbei ist.
„Pussy Riot“ und der Feminismus
Natürlich musste flugs eine neue Sau her, die es durchs Dorf zu treiben galt. Der Skandal um die Mädels-Punkgruppe „Pussy Riot“ aus Russland kam da genau richtig. Hier haben wir eine Story, die perfekt in jenes Raster von Gut und Böse passt, das so ganz nach dem Geschmack westlicher Medien ist. Auf der einen Seite eine Schar mutiger, moderner, liberaler, teils auch noch äußerst ansehnlicher junger Frauen, die heldenhaft für künstlerische Freiheit und Feminismus kämpfen. Auf der anderen Seite ein System, in dem finster-reaktionäre Patriarchen aus Politik und Kirche unbarmherzig jegliche freiheitlich-demokratisch-liberale Regung im Keim ersticken und die armen Frauen für ihr obszönes „Punk-Gebet“ in einer russisch-orthodoxen Kirche in Moskau gleich für drei Jahre ins Gefängnis schicken.
Wo die Rollen von Heldinnen und Bösewichten derart klar verteilt sind, geht westlichen Journalisten schon einmal gerne das Herz auf, und es ergießt sich ein wahres Füllhorn an schwülstigen Interpretationen, die ihnen für gewöhnlich um so leichter fallen, je weiter sie sich in sicherer Entfernung von den Geschehnissen befinden.
Für Johanna di Blasi etwa fallen die „Pussy Riots“ unter den Begriff „Moderne Amazonen“. So ist ein Artikel von ihr in der „Kunstzeitung“, Ausgabe Juli/August, betitelt, in dem di Blasi uns erklärt, wie „Künstlerinnen von heute den Feminismus intelligent weiterentwickeln“. Wie sie das im Einzelnen machen, darüber klärt uns die Blasi wie folgt auf: „Die explizit ‚feministische‘ Künstlergruppe hat die Kommunikations-Guerilla-Taktiken unüberseh- und hörbar von den amerikanischen »Riot Grrrls« der neunziger Jahre geborgt, einer Subkulturbewegung, die ihren Aufruhr (Riot) ebenfalls mit punkigen Tönen untermalte. Doch die russischen Punkgirls sind viel extremer als ihre amerikanischen Schwestern. Mit ihrer Aktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale (Mitglieder des Girls-Kollektivs mimten dort ein Putin- und kirchenkritisches ‚Punkgebet‘) schickten sich die jungen Aktivistinnen an, moderne Märtyrerinnen zu werden. Seitdem sitzen drei von ihnen in Untersuchungshaft.“
Illustriert ist ihr Bericht mit einem Foto einer Aktivistin der ukrainischen Frauenrechtsbewegung „Femen“. Blond, recht jung und ansehnlich, barbusig, nur mit einem knappen schwarzen Slip bekleidet, den reichlich vorhandenen Oberkörper mit wirren englischen Parolen bemalt, schreit sie ihren Protest gegen Was-auch-immer öffentlichkeitswirksam gerade in dem Moment laut heraus, in dem der Auslöser der Kamera betätigt wurde.
Das Auge isst mit
Nun, das ist Kunst, die man sich gerne gefallen lässt. Würde da hingegen eine 75-jährige Oma mit Schmerbauch, Hängebrüsten und runzligem Antlitz protestieren, wären wir uns gar nicht mehr so sicher, ob das unseren künstlerisch-ästhetischen Vorstellungen entspräche. Das Auge isst schließlich mit. Und da solcherart „Kunst“ einem extrem öffentlichkeitsgeilen Bewusstsein entspringt, dem es wichtig ist, sein Anliegen möglichst gefällig zu verpacken, um nicht in der Bedeutungslosigkeit der medialen Dauerberieselung unterzugehen, darf sich der Medienkonsument nebenbei (oder auch hauptsächlich) an den prallen Brüsten jener Mädels ergötzen. Womöglich erhöht das die Chancen, dass er sich danach auch noch mit den Inhalten des Protests auseinandersetzt. Sicher ist das freilich nicht.
Doch nicht nur runzlige Omas hätten schlechte Karten mit dieser Art von „Kunst“. Auch wenn Männer, speziell Väter, derart lauthals gegen ihre Entrechtung und für ihre Interessen protestieren würde, sähe darin kaum jemand ein künstlerisches Happening oder eine gelungene Performance. Und anstatt einer einfachen Festnahme würde auf selbige in der gleichen Gegend wohl zunächst ein Prassel an Schlagstöcken niedergehen, bevor sie ins Gefängnis einziehen dürften. Wenn das hierzulande zumindest eine Randnotiz auslösen würde, wäre das schon eine Sensation.
Im Kunstbetrieb, wie in fast allen anderen Bereichen der Bewusstseinsindustrie auch, haben längst die Frauen das Sagen, und so haben sie die Kunstszene auf allen Ebenen mit ihrem feministischen Bewusstsein durchtränkt. Sie bestimmen damit maßgeblich, was als Kunst zu gelten hat und was nicht. Väterproteste, davon darf man ausgehen, gehören nicht dazu.
Risikoloser Protest
Immerhin ist der hier zur Kunst geadelte Protest jener russischen, weißrussischen und ukrainischen Pussys gegen ihre Putins, Lukaschenkos oder Janukowitschs mit gewissen Risiken und Unannehmlichkeiten verbunden und daher immer noch ernster zu nehmen und wohl auch ehrlicher als jene albernen Slut Walks oder Flash Mobs, mit denen die verwöhnten Wohlstandskinder westlicher Nationen ihre Zeit totschlagen. Während den Demonstranten in Osteuropa unangenehme Verhöre, langjährige Gefängnisstrafen und berufliche Repressalien drohen, holen sich die Slutwalkerinnen höchstens einen Schnupfen, wenn sie ihrem Protest in Corsage und Strapsen Ausdruck verleihen.
Protest ist also Kunst. Feminismus auch. Irgendwie ist also alles Kunst – und damit nichts. Das alles wirkt ziemlich beliebig und passt daher auch wunderbar zu all den Leuten, die heute gegen den Walfang, morgen gegen den Kapitalismus und übermorgen gegen genmanipulierte Tomaten demonstrieren. Oder auch die Grünen, die erst die erneuerbaren Energien fördern, sich aber über Speichersysteme keine Gedanken machen und jetzt gegen den Bau von Hochspannungsleitungen demonstrieren, die zur Nutzung der erneuerbaren Energien notwenig sind.
Johanna di Blasi schreibt: „Die Künstler der neofeministischen documenta transformieren Müllberge zu Miniaturlandschaften, schaffen Schmetterlingskolonien und Parcours für Hunde. Zwischen Frauen, Hunden, Tomaten und Erdbeeren besteht für die documenta-Leiterin nach eigener Aussage kein prinzipieller Unterschied. Der ganze Kosmos, von den organischen bis zu den anorganischen Anteilen, sei kreativ, so ihre Überzeugung. Der Mensch, ob Mann oder Frau, solle sich weniger wichtig nehmen.“
Letzteres ist zweifellos eine sehr löbliche Aussage. Zudem: Wenn neofeministische Künsterinnen den Feminismus dadurch der Lächerlichkeit preiszugeben trachten, dass sie Müllberge, Hundehaufen, Erdbeeren oder was auch immer zu Miniaturlandschaften transformieren, sind wir die letzten, die sie bei diesem Zeitvertreib zu stören gedenken. Solange sie das tun, kommen sie wenigstens nicht auf noch dümmere Gedanken, wobei das allerdings schon ziemlich schwer ist.
Auch die Pussy Riots aus Russland haben noch nicht verstanden, dass manche „Kunst“ nach hinten losgeht. Während man sich in westlichen Medien sowie in der Szene der Berufsdemonstranten gar nicht mehr einkriegen mag vor Begeisterung über die feministischen Freiheitskämpferinnen in Putins Reich, finden deren vulgäre Aktionen, selbst unter russischen Oppositionellen nur wenig Anklang, wie Moritz Gathmann in einem überaus lesenswerten Artikel in der FAZ schreibt.
Wie dem auch sei. Der Sommer ist vorbei, unsere Politiker sind aus dem Urlaub zurück und retten wieder den Euro, was uns die nächsten Monate wieder recht ordentlich unterhalten wird. Da bedarf es keiner russischen Pussys mehr, um die Langeweile zu vertreiben. Der nächste Sommer kommt jedoch bestimmt, und wir sind schon jetzt gespannt wie die Flitzebögen, womit man 2013 versuchen wird, den Feminismus in den Schlagzeilen zu halten. Wir freuen uns schon jetzt darauf, dieses Treiben amüsiert vom Liegestuhl aus zu betrachten. Gerne mit einem leckeren Kaltgetränk in der Hand. Vielleicht erfindet ja bald jemand einen Cocktail namens „Pussy Riot“.
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