Dornröschen, der Prinz und sein cleverer Knappe
Es waren einmal ein König und eine Königin, die wünschten sich ein Kind und als die Königin ein Mädchen gebar, freuten sich beide so sehr, dass sie ein großes Fest gaben. Dazu lud das Königspaar auch zwölf weise Feen ein. Naja, eigentlich waren es ja dreizehn, aber die dreizehnte Fee – die böse Fee aus dem lila Sumpf – war mehr herrschsüchtig als weise und deshalb wollte die niemand dabei haben.
So verfiel das Königspaar auf die Idee, nur die zwölf guten Feen mit der fadenscheinigen Begründung einzuladen, sie hätten nur zwölf goldene Teller. Darüber ärgerte sich die böse Fee schwarz und schwarzer und begann eine ihrer üblichen Schmutzkampagnen, die am Tag des Festes ihren Höhepunkt erlebte. Nachdem bereits elf Feen ihre guten Wünsche ausgesprochen hatten, platzte sie in die Feier – ungefragt, unbestellt, unerwünscht. Wie immer eben. Und wie immer war es ihr auch dieses Mal egal, was für Folgeschäden sie anrichtete. So verfluchte sie einen unschuldigen Säugling zum Tode, um die Eltern zu strafen, machte für sich selbst aber einen psychischen Ausnahmezustand geltend und kam wie üblich in diesem Land mit einer laschen Bewährungsstrafe davon. Die zwölfte Fee wandelte den bösen Fluch zwar in einen hundertjährigen Schlaf um, der aber für das komplette Gesinde im Schloss unangenehme Nebenwirkungen in Form von Sippenhaft haben sollte.
Am sechzehnten Geburtstag der schönen Königstochter kam die böse Fee wieder und lockte die Jugendliche in einen Turm. Da das Königspaar alle Spindeln aus dem Königreich verbannt und seitdem das Garn importiert hatte, war es für die böse Fee leicht, dem Mädchen einzureden, dass sie nur dann richtig und politisch korrekt lebt, wenn sie fortan spinnen würde, also auch handwerklich. In blumigen Worten malte sie ihr einen Vorstandsposten in einem Spinnereiweltkonzern aus, natürlich ohne Anstrengung per Quote und in Teilzeit. Sollte sie es nicht schaffen, so tröstete sie die lila Fee, dann liege das natürlich nicht an ihr, sondern an den bösen Männern.
Verführt von dem lieblichen Gesäusel und trunken von den paradiesischen Zuständen, die sie erwartete, griff sie zur Spindel. Es kam, wie es kommen musste: Sie stach sich, fiel in einen tiefen Schlaf und mit ihr alle, die das Pech hatten, im Schloss anwesend zu sein.
Warum die böse Fee nicht gleich mit einschlief, wissen wir nicht genau, aber es war schon immer so, dass die Alte gleicher war als andere. Jedenfalls wuchs eine dichte Dornenhecke um das Schloss.
Doch die Kunde von dem hübschen, schlafenden Dornröschen machte sich breit und es kamen immer wieder hormongeschwängerte Jünglinge, die versuchten das Mädchen zu befreien. Alle starben in der Hecke.
Nach hundert Jahren verwandelte sich die Dornen- in eine Rosenhecke, was die Sache aber nicht wirklich besser machte. Die böse Fee war nun zwar tot, doch ihr Gift hatte das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nachhaltig beschädigt. Bis zu ihrem Tod ärgerte es sie, dass es immer noch Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab, dass Frauen immer noch Männer und Männer Frauen liebten und dass Männer und Frauen immer noch unterschiedliche Prioritäten im Leben setzten. Allerdings schliefen nicht nur der König, sondern die Mehrzahl der Männer im Lande, und so konnte die böse Fee aus dem Hintergrund heraus so massiv die Gesetze ändern (lassen), dass es für die jungen Männer inzwischen höchst unattraktiv war, eine Familie zu gründen. Eine No-Win-Situation, wie es ein damals bekannter Ritter formulierte.
Es gab jedoch immer noch die Hormone und deshalb, ach das hatten wir ja schon weiter oben. So kam es, dass erneut ein Prinz mit seinem Knappen zum Schloss zog. Todesmutig, ohne nachzudenken und forsch wollte sich der Prinz in den Kampf gegen die Hecke stürzen, das Dornröschen befreien und heiraten, ohne die Folgen zu bedenken. Glücklicherweise hatte er seinen klugen Knappen Manni mit dabei. Der hielt ihn am Arm und sagte: „Wie wäre es, verehrter Prinz, wenn Ihr erst einmal nachdenkt und Euch die Hecke genauer anseht?“
Der Prinz tat wie ihm geheißen und stutzte. Tatsächlich ragten aus der Hecke hier und da die Gebeine der Verstorbenen heraus. Viele davon kannte der Prinz: Heinz der Entrechtete, Paul zu Kuckucksvater, Johannes der Abgezockte, Willi der Falschbeschuldigte, die Gebrüder Ali und Achmed aus dem Hause der Vorverurteilten, Bernhard von und zu Entsorgt und Andreas der Verarmte, der sogar tot noch auf seinem Zahlesel saß.
„Ganz abgesehen davon“, ergänzte sein Knappe noch. „Selbst wenn Ihr lebend durch die Hecke kommt: Was glaubt Ihr, was Ihr da nach 116 Jahren vorfinden werdet? Und sollte sich die Prinzessin durch die Magie frisch erhalten haben, ist sie dennoch durch und durch mit dem lila Gift infiziert. Alles irgendwie nicht so erstrebenswert, oder?“
„Hm“, machte der Prinz und sah seinen Knappen nachdenklich von der Seite an. „Recht hast du.“ Also stieg er wieder auf, ritt mit seinem Knappen ins Gasthaus „Zum lustigen Junggesellen“ und freute sich seines Lebens. Er suchte lange, hatte Sex mit mehreren Frauen und begriff mit der Zeit, dass es wichtigere Dinge als Schönheit und Sex gibt, auf die Mann achten sollte, um nicht wie die anderen Ritter in der Dornenhecke zu enden. Später fand der Prinz eine nicht ganz so hübsche, aber dafür ehrliche, arbeitsame und liebe Bauerntochter, die nicht teure Geschenke und verlogene Komplimente erwartete, auf die er sich verlassen konnte und die ihn einfach so akzeptierte, wie er war – kurz: die bessere Prinzessin, mit der er über Jahrzehnte eine glückliche Beziehung führte. Unehelich natürlich, denn das bürgerliche Leben war schon lange nicht mehr so romantisch, wie es in den ganzen Liebesschnulzen dargestellt wurde. Und wenn sie nicht gestorben sind, träumt Dornröschen heute noch von einem mühelosen Vorstandsposten.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.