Kleine Anleitung zum Schreiben eines „Frauen sind besser“-Artikels
Viele Leser unseres Rundbriefs werden schon einmal davon geträumt haben, journalistisch tätig zu sein. Bislang war es aber gar nicht so einfach, in diesen begehrten Beruf hineinzukommen. Die Qualitätsstandards gelten als hoch, und längst nicht jeder, der sich schriftlich einigermaßen ausdrücken kann, ist in der Lage, dem Stress des Berufs standzuhalten.
Nun, zumindest für diejenigen, die sich vom ersten genannten Tatbestand bislang abschrecken ließen, gibt es gute Nachrichten. Es ist weitaus einfacher, mit seinem kleinen Aufsatz in die Zeitung zu kommen, als Sie bislang dachten. Noch erfreulicher: das gilt nicht nur für das kostenlose Anzeigenblatt, das Sie jede Woche im Briefkasten vorfinden und nach kurzem Durchblättern ins Altpapier geben. Nein, das gilt sogar für die etwas hochtrabend so genannte Qualitätspresse, also für Spiegel, NZZ, FAZ, Welt usw. Auch dort können halbwegs begabte Hobby-Journalisten heutzutage mühelos mit ihren Beiträgen landen, ein wenig Glück vorausgesetzt.
Profunde Kenntnisse des Fachgebiets, über das Sie schreiben, sind dabei ebensowenig erforderlich wie gründliche Recherche oder das mühsame Darlegen von Fakten, mit denen Sie Ihre Argumentation untermauern könnten. Es reichen ein paar Häppchen, die Ihre Argumentation halbwegs stützen. Den Rest, der Ihren Aussagen eher widerspricht, blenden Sie einfach weg. Wir zeigen Ihnen schon, wie man das macht.
Wenn Sie einen Artikel über Männer und Frauen schreiben, haben Sie es besonders einfach. Schließlich steht der Grundtenor Ihres Artikels schon vorher fest: Die Zukunft ist gut und weiblich, die Vergangenheit hingegen böse und männlich. Frauen sind auf der Überholspur, Männer in der Krise. Sie brauchen keinerlei Gedanken daran zu verschwenden, eventuell einen Artikel zu schreiben, der zu völlig anderen Schlussfolgerungen kommt. Der hat nämlich keine Chance auf Veröffentlichung. Wenn Sie möchten, dass Ihren Beitrag nicht nur Sie, Ihre Eltern und die Patentante lesen sollen, vergessen Sie solche Anwandlungen bitte schnell wieder. Die Grundaussage Ihres Textes ist bereits in Stein gemeißelt, noch bevor Sie den Rechner anschmeißen und die Textverarbeitung starten. Der Markt will es so. Das Schöne daran: das macht es besonders einfach, einen solchen Beitrag zu schreiben. Und Zeilenhonorar gibt es trotzdem.
Andererseits haben Sie Ihre Ideale, Sie wollen die Fackel der Aufklärung unter die Menschheit bringen und die lautere Wahrheit verkünden. Aber wollen Sie nicht auch, dass Ihr Artikel veröffentlicht wird? Na also. Vergessen Sie mal schnell sowohl Ihre Ideale als auch journalistische Grundregeln und lesen Sie die nachfolgenden Lektionen aufmerksam durch.
Lektion 1: Überfrachten Sie Ihre Leser mit zusammenhanglosen Informationen
Die Leser Ihres Beitrags sollen nach Möglichkeit nicht zu tiefem Nachdenken über das Geschriebene verleitet werden. Noch besser ist es, sie überhaupt gar nicht erst zum Nachdenken zu verleiten. Sie erreichen das, indem Sie Ihre Leser gleich zu Beginn Ihres Artikels mit einem wirren, möglichst zusammenhanglosen Stakkato kleiner Informationshäppchen sättigen.
Diese furiose Einleitung wird den gewünschten Erfolg bringen: Der Leser ist den restlichen Artikel hindurch damit beschäftigt, die Vielzahl an kurz angerissenen Wissens-Bruchstücken zu verarbeiten, die Sie ihm zu Anfang hingeworfen haben. Da das menschliche Gehirn nur eine begrenzte Anzahl neuer Informationen verarbeiten kann, kann der Leser Ihren restlichen Ausführungen nur noch bedingt folgen und sie allenfalls oberflächlich zur Kenntnis nehmen. Im Zweifelsfall stellt er das Denken ganz ein. Für die weitere Lektüre Ihres Artikels ist das zweifellos die denkbar beste Voraussetzung.
Lektion 2: Beeindrucken Sie Ihre Leser mit Halbinformationen
Niemand hat heutzutage mehr die Zeit, sich alle Informationen zu einem Sachverhalt zu besorgen. Dafür gibt es ja (Hobby-)Journalisten wie Sie, die das gesammelte Wissen der Menschheit für ihre Leser durchforsten und ihnen genau das servieren, was sie wissen und glauben sollen.
Ein Beispiel: Wenn Sie schreiben, dass die Zahl der von Frauen gegründeten Unternehmen seit zehn Jahren doppelt so stark zugenommen habe wie die der Firmengründungen von Männern, wird dies Ihre Leser nachhaltig beeindrucken, vor allem, wenn sie diese Information lässig in einem Nebensatz mit einfließen lassen. Niemand wird sich die Frage stellen, von welchem Land Sie sprechen (USA? Deutschland? Turkmenistan?), woher diese Information stammt und wer diese Daten mit welcher Motivation erhoben hat. Niemand wird sich außerdem fragen, um welche Unternehmen es sich eigentlich handelt. Auch Schönheitssalons, Friseurgeschäfte und Tattoo-Studios sind schließlich Unternehmen, auch wenn sie neben der Firmengründerin selber vielleicht nur noch einer 400-Euro-Halbtagskraft Lohn und Brot geben. Und erst recht wird niemand Absolutzahlen wissen wollen, obwohl es natürlich leichter ist, 10 Firmengründungen zu verdoppeln als 100.
Die wahre Kunst der gepflegten Halbinformation besteht aber nicht nur im Verschweigen wichtiger Hintergrunddaten, sondern auch im Weglassen aller störenden Vergleichsgrößen. Im konkreten Beispiel untermauert die schiere Anzahl der von Frauen irgendwo auf der Welt gegründeten Unternehmen die Kernthese Ihres Artikels. Das muss reichen. Die Zahl der Arbeitsplätze, die die von Männern im gleichen Zeitraum gegründeten IT-Firmen, Telekommunikationsunternehmen oder Finanzdienstleister geschaffen haben, ihre Wertschöpfung und ihr volkswirtschaftlicher Gesamtnutzen mögen grundlegend andere Schlüsse zulassen als den, den Sie vertreten. Weg damit! Ihre Leser sollen nicht grübeln oder zweifeln, sie sollen das verinnerlichen, was Sie schreiben. Sie bestimmen, was die Leute erfahren sollen, also filtern Sie die Informationen möglichst geschickt und entsorgen Sie genauso geschickt alle Daten, die das Publikum gar nicht zu kennen braucht.
Lektion 3: Nehmen Sie auf Widersprüche keinerlei Rücksicht
Sie wollen die Leser davon überzeugen, dass Frauen die besseren Menschen sind und wir auf eine geschichtliche Epoche zusteuern, in der die gesamte Menschheit vom segensreichen Einfluss der weiblichen Menschheitshälfte profitieren wird. Ihre Leser wollen natürlich Beispiele sehen, die diese These untermauern. Seien Sie bei der Auflistung solcher Beispiele möglichst großzügig und nehmen Sie im Zweifel ruhig auch Sachverhalte mit auf, die Ihnen womöglich ein leichtes Magengrimmen bereiten. Schreiben Sie also ruhig, dass Frauen das Bildungswesen der Industrieländer dominieren, die Kinder fast alleine erziehen, die Mehrheit der Studienplätze besetzen, 80 Prozent aller Kaufentscheide treffen und ihren Partnern in allen Belangen vorgeben, was sie zu tun haben. Erwähnen Sie auch, dass Paare, die in Fortpflanzungskliniken Kinder nach Maß bestellen, immer häufiger Mädchen wählen, das rundet diese interessanten Informationen noch ab.
Wie bereits angedeutet, könnte das Verbreiten solcher Gegebenheiten mit Ihren ureigensten Überzeugungen in Konflikt geraten. Haben Sie nicht stets verinnerlicht, dass es auf eine üble Diskriminierung von Frauen hindeutet, wenn die Mehrzahl der Abiturienten oder Studienabgänger männlich ist? Hätten Sie nicht fast schon reflexartig die feministische Faust in der Tasche geballt, wenn Sie irgendwo gelesen hätten, dass die Machos, Paschas und Familienpatriarchen 80 Prozent aller Kaufentscheidungen treffen und ihrem bedauernswerten Weibe somit kaum Verfügungsspielraum in dieser Frage zubilligen? Würden Sie es nicht automatisch unter „häusliche Gewalt“ verbuchen, wenn Männern ihren Frauen beständig vorgeben, was sie zu tun haben? Fanden Sie es nicht immer schon entsetzlich, dass in China viele Familien weibliche Föten abtreiben, damit das einzige Kind, das staatlicherseits erlaubt ist, nur ja ein Junge wird? Und jetzt sollen Sie genau das Gleiche unter umgekehrten Vorzeichen mit einem Mal als großartigen Fortschritt und als begrüßenswerte Entwicklung bejubeln? Wen wundert es, dass sich plötzlich Ihr Gewissen zu Wort meldet?
Schwamm drüber, sie wollen ja Zeilenhonorare schinden! Gehen Sie einfach über alle Widersprüche und Skrupel, die Sie selber beim Verfassen Ihres Textes empfinden, hinweg. Vergessen Sie Ihre Überzeugungen, und gehen Sie nur ja nicht davon aus, dass Ihr Elaborat viele kritische Leser finden wird, denen Ihre Widersprüche auffallen. Mit Lektion 1 haben Sie ja schon die Grundlage dafür gelegt, dass die Leser die unzähligen Informationen in Ihrem Artikel nur unzureichend verarbeiten können. Außerdem schreiben Sie keine Abhandlung mit wissenschaftlichem Anspruch, sondern flotte Wochenendunterhaltung. Da drückt man schon mal ein Auge zu. Oder gleich alle, die Hühneraugen inbegriffen.
Lektion 4: Verweisen Sie möglichst häufig auf Studien und Untersuchungen
Auch wenn Sie letztlich nur Unterhaltungsliteratur abliefern: Mit nichts können Sie Ihre Leser stärker beeindrucken als mit dem Verweis auf irgendwelche nebulösen „Studien“ oder „Untersuchungen“, die idealerweise aus den USA stammen sollten, von der UNO oder zumindest einer namhaften deutschen Forschungseinrichtung. Stammen Ihre Erkenntnisse allerdings aus Studien einer Privatuni aus Mazedonien, dann verschweigen Sie die Quelle besser komplett. Was übrigens überhaupt kein Problem ist, denn es fragt niemand danach.
An sich sind die Wörter „Studie“ oder „Untersuchung“ völlig nichtssagend, sie haben allerdings einen hervorragenden Klang. Wenn Ihr Nachbar Ihre Mülltone durchstöbert, ist das schließlich auch eine „Untersuchung“, und wenn Sie im Straßencafé sitzen und die Beine der Frauen begutachten, ist das zweifellos eine „Studie“. Egal. Der Ton macht die Musik, und ein Lobgesang auf die weibliche Zukunft ist ohne Verweis auf wissenschaftliche Autorität nur halb so überzeugend. Selbst wenn diese Autorität zweifelhaft ist und alleine darauf beruht, dass entscheidende Informationen weggelassen worden sind (siehe Lektion 2).
Noch besser ist es, wenn Sie gleich mehrere Untersuchungen auffahren, um Ihrer Argumentation etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Schreiben Sie zum Beispiel, „zahllose Studien“ würden Männern Defizite in der Sozialkompetenz nachweisen, klingt das gleich noch einmal etwas besser, als wenn es bloß eine Studie ist, die das behauptet. Ihr Leser wird kaum vermuten, dass sich hinter den „zahllosen Studien“ womöglich gerade mal zwei Untersuchungen aus Absurdistan und Irrland verstecken, die von einem feministischen Institut für Männerforschung angestellt worden sind. Er wird massiv beeindruckt sein ob so viel geballter wissenschaftlicher Kompetenz und nicht auf die Idee kommen, dass in der ganzen Geschichte in Wahrheit der Wurm drin ist.
Lektion 5: Seien Sie großzügig mit Werturteilen und Prognosen
Empfinden Sie es als großspurig, anmaßend und vermessen, wenn jemand das 21. Jahrhundert kurzerhand zum „Jahrhundert der Frauen“ erklärt? Offensichtlich funken Ihnen Ihre Skrupel und Ihr schlechtes Gewissen schon wieder dazwischen. Schalten Sie sie auch an dieser Stelle besser ab.
Das 21. Jahrhundert ist gerade mal 10 Jahre alt. In den restlichen 90 Jahren kann und wird noch eine Menge passieren. Die Wahrscheinlichkeit ist enorm hoch, dass unser Centennium letztendlich dann doch kein Jahrhundert der Frauen gewesen sein wird. Na und. Muss Sie das interessieren? Niemand wird Sie im Jahr 2100 deswegen belangen, denn dann sind Sie längst nicht mehr mit von der Partie.
Das Schöne ist: Sie können desto ungehinderter auf die Pauke hauen, je weiter Sie sich mit Ihren gewagten Prognosen in die Zukunft hereinwagen. Gegen Sie sind die namhaftesten Science-Fiction-Autoren fantasielose Waisenknaben. Entwerfen Sie das phantastische Bild einer glanzvollen Zukunft ohne Männer und entdecken Sie dabei nebenbei Ihre bislang verschollenen masochistischen Neigungen. Sagen Sie dreist das Verschwinden des Y-Chromosoms und das Aussterben aller Männer in 100.000 Jahren voraus und schildern Sie die aufregende Zukunft der Fortpflanzung mit Hilfe von Samenbanken, in denen selbstredend nur noch weibliche Föten gezüchtet werden.
Es spielt keine Rolle, dass kein Mensch in einer Welt leben möchte, in der Babys im Reagenzglas gezeugt werden und nicht mehr das Ergebnis menschlicher Zuneigung und intimen Austauschs sind. Es spielt erst recht keine Rolle, dass dieses Szenario völlig abgedreht und unrealistisch ist. In 100.000 Jahren wird erst recht niemand mehr da sein, der Ihnen Ihre irren Prophezeiungen vorhalten wird. Toben Sie sich also nach Belieben aus. Es wird für Sie keine negativen Konsequenzen haben. Abgesehen vielleicht davon, dass Ihre Leser Sie für völlig bescheuert halten.
Wenn Sie diese fünf Lektionen befolgen, bekommen Sie schon einen druckreifen „Frauen sind die besseren Menschen und ihnen gehört auf jeden Fall die Zukunft“-Artikel zusammen. Viel mehr bedarf es nicht. Wenn Sie noch einige bewährte, tausendfach erprobte Textpassagen wie „Männer in der Krise“, „das starke Geschlecht schwächelt“, „Frauen auf der Überholspur“, „der kleine Unterschied“, „selbst ernannte Männerrechtler“ oder „die Zukunft ist weiblich“ einstreuen und Ihren Lesern so das Gefühl heimeliger Vertrautheit im Wunderland der Phrasendrescherei vermitteln, kann erst recht nichts mehr schief gehen.
Falls Sie noch ein paar Anregungen benötigen, lesen Sie sich einfach den Beitrag von Martin Helg aus der „Neuen Züricher Zeitung“ durch. Der hat fast alle unsere Lektionen brav befolgt und einen mustergültigen „Frauen sind besser“-Artikel geschrieben. Und es damit sogar in die NZZ geschafft. Na also! Was der kann, können Sie schon lange.
Beispielartikel: Wenig Recherche + viel feministischer Mythos = leichtes Zeilenhonorar
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