Über Quoten und Kartoffelchips
Seitdem Angela Merkel ein Machtwort gesprochen hat, steht fest, dass uns die Frauenquote (vorerst) erspart bleibt. Die öffentliche Debatte um diese nationale Schicksalsfrage ist danach erfreulicher Weise ziemlich abgeebbt, aber wer weiß, wann jemand den abgenagten Knochen das nächste Mal wieder ausgräbt.
Falls das passiert, wird es höchste Zeit, dass sich im Laufe der Debatte endlich mal irgendeine unserer Gender-Koryphäen zu Wort meldet und darauf hinweist, dass es doch im Grunde völlig irrelevant sei, welchem (biologischen) Geschlecht unsere Herren(?) in den AG-Vorständen und den ganzen Aufsichtsräten angehören. Dass das Geschlecht doch eigentlich nicht mehr sei als ein soziales Konstrukt, es davon in Wirklicheit weit mehr gebe als die zwei, die wir so für gewöhnlich kennen. Dass es demnach ein untauglicher Rückfall in längst überwundenes, auf Zweigeschlechtlichkeit gepoltes Denken sei, wenn man eine Quote für dieses eigentlich doch bloß eingebildete Subjekt namens „Frau“ fordere. Dass man sich vielmehr für alle Spielarten von sexueller Identität (einschließlich Queer und Transgender) öffnen und auf diese Art und Weise das archaische Denken in Mann-Frau-Gegensätzen endlich mal so richtig dekonstruieren müsse.
In der Quotendebatte neulich war von diesen Leuten freilich kein Sterbenswörtchen zu hören, das auch nur ansatzweise in diese Richtung ging. Was sagt uns das? Dass dieses ganze Geschwafel die Leute, die es sonst unablässig verbreiten, überhaupt nicht mehr interessiert, sobald sich die Chance eröffnet, eine Handvoll Frauen auf ein paar gutbezahlte Pöstchen zu hieven. Da ist das soziale Konstrukt namens „Frau“ plötzlich schneller wieder zum Leben erweckt, als man „Transgenderperspektive“ aussprechen kann.
Ebenso bemerkenswert deucht uns das plötzliche Eintreten unserer feministischen Heilsbringer für jene Menschen, die sie sonst für gewöhnlich am liebsten direkt in die Hölle schicken würden: nämlich für zickige Karrieretussis in Kostümchen oder Hosenanzug. Normalerweise verachten sie solche Leute aufs heftigste, weil sie jenen neoliberalen Turbokapitalismus und jene skrupellose Profitgier verkörpern, die für sie den gleichen Höllengefilden entstammen wie das patriarchale Unterdrückungssystem, das sie so ausdauernd bekämpfen.
Wenn es jedoch um die Frauenquote geht, beten die gleichen Leute auf einmal mit treuherzigem Augenaufschlag sämtliche (um genau zu sein: zwei) Studien herunter, die angeblich einen Zusammenhang zwischen hohem Frauenanteil am Management und üppigen Unternehmensgewinnen belegen. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen: es geht schlichtweg um nichts anderes als um – Profitmaximierung! Und um das Ganze noch zu toppen: Es macht diesen Leuten nicht einmal das Geringste aus, dass eine der zwei Studien ausgerechnet von McKinsey stammt, jener Unternehmensberatung also, die für sie das Teuflische im Kapitalismus verkörpert wie keine zweite Firma. Erstellt im Auftrag einer feministischen US-Organisation, was man stets vergisst hinzuzufügen. Auch hier zeigt sich: Sobald es um die höchsten Heiligtümer des Feminismus geht – und Frauenquoten gehören definitiv dazu –, setzt das Denken mitunter recht abrupt aus, und eherne Überzeugungen fallen einem Gedächtnissschwund anheim, der für einen Außenstehenden verblüffend wirkt.
Überhaupt scheint in Frauenquoten manch seltsame Substanz zu stecken. Anscheinend ist dort auch das gleiche Zeugs drin ist wie in Kartoffelchips. Hat man davon erst einmal genascht, wird man nicht etwa satt, sondern bekommt im Gegenteil noch mehr Hunger. Quoten machen offenbar süchtig. Nur so ist es wohl zu erklären, dass mittlerweile sogar über die Einführung von Frauenquoten bei Wikipedia-Beiträgen und taz-Leserbriefen nachgedacht wird.
Sue Gardner, eine der Direktorinnen der Wikipedia-Stiftung, macht sich zum Beispiel ernsthafte Sorgen, weil nur 13 Prozent aller Zuträger zum populären Online-Mitmach-Lexikon weiblich sind. Sie hat daher das Ziel ausgerufen, den Anteil der weiblichen Autoren bis 2015 auf 25 Prozent zu steigern. Aber wie schafft man das? Vielleicht sollte man Rat bei unseren Grünen einholen, die das Wonderbra-Prinzip wunderbar ins politische Leben übertragen haben. So wie dies raffinierte Kleidungsstück fehlende weibliche Rundungen simuliert und dann auch noch betont, simuliert grüne Frauen-Quoten-Politik bekanntlich gering ausgeprägtes weibliches Interesse an politischen Themen und betont die üppige Anteilnahme der zahlenmäßig unterlegenen grünen Frauen an innerparteilichen Diskussionen so lebensecht, als gäbe es sie wirklich.
Überträgt man das Prinzip des grünen Frauenstatuts auf Wikipedia, hieße das: Der Beitrag eines Mannes darf erst dann freigeschaltet werden, wenn zuvor ein Artikel veröffentlicht wurde, der aus der Feder einer Frau stammt. Da Frau Gardner außerdem noch festgestellt hat, dass die Artikel der Männer viel länger seien als die von Frauen, wird am besten noch gleich eine einheitliche Artikellänge von sagen wir mal 2000 Zeichen festgelegt, damit jede Diskriminierung auch auf diesem Gebiet unterbunden wird.
Man kann sich lebhaft ausmalen, wie sehr Wikipedia von solch einer Quotenregelung profitieren würde. Wahrscheinlich ähnlich stark wie unsere Wirtschaft und unser Arbeitsmarkt von einer Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte. Wikipedia würde vielfältiger und bunter. Vorbei wäre es mit den endlos langen Beiträgen über Formel-1-Boliden und ihr technisches Innenleben, über öde Computerspiele und die Grundlagen der Quantenphysik. Statt dessen kämen wirklich interessante Themen aufs Tapet. Den Ikonen von feministischem Opferkult, weiblicher Bewusstseinsbildung und larmoyanter Nabelschau der eigenen Befindlichkeiten käme endlich die Bedeutung zu, die ihnen schon lange gebührt. Die elende Dominanz der „PPPP“ (Pale Patriarchal Penis People), also der alten weißen Männer, wäre endlich vorbei; der quälende Selbstfindungsprozess einer Simone de Beauvoir nähme verdientermaßen den gleichen Raum ein wie die platte Schilderung des Lebens von Albert Einstein.
Soweit die Theorie. Und wie wird es wirklich ablaufen? Sollte Wikipedia tatsächlich dem Quotenirrsinn verfallen und ihn auf die Spitze treiben, wird irgendjemand im Handumdrehen eine neue Online-Lexikonplattform ohne jegliche Quotierung gründen, die dem derzeitigen Marktführer in Windeseile den Rang ablaufen wird. Mit Wikipedia war’s das dann. Schade. Dabei hatte man es doch so gut gemeint. Aber so ist nunmal das Leben: hart, grausam, ungerecht.
Weil dem so ist, wird die „taz“ wohl auch keine Frauenquote für Leser- und Leserinnenbriefe einführen. Obwohl wir es ihr glatt zugetraut hätten.
Das kam so: Eine Leserin aus Leipzig beschwerte sich neulich bei der Redaktion: „In den letzten beiden Tagen habt ihr keinen einzigen LeserINNENbrief – also von einer Frau! – veröffentlicht. Überhaupt kommen Leserinnen ziemlich selten in eurer Leserbriefspalte vor. Interessiert es euch nicht, was Frauen sagen? (…) Vielleicht solltet ihr analog zu Frauenstudiengängen an Unis eine reine Frauenleserbriefspalte einrichten, damit sich mehr trauen …“
Normale Zeitungen hätten sich über solche Zuschriften köstlich amüsiert und sie allenfalls in der hausinternen Mitarbeiterzeitschrift veröffentlicht – auf der Witzseite. Die „taz“ ist in solchen Dingen jedoch bekanntlich sehr beflissen und nimmt so etwas überaus ernst. Einfühlsam antwortete Rosemarie Nünning von der taz-Leserbrief-Redaktion: „Liebe Frau Osthaus, Sie haben richtig beobachtet. Im Interesse einer Gleichberechtigung würden wir nur zu gerne Briefe von Leserinnen und Lesern an die taz zahlenmäßig ausgewogen veröffentlichen. Zuschriften von Lesern (Männern) dominieren aber den Posteingang. Der Anteil von auf Papier oder elektronisch versandten Briefen, die von Frauen verfasst wurden, liegt bei höchstens zehn bis zwanzig Prozent. Möglicherweise spiegeln sich auch hier nur gesellschaftliche Verhältnisse wider, in denen Frauen immer noch benachteiligt werden. Vielleicht ist es auch Ergebnis besonderer Belastung und geringerer Zeit bei Frauen. Ob wir das durch eine Frauenbriefspalte ändern würden?“
Ehrlich gesagt: auf die bescheuerte Idee, dass sich die Benachteiligung (welche überhaupt?) von Frauen darin äußern könnte, dass sie weniger Leserbriefe schreiben können oder wollen, muss man erst einmal kommen. Hut ab! Dass Frauen besonders belastet sind und weniger Zeit haben, kann indes jeder nachvollziehen. Irgendwann müssen sie die ganzen bunten Blättchen, oberflächlichen Fernsehsendungen und megadicken Historienromane ja mal konsumieren, die für sie speziell produziert und massenhaft von ihnen gekauft, gelesen und angeschaut werden. Wer hat da noch Zeit, Leserbriefe zu schreiben? Wie einfach haben es da die Herren der Schöpfung, die von der Arbeit frisch erholt nach 10 Stunden zu Hause eintreffen, schnell zu Abend essen, den PC anschmeißen und dann den Rest des Abends einen Leserbrief nach dem anderen raushauen. Vielleicht sind es aber auch überwiegend ledige oder geschiedene Männer, die mit den starken, sich permanent benachteiligt fühlenden und nach Quoten schreienden Frauen nicht zurecht kommen (wollen), deshalb ein ruhigeres Leben führen und so auch mehr Zeit für Leserbriefe haben?
Dass Frau Nünning nicht nur an Wirklichkeitsverlust leidet, sondern auch – eine altbekannte Feministinnenkrankheit – mit zweierlei Maß misst, wird jedem klar, der sich nur einmal im Zeitschriftenhandel umsieht. Von gefühlten 90 Prozent aller bunten Blättchen lächelt einem dort eine Frau entgegen. Nein, nicht nur vom „Playboy“-Cover, sondern auch von so gut wie jeder Fernseh- und sonstigen Frauenzeitschrift. Mit den Worten von Frau Nünning könnte man jetzt sagen: Möglicherweise spiegeln sich auch hier nur gesellschaftliche Verhältnisse wider, in denen Männer immer noch benachteiligt werden. Könnte man, um dann im gleichen Atemzug eine Männerquote für die Titelseiten von Fernsehzeitschriften zu fordern. Aber muss man denn wirklich jeden Quatsch nachmachen, in den andere sich verrannt haben?
Denn wer genau hinsieht, wird erschreckt feststellen, dass die weitaus meisten dieser Frauen auch noch blond sind, außerdem jung und niederträchtigerweise ausgesprochen ansehnlich, was gerade Grüne-Wählerinnen und taz-Leserinnen begreiflicherweise besonders auf die Palme bringen dürfte. Noch dazu sind sie weit überwiegend mitteleuropäischer Herkunft, was Migrantinnen ausgrenzt, und nie findet sich auf den Zeitschriftentiteln mal eine Brillenträgerin – mit Ausnahme vielleicht der Rentner-Bravo (Apothekenumschau).
Da hilft nur noch ein umfangreiches Quotenregelwerk, damit die benachteiligten Männer, Brünetten, Brillenträger, Nichteuropäer, Hässlichen, Alten usw. keinen Anlass sehen, sich zurückgesetzt zu fühlen. Jedem von ihnen sollte eine 25-prozentige Quote zustehen, damit auch hier endlich einmal Gerechtigkeit einkehrt.
So, und damit Ihnen die Zeit bis zum nächsten Rundbrief nicht zu lang wird, hier noch unsere Hausaufgabe: Bitte errechnen Sie die verbindliche Zeitschriften-Titelblatt-Quote a) für hässliche Männer mit Migrationshintergrund und Brille (die spezielle Bartträgerquote bei Männern bitte nicht vergessen!) sowie b) für rothaarige Europäerinnen über 60 mit Zahnlücke. An die Arbeit!
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article12405504/Wikipedia-macht-Quote.html
http://blogs.taz.de/hausblog/2011/01/11/braucht-die-taz-eine-frauenleserbriefspalte/
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