Kanzlerin antwortet auf die Initiative „Männerfeindlichkeit stoppen!“
Kommentar zur Antwort der Kanzlerin auf die Initiative „Männerfeindlichkeit stoppen!“
von Dr. Bruno Köhler, Vorstandsmitglied bei MANNdat e.V.
Wie steht die Politik zur zunehmenden Misandrie in der Gesellschaft, aber auch in der Politik? Eine interessante Frage, die vom Verein Agens mit Unterstützung von MANNdat an Politikerinnen und Politiker gestellt wurde. Da redet eine FDP-Politikerin von Männern als „halbe Wesen“, für eine CSU-Politikerin sind Männer „Kerle“, eine CDU-Politikerin will die legalisierte Zwangsarbeit für Männer einführen, bei den Grünen haben Frauen mit einem Frauenveto das Recht, Männern nach Belieben den Mund zu verbieten, die SPD entmenschlicht Männer mit ihrem Grundsatz, dass Männlichkeit nicht menschlich sein kann. Von der stereotypen Darstellung von Jungen und Männern in den Medien – auch in den öffentlich-rechtlichen – als Trottel ganz zu schweigen. Und das in einem Land, das in seiner Verfassung in Artikel 1 etwas von einer unantastbaren Würde des Menschen redet.
Die Hilflosigkeit, mit der einige der Politikerinnen und Politiker mit der Frage nach der zunehmenden Misandrie umgehen, zeigt, dass das Thema bislang bei der Politik wenig Beachtung fand. Umso positiver ist, dass nun auch Kanzlerin Merkel hat antworten lassen. Der Antworttext ist hier zu lesen.
Zwar geht die Antwort im Namen der Kanzlerin an der eigentlichen Frage, nämlich wie sie zur zunehmenden Misandrie in Deutschland stehe und was sie dagegen unternehmen wolle, vorbei. Aber das ist für Politikerantworten nicht unüblich, denn Politiker antworten gerne nur auf das, was sie tun wollen und nicht auf das, was sie nicht tun wollen. Dass sich die Antwort deshalb auf das Jungenthema konzentriert, ist zumindest für das Thema „Jungenförderung“ schon mal positiv. Hier lohnt es sich durchaus, näher hinzuschauen.
Die Antwort besteht aus drei Teilen. Zuerst kommen die üblichen Allgemeinplätze, danach wird auf das Projekt „Neue Wege für Jungs“ verwiesen und schließlich wird der neu eingerichtete Beirat zur Jungenpolitik genannt.
„Die Bundesregierung wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung und unterstützt mit ihrer Politik ausdrücklich die Gleichstellung von Frauen und Männern.“
Diese Aussage aus der Antwort klänge überzeugend, hätte just vor wenigen Tagen die PISA-Studie 2009 nicht gezeigt, dass die eklatanten geschlechterspezifischen Unterschiede im Lesen zuungunsten der Jungen seit der ersten Studie vor neun Jahren nicht nur gleichgeblieben sind, sondern sich sogar noch um 5 Punkte vergrößert haben. Wenn man die Nachteile von Jungen also wirklich hätte beseitigen wollen, was hätte die Politik davon abhalten können, dies in den vergangenen neun Jahren, davon immerhin fünf unter einer CDU-Kanzlerschaft, zu tun?
2009 kündigte die schwarz-gelbe Koalition die Einführung einer eigenständigen Jungen- und Männerpolitik und einen Dialog zu dem Thema an. Ohne Frage eine bemerkenswerte Weiterentwicklung der Geschlechterpolitik. Der ursprüngliche Entwurf im Koalitionsvertrag lautete:
„Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln und dabei insbesondere die Bildungs- und Entwicklungschancen von Jungen und Männern verbessern, ihre Lebensentwürfe erweitern und neue Perspektiven eröffnen.“
Im offiziellen Koalitionsvertrag hieß es dann allerdings nur noch:
„Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln und bereits bestehende Projekte für Jungen und junge Männer fortführen und intensivieren. Damit eröffnen wir ihnen auch in erzieherischen und pflegerischen Berufen erweiterte Perspektiven.“
Die konkrete Forderung nach einer Bildungsförderung von Jungen ist komplett weggefallen. Die neuen Perspektiven für Jungen und Männer wurden auf einige ausgewählte, gering bezahlte frauendominierte Berufsbereiche zusammengestrichen. Besser bezahlte männerunterrepräsentierte Berufe, wie Arzt oder Veterinärmediziner, werden nicht genannt. Im weiten sozialen Berufsfeld soll lediglich der pflegerische Bereich geöffnet werden. Pädagogische Berufe bleiben gänzlich unerwähnt.
Bei der Integrationspolitik sind die männlichen Migrantenjugendlichen offensichtlich sogar vergessen worden, denn da sieht der der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag 2009 lediglich eine Bildungsoffensive für weibliche Migrantenjugendliche vor:
„Wir wollen die Teilnahme zugewanderten Frauen und Mädchen aus allen Kulturkreisen am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben fördern. Dafür brauchen wir eine Bildungs- und Ausbildungsoffensive für Migrantinnen.“
Klingt das nach Beseitigung der Bildungsnachteile von Jungen? Eher nicht. Die momentane politisch finanzierte Jungenpolitik beschränkt sich deshalb auch vorwiegend auf die übliche „männlichkeitskritische Rollenbilddiskussion“, wie seit Jahren. Es ist die gleiche Jungenpolitik, die an den aktuellen Bildungsstatistiken erkennen lässt, dass sie für die Verbesserung der Bildungschancen von Jungen nichts taugt.
Ein echter Dialog zur Jungen- und Männerpolitik, wie er versprochen wurde, hat zudem nie stattgefunden, da Organisationen, die die Nachteile und Benachteiligungen von Jungen thematisieren und sich in der Jungenleseförderung engagieren, aus der Debatte bewusst ausgeschlossen wurden. Die längst notwendige Entideologisierung von Jungenförderung wird so verhindert.
Das in der Antwort vorgestellte Projekt „Neue Wege für Jungs“ ist kein Bildungsförderprojekt, sondern ein Projekt zur männlichkeitskritischen Rollenbilddiskussion, zur Berufswahlerweiterung und zur Sozialisation von Jungen. Hier geht es also nicht darum, die Lesekompetenz von Jungen zu verbessern oder deren Nachteile durch die tendenziell langsamere Entwicklung der Jungen im Bereich Sprachfähigkeit und Motorik zu beseitigen. Das Letztere wäre dringend erforderlich, um Jungen aus dem Bildungsabseits zu holen.
Einzig die Information über die Bildung eines Beirates zur Jungenpolitik lässt hoffen. Es hängt natürlich davon ab, ob dieser jungenpolitische Beirat dazu bereit ist, die konservativen Wege in der Jungenpolitik zu verlassen und stärker auf die Anliegen und Belange von Jungen einzugehen. Denn das ist die Kernfrage: Wie weit ist die Politik bereit, die bislang gynozentrische Sichtweise der Geschlechterpolitik zu verlassen und auch Jungen und Männer in den Blick zu nehmen? Der Ersatz von Ursula von der Leyen durch Kristina Schröder als Jugendministerin der Jungenpolitik war in dieser Hinsicht auf jeden Fall wichtig, denn Ursula von der Leyen war auch als Jugendministerin vorrangig Frauenministerin und zeigte an der Bildungssituation von Jungen nur wenig Interesse. Mit Frau Schröder ist jetzt zum ersten Mal eine Politikerin auf dem Posten der Jugendministerin, die, zumindest nach dem bisherigen Erscheinungsbild, durchaus auch Jungen in den Blick nehmen möchte.
Sie wird es schwer haben in einem Ministerium, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch geprägt sind von der geschlechterspezifischen Jugendpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die vorrangig im bloßen Weglassen und Ausgrenzen von Jungen bestand. Aber der jungen Ministerin wird ja durchaus Durchsetzungsvermögen nachgesagt.
Vor diesem Hintergrund ist die Antwort der Kanzlerin, die Jungenpolitik thematisiert, durchaus als hoffnungsvoll zu werten.
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