Männer und ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt

von Manndat

Die genderneutrale Gewaltforschung zeigte schon in den 70er Jahren, dass neben der Gewalt gegen Frauen durch Männer auch Gewalt von Frauen gegenüber Männern sowie Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen häufig vorkommen. Dr. Elizabeth Bates zeigt in ihren Studien, dass häusliche Gewalt auf Männer genauso schlimme körperliche und seelische Auswirkungen hat wie auf Frauen. Bates zeigt zudem die Mechanismen auf, weshalb ein Großteil der Männer nie mit jemandem über die erlebten Misshandlungen spricht oder gar eine polizeiliche Anzeige erstattet. Außer den Gefühlen von Scham und Blamage bzw. dem unmännlich empfundenen Opfer-Status war bei den Vätern ein häufiger Grund, dass sie ihre Kinder nicht verlieren, die Kinder beschützen oder die Familie zusammenhalten wollten. Soziale Hürden waren Falschbeschuldigungen durch die Partnerin oder deren Androhung sowie Ängste vor negativen Reaktionen des Umfeldes. Auf der strukturellen Ebene steht oft die Sorge, von Polizei, Sozialarbeitern und Gerichten nicht ernst genommen zu werden oder möglicherweise selbst wie ein Täter behandelt zu werden.

Vom 21. bis zum 22. Juni 2019 fand am University College London (UCL) die Male Psychlogyy Conference statt. Es folgt hier eine Zusammenfassung des Vortrages von Dr. Elizabeth Bates mit dem Titel „Men and their experience of domestic violence“.

Das Video ist auf dem Youtube-Kanal mit dem Namen Male Psychology Network zu finden.

Video zum Vortrag von Dr. Elizabeth Bates

Zur Person

Dr. Elizabeth Bates absolvierte ihren PhD in Psychologie an der University of Central Lancashire.

In ihrer Rede erwähnt sie vier verschiedene Studien, bei denen sie mitgewirkt hat. Besonders intensiv geht sie auf ihr aktuelles Projekt ein.

Seit über 12 Jahren forscht Dr. Elizabeth Bates zum Thema häusliche Gewalt, wobei ihr Fokus auf den Erfahrungen männlicher Opfer liegt. Sie lehrt und forscht an der University of Cumbria, wo sie die Position Senior Lecturer im Fach Psychologie am Institute of Health inne hat.

Der Vortrag

Bates beginnt ihre Präsentation mit dem Hinweis, dass die Thematik der männlichen Opfer häuslicher Gewalt in den letzten Jahren mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, dass generell im öffentlichen Diskurs mehr darüber gesprochen wird als zu Beginn ihrer Arbeit in dem Bereich, dass jedoch weiterhin noch viel zu tun ist.

Anschließend geht sie kurz auf die akademische Theorie und Literatur ein, die auch Einfluss auf die praktische Arbeit mit Betroffenen hat.

Bis in die 1970er Jahre wurde Gewalt in Familie und Beziehungen nicht öffentlich besprochen, was „hinter verschlossenen Türen“ passierte war ein gesellschaftliches Tabu. Insofern hat die feministische Bewegung wichtige Pionierarbeit geleistet, indem sie das Thema in den öffentlichen Diskurs brachte. Allerdings entstand aufgrund dieser feministisch geprägten Perspektive eine genderspezifische Narrative, die Männer pauschal als Täter und Frauen pauschal als Opfer stilisiert. Dem liegt die Grundannahme zugrunde, dass die Gewalt von Männern gegenüber Frauen aufgrund patriarchaler Strukturen stattfinde, die das Verhalten der Männer steuern und die Gewalt gegen Frauen legitimieren. Damit einher geht die Idee, dass die Gesellschaft wegen ihrer patriarchalen Werte diese Gewalt gegen Frauen toleriere.

Parallel dazu entwickelte sich eine Gewalt- und Konfliktforschung, die auch männliche Opfer in den Blick nimmt. Diese bekam allerdings deutlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit.
In ihrem 1978 veröffentlichten Werk „the battered husband syndrome“ thematisiert Suzanne K. Steinmetz, dass Männer ebenfalls Opfer häuslicher Gewalt werden, aber wegen der gesellschaftlichen Stigmatisierung keine Hilfe suchen bzw. nicht ernst genommen werden.

1972 entwickelte Murray A. Straus die Conflict Tactics Scales (CTS-Methode), eine genderneutrale Befragungsmethode zu Konflikten in Beziehungen. Bei diesen Umfragen zeigt sich immer wieder, dass neben der Gewalt gegen Frauen durch Männer auch Gewalt von Frauen gegenüber Männern sowie Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen häufig vorkommen.

Die genderneutrale Gewaltforschung wurde schon früh von Vertretern der feministisch orientierten Wissenschaft kritisiert. Häufig wird angemerkt, dass die erlebte Gewalt auf Männer nicht so schwerwiegende Auswirkungen hätte wie auf Frauen und dass selbst wenn eine Frau körperliche Aggressionen zeigt, es vermutlich Selbstverteidigung sein müsse.

Dr. Liz Bates bringt ein besonders eindrucksvolles Zitat von Michael Johnson, dass diese Haltung verdeutlicht: „Wenn eine Frau im Streit ihren Ehemann ohrfeigt wird er das wahrscheinlich nicht als einen ernsthaften Versuch sehen, ihm körperlichen Schaden zuzufügen. Tatsächlich wird er es wohl eher als eine niedliche Form der femininen Kommunikation empfinden.“

Als einen Grund für die Bagatellisierung weiblicher Gewalt gegen Männer nennt Bates die „Ritterlichkeit“ (Chivalry). Gewalt gegen Frauen wird von der Gesellschaft nicht toleriert. Seit der Kindheit wird Männern beigebracht, dass man niemals eine Frau schlagen darf. Die hemmende Wirkung dieser Norm führt dazu, dass Männer die selbst Opfer von Gewalt werden sich nicht wehren. Gewalt gegen Männer und weibliche Aggression werden jedoch nicht in der gleichen Weise verurteilt.

Die Studie

Dr. Elizabeth Bates stellt anschließend ihre aktuelle Studie vor:

Das erklärte Ziel dieser ist die qualitative Erforschung von Gewalt gegen Männer durch Frauen in intimen Beziehungen.

Bates entwickelte dazu einen anonymisierten online Fragebogen, in dem Männer nach ihren Erlebnissen mit Gewalt durch ihre Partnerin befragt wurden. Einige Teilnehmer hatten teils massive körperlicher und seelischer Gewalt erfahren. Betroffene berichteten von Schlägen, Tritten, Spucken, Schubsen, Kratzen, geworfenen Gegenständen usw. Bei körperlichen Übergriffen fanden Täterinnen häufig Wege um ihre geringere physische Stärke auszugleichen, indem sie ihren Partner angriffen, während dieser z.B. geschlafen hat oder in der Dusche war.

Bates nennt das Konzept das zu kontrollierendem Verhalten entwickelt wurde: „coercive control“.

Diese Form der Misshandlung beinhaltet oft eine Kombination aus emotionaler Gewalt, sozialer Kontrolle, finanzieller Kontrolle und nicht selten auch körperlichen Übergriffen. Nach der ideologischen Patriachiats-Theorie können Frauen keine Kontrolle ausüben, da sie keine soziale Macht hätten. Wenn sie sich aggressiv verhalten sei das aufgrund von einem Verlust von Kontrolle bzw zur Selbstverteidigung. Tatsächlich zeigen Untersuchungen jedoch, dass Frauen mindestens genau so häufig wie Männer kontrollierende Unterdrückung des Partners anwenden. Bates stellte in ihren Untersuchungen fest, dass im Bereich der rechtlichen und administrativen Aggression Frauen häufiger Täter sind als Männer. In einer Studie von Hines, Brown and Dunning (2007) berichteten 50,3% der Männer, dass Systeme gegen sie verwendet wurden. Manche Partnerinnen kontrollierten das Opfer indem sie ihm soziale Kontakte untersagten, Nachrichten löschten, vertrauliche Dinge ausplauderten, Drohungen aussprachen (z.B. den gemeinsamen Kindern etwas anzutun) oder nicht zugelassen wurde, dass die Meinung der Partnerin in Frage gestellt werden durfte.

Sexualisierte Gewalt im weiteren Sinne fand durch psychische Manipulation beim Thema Schwangerschaft statt. Aber auch direkter Zwang zu sexuellen Handlungen, z.B. durch unfreiwilliges Anlegen von Handschellen, während das Opfer schlief und anschließende Penetration mit einem Dildo, kam vor. Ein großes Problem ist dabei die gesetzliche Definition von Vergewaltigung im britischen Strafrecht, die weibliche Täterinnen nicht vorsieht.

Etwa zwei Drittel der betroffenen Männer gaben an, sich nie gewehrt zu haben. Als Grund dafür nannten sie einerseits gesellschaftliche Normen aber auch Angst vor der Partnerin bzw. und vor negativen sozialen und rechtlichen Konsequenzen, die eine Gegenwehr nach sich ziehen könnte.

In den meisten Studien zu häuslicher Gewalt werden nur die Erfahrungen jüngerer Menschen abgefragt. Dr. Liz Bates befragte eine Stichprobe von Männern über 60 zu ihren Erlebnissen, um die spezifischen Umstände älterer Männer zu betrachten. Sie stellte fest, dass häusliche Gewalt im Alter zwar seltener vorkam, aber immer noch regelmäßig berichtet wurde. Es gab Männer die erzählten, dass körperliche und seelische Misshandlungen durch ihre Frau über Jahrzehnte andauerte und auch im Alter nicht abnahm. Gerade ältere Männer sind oft hilflos, da sie nicht mehr so fit sind und somit auch weniger wehrhaft. Ein Mann berichtete, dass seine Frau ihm einreden wollte, dass er Alzheimer habe.

Folgen der Gewalt

Eine nicht nur im Alltag verbreitete, sondern durchaus auch in der akademischen Literatur verwendete Argumentationsweise ist, dass Männer nicht so stark unter den Folgen von körperlicher und seelischer Misshandlung leiden wie Frauen, da sie „groß und stark“ sind.
Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass häusliche Gewalt auf Männer genauso schlimme körperliche und seelische Auswirkungen hat wie auf Frauen. (E.g. Hines & Douglas (2011) mental health; Hines (2007) PTSD

In einer weiteren Studie untersuchte Bates die mittel- bis langfristigen Folgen von den in Beziehungen erlittenen Misshandlungen der Männer. Dazu verwendete sie die Methode der „Photo elicitation“. Betroffene sollten Fotos mitbringen die repräsentieren wie es ihnen nach der Zeit in einer gewalttätigen Beziehung ergangen ist. Es wurde deutlich, dass die Betroffenen auch Jahre nach einer Trennung noch häufig unter starken Depressionen und Gefühlen der inneren Leere litten. Auch Essstörungen und Alkoholmissbrauch waren häufige Folgen der Misshandlungen.

Bei den Vätern im sample wurde erneut deutlich, dass sie besonders unter verlorenen oder zerstörten Beziehungen zu ihren Kindern litten.

Bates befragte in einer „follow up study“ 13 Männer zu ihren Erlebnissen von Misshandlungen nach einer Trennung oder Scheidung.

Oft finden dann weiterhin gewalttätige Handlungen statt. Zwar fallen körperliche Übergriffe aufgrund der räumlichen Trennung größtenteils weg, aber es kommt häufig zu anhaltender Belästigung (z.B. immer wieder Anrufe, E-Mails usw. Zum Teil über Jahre). Außerdem wird häufig von Erpressung im Umgang mit gemeinsamen Kindern berichtet. Auch Falschanschuldigungen über häusliche Gewalt durch den Ex-Partner gegen die Täterin oder die Kinder werden aufgegeben oder als Drohmittel benutzt.

Hürden bei der Suche nach Hilfe

In den ersten beiden Studien wurde deutlich, dass ein Großteil der Männer nie mit jemandem über die erlebten Misshandlungen gesprochen, geschweige denn eine polizeiliche Anzeige erstattet hatte.

Aus der Literatur über häusliche Gewalt gegen Frauen ist bekannt, dass es eine Menge Hürden gibt, die es dem Opfer erschweren Hilfe zu finden. Daraufhin untersuchte Liz Bates in Zusammenarbeit mit Julia Taylor die spezifischen Hürden, mit denen männliche Opfer häuslicher Gewalt zu kämpfen haben. (Taylor, Bates, Colosi and Creer (2019))

Die Barrieren lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen: persönlich, sozial, strukturell.

Zu den persönlichen Barrieren zählten Gefühle von Scham und Blamage bzw. dem empfundenen Nicht-Zusammenpassen des Opfer-Statusess mit dem Idealbild von Männlichkeit.

Bei den Vätern war ein häufiger Grund keine Anzeige zu erstatten, dass sie ihre Kinder nicht verlieren wollten, die Kinder beschützen oder die Familie zusammenhalten wollten.
Soziale Hürden waren falsche Anschuldigungen durch die Partnerin oder die Androhung dies zu tun. Außerdem spielten häufig Ängste vor negativen Reaktionen des Umfeldes (Freunde, Netzwerke) eine Rolle.

Auf der strukturellen Ebene steht oft die Sorge, von Polizei, Sozialarbeitern und Gerichten nicht ernst genommen zu werden oder möglicherweise selbst wie ein Täter behandelt zu werden.

Dadurch können nicht nur massive rechtliche Konsequenzen folgen, es findet häufig auch eine zweite Traumatisierung statt. Das Opfer ist bereits in seiner Würde verletzt und wird dann, wenn er sich jemandem anvertraut erneut viktimisiert, weil man ihm nicht glaubt oder sich über sein Leiden lustig macht.

Abschließend

Bates beendet ihren Vortrag mit ein paar allgemeinen Hinweisen zu Problemen, die noch zu beheben sind. Dazu gehört die aktuelle Gesetzgebung (bezogen auf England) z.B. den „Domestic Abuse Bill“ nach der häusliche Gewalt als gender-spezifisches Verbrechen behandelt wird. Diese schließt männliche Opfer weiblicher Gewalt sowie männliche Opfer in gleichgeschlechtlichen Beziehungen aus.

Außerdem spricht sie den Abschnitt „Section 76“ des „Serious Crime Act 2015“ an. Dieser bezieht sich auf Gewalt durch aktuelle Partner, eine/n Ex Partner/in der/die im Haus lebt oder auf Verwandte. Wenn Gewalt von einem/einer Ex Partner/in ausgeht, so spricht man von Stalking und Belästigung. In dieser Kategorie sind aber falsche Anschuldigungen und Manipulation im Bezug auf gemeinsame Kinder nicht mit inbegriffen. Dadurch wird es Männern erschwert bei diesen Problemen Unterstützung zu bekommen.

Quellen:

– Bates, E. A. (in press). „Walking on egg shells“: A qualitative examination of men’s experience of intimate partner violence. Psychology of Men and Masculinity

– Bates, E. A. (in press). „No one would ever believe me“: An exploration of the impact of intimate partner violence victimization on men. Psychology of Men and Masculinity

– Bates, E. A. (2018c) „I am still afraid of her“: Men’s experiences of post-separaton abuse. Partner Abuse.

– Bates, E. A. & Carthy, N. (2019) „She convinced me I had Alzheimer’s“: Experiences of intimate partner violence in older men“ In preparation

– Taylor, J. C. & Bates, E. A., Colosi, A., & Creer, A. J. (2019) A qualitative examination of social barriers to men’s help-seeking for intimate partner violence. In preparation.

– Bates, E. A. & Taylor, J. C. (2019) „I had no idea how painful it would be“: A photo elicitation exploration of men’s recovery from intimate partner violence. In preparation.

Beitragsbild: gewalt-gegen-mann-shutterstock_770223718_718.jpg

 

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Lesermeinungen

  1. By Dr. Bruno Köhler

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