Gender Mainstreaming nur für Mädchen?

von Manndat

Die Arbeitsgruppe ‚Digitale Medien in der Bildung‘ (dimeb) an der Universität Bremen fordert die „gendergerechte Schule“. Allerdings nur für den naturwissenschaftlichen Unterricht, nicht für Leseunterricht und andere Bereiche, in denen eher Jungen Probleme haben.

MANNdat hat der dimeb einen Offenen Brief geschrieben und gefragt, ob Gender Mainstreaming mal wieder nur für Mädchen und Frauen gilt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir beziehen uns auf einen Artikel „Gendergerechte Pädagogik in den Naturwissenschaften“ vom 13.05.2009 aus „Lehrer online“ (http://www.lehrer-online.de/naturwissenschaften-und-gender.php?sid=38426049072833447924650825082880 Abruf 02.07.09).
Ihre Forderung nach einer gendergerechten Schule, also einer Schule, die Mädchen UND Jungen gleichermaßen optimal fördert, unterstützen wir voll und ganz. Aber genau diese Gendergerechtigkeit, die Sie vehement einfordern, vermissen wir bei Ihrer Arbeit. Der Artikel beschränkt sich lediglich auf die gendergerechte Förderung im naturwissenschaftlichen Unterricht. Sie schreiben: „Gerade in den naturwissenschaftlichen Schulfächern ist eine Sensibilisierung der Lehrkräfte bezüglich der Genderthematik viel versprechend und kann maßgeblich zur Verbesserung des Schulerfolgs von Schülerinnen und Schülern, der Erhöhung ihrer Motivation und zur Verbesserung der Unterrichtsatmosphäre beitragen.“
Warum soll diese Gendergerechtigkeit nicht auch in anderen Fächern stattfinden, z.B. in Deutsch? Eine Sensibilisierung der Lehrkräfte bezüglich der Genderthematik wäre auch im Bereich Lesen vielversprechend – und notwendig. Schon die PISA-Studie 2000 hat Jungenleseförderung als wichtige bildungspolitische Herausforderung bezeichnet. Eine Herausforderung, der sich die Politik auch in Zeiten des Gender Mainstreaming bis heute nicht ernsthaft stellt.
Es ist sicher kein Zufall, dass, obwohl Jungen heute die schlechteren Bildungserfolge haben, sich Ihr Artikel ausgerechnet in dem Bereich für Gendergerechtigkeit einsetzt, in dem Mädchen schlechtere Durchschnittswerte in der Schule zugesagt werden. Bereiche, in denen Jungen schlechtere Ergebnisse erzielen, werden gar nicht oder nur am Rande erwähnt. So wird z.B. Sprachfähigkeit nur einmal kurz in einem Zitat genannt. Lesekompetenz wird in Ihrem Artikel überhaupt nicht erwähnt.
Betrachtet man Ihre Internetpräsenz, stellt man fest, dass Sie sich bei einer Reihe von mädchenspezifischen Förderprojekten bzw. Projekten mit mädchenspezifischer Komponente beteiligen:

– Virtual International Women’s University (vifu)
– Schlüsselqualifikationen für Frauen in leitenden Positionen (HWP II)
– Projekt DATAWOMSCI
– GIST: Gender and Information Society Technology
– Gender Mainstreaming im Projekt Intranet-Redaktion der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen
– European Platform of Women Scientists
– Gender Mainstreaming im Gesamtprojekt Mobile Campus der Universität Bremen
– Roberta – Mädchen erobern Roboter
– Gender Mainstreaming und digitale Medien

Ein Projekt zur jungenspezifischen Förderung sucht man jedoch vergebens. Selbst beim Leseförderprojekt „TAEXT-Akademie. Forschungskooperation Lesekompetenz in der Digitalen Kultur“ ist eine jungenspezifische Förderkomponente nicht zu finden.
Diese Einseitigkeit der Ausrichtung genderspezifischer Förderung auf Mädchenförderung bei gleichzeitigem Ausschluss von Jungenförderung widerspricht Ihrem Wunsch nach Gendergerechtigkeit.
Ihre Aussage auf www.lehrer-online.de/dimeb.php :
„Weiterhin gestaltet dimeb gendergerechte Lernumgebungen, führt die Begleitforschung von „Roberta“ und „Roberta Goes EU“ mit einem Schwerpunkt auf der Genderthematik durch und bearbeitet weiterführende Projekte zum Thema Gender Mainstreaming.“ können wir auch nicht nachvollziehen. Das Projekt Roberta ist ein reines Mädchenförderprojekt. Genderthematik und Gender Mainstreaming sollte aber mehr sein als das bloße Weglassen von Jungen. Bei der einseitigen Mädchenförderung wird zudem übersehen, dass auch in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften, aber auch im Computerumgang (siehe hierzu die Studie „Bildungsmisserfolge von Jungen“ des Bundesbildungsministeriums) der Großteil der Schüler und Schülerinnen mit den schlechtesten Kompetenzen Jungen sind. Dies wissen Sie sicherlich besser als wir. Durch die gezielte Förderung ausschließlich von Mädchen und die damit verbundene pauschale Ausgrenzung von Jungen bleiben vor allem die Jungen zurück, die entgegen dem Geschlechterklischee eben nicht als Mathematikgenies oder Computerfachleute geboren werden.
Ist es nicht fatal, dass deshalb ausgerechnet genau diejenigen Jungs die größten Verlierer dieser genderspezifischen (sprich rein mädchenspezifischen) Förderung sind, die nicht den gängigen Jungenklischees vom Computerfreak und Technikfan entsprechen? Man kann Mädchen fördern, ohne Jungen pauschal auszugrenzen.
Geschlechtertypische Auffälligkeiten sind zudem im Gegensatz zu Ihrer Behauptung nicht durchweg konstruiert, sondern – zumindest teilweise – durchaus auch biologisch gegeben. Eltern, aber auch Pädagoginnen und Pädagogen wissen aus Erfahrung, dass sich Jungen in den Bereichen Feinmotorik und Sprachfähigkeit tendenziell langsamer entwickeln als Mädchen. Diese Erfahrungswerte wurden mittlerweile durch Auswertung von ärztlichen Befunden aus den Schuleingangsuntersuchungen bestätigt. So weisen Jungen in diesen wichtigen schulischen Kompetenzen zum Zeitpunkt der Einschulung 50% häufiger Defizite auf als Mädchen, wie z.B. aus den Daten der Drucksache 14/1682 des Bildungsministeriums von Baden-Württemberg hervorgeht.
Wenn wir auch Jungen gleiche Chancen geben wollen beim Start in die Schullaufbahn, dann müssten wir schon im Vorschulbereich die Stärkung in diesen Kompetenzen auch unter geschlechterspezifischem Aspekt angehen. Ein Gender Mainstreaming, das nur Mädchen in den Blick nimmt, scheitert an seinem eigenen Anspruch, beide Geschlechter berücksichtigen zu wollen.
Wie gesagt, Ihren Aufruf zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Schule unterstützen wir uneingeschränkt. Aber wir würden es begrüßen, wenn sich dieser Wunsch auch in Ihrer Arbeit niederschlagen würde. Geschlechtergerechtigkeit darf nicht dort enden, wo die Nachteile und Benachteiligungen von Jungen anfangen.
Wir regen deshalb an, Ihrem Aufruf zu mehr Gendergerechtigkeit dadurch Nachdruck zu verleihen, dass Sie neben Mädchenförderprojekten auch Jungenförderprojekte durchführen.
Mit freundlichen Grüßen

 

Antwort von Frau Prof. Wiesner von dimeb:

Lieber Bruno Koehler

herzlichen Dank für Ihre Mail. Ich spreche jetzt einfach mal für mich, gehe aber davon aus, dass viele der von Ihnen angeschriebenen Personen, es ähnlich sehen.

 1. Das Roberta-Projekt (u. a.) hatte einen Schwerpunkt im Bereich der Mädchenförderung und Naturwissenschaften. Die Begründung für diese Schwerpunktlegung ist der Tatsache geschuldet, dass es in der BRD nur einen sehr geringen Anteil an Frauen in Naturwissenschaft und Technik gibt. Daher finde ich die DiMeB- Projekte auch durchgängig sehr wichtig. Trotz der Schwerpunktlegung wurde sich stets darum bemüht, auch den Jungenaspekt darin stark zu machen. (GM-Leitfaden) Die Arbeitsgruppe DiMeB ist vielschichtiger und vielseitiger als Sie diese dargelegt haben. Sie haben m.E. die Diversity-Aspekte unterbewertet und den darin eingelagerten Gender Aspekt ignoriert/übersehen.

 2. Die Forderung einer gendergerechten Pädagogik kann sich sowohl auf Jungen als auch auf die Mädchen konzentrieren. Publikationen, die sich auf beide Geschlechtsgruppen – gleichermaßen (!) – konzentrieren sind leider immer noch sehr selten. Noch seltener sind Publikationen, die sich dabei auch auf kulturelle Aspekte beziehen. Die Verlierer/innen unseres Schulsystemsystems sind insbesondere Personen mit Migrationshintergrund. Eine Forschungsförderung für diesen Diversity-Schwerpunkt zu bekommen, ist schlichtweg nicht einfach, halte ich aber für notwendig, um mehr diversity-orientierte Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen. Kurzum, ich schlage eine Erweiterung in Richtung diversity-orientierte gendergerechte Pädagogik vor.

 3. Ich selber halte es generell für problematisch, wenn innerhalb einer Berufsgruppe ein Geschlecht dominiert – sei es im Erziehungsbereich oder in technischen Berufen. Vor diesem Hintergrund finde ich Ihre Initiative auch sehr wichtig. Insofern finde ich auch einen Boysday mit einem sprachlichen oder geisteswissenschaftlichen Schwerpunkt durchaus auch sinnvoll.

 4. Es gibt mehr Übereinstimmungen als Gegensätze zwischen den Geschlechtern, auch die Zielvorstellungen sind häufig ähnlich. Insofern können auch Kooperationen zwischen Institutionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – projektbezogen – sehr sinnvoll sein.
 5. Eine kleine Frage am Rande —- Kennen Sie mein Buch „Die Inszenierung der Geschlechter in den Naturwissenschaften“? Darin sind – insbesondere in dem zweiten Kapitel – meine Gedanken zu dem Thema entfaltet – liest leider nur kein Mensch, da alle nur noch mit Querlesen von Artikeln beschäftigt sind.

 6. Ich suche ein Buch zu dem Thema Web 2.0 und Jungen – Können Sie mir eines empfehlen?

 7. Vielen Dank für Ihre Anregung und weiterhin viel Erfolg.

 8. Ich möchte diese „offene Mail“ dazu nutzen, alle mir bekannten Menschen in und um DimeB von Herzen zu grüßen.

 herzlichst
 Prof. Dr. Heike Wiesner
 HWR Berlin

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