INCELs – 3. Lösungen, Hilfen, Perspektiven

von Gastbeiträge

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Klein, Klinischer Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis. Experte für Männerpsychologie und -psychotherapie, u.a. mit den Themen Einsamkeit, Depression, Sucht und Selbstwert bei Männern befasst.

Im ersten Beitrag zu INCELs befasste sich Prof. Klein mit der Frage, wer oder was INCELs sind, woher sie kommen und was sie zu INCELs macht. Im zweiten Teil ging es um die Frage ein, warum Männer zu INCELs werden und wie sie in den Medien dargestellt werden. In diesem dritten Teil stellt Prof. Klein Lösungen, Hilfen und Perspektiven vor.

Bislang gibt es keine systematischen evaluierten Hilfen für INCELs. Es fehlen weitgehend Forschungsstudien und evidenzbasierte Programme für Psychotherapie bei diesen Männern. Dennoch lassen sich schon jetzt nützliche und hilfreiche Strategien ableiten, die systematischer Überprüfung in Bezug auf die beschriebene Klientel unterzogen werden sollten. Daher an dieser Stelle einige Ideen und Hinweise, welche Interventionen hilfreich sein könnten:

(1) Kognitive Klärung, kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation: INCELs sollten verstehen, warum sie überwiegend oder nur negative Feedbacks auf dem Partnermarkt erhalten; nach Möglichkeit sich nicht auf dem frustrierenden Online-Dating Markt mit ausschließlich visueller Selbstpräsentation (Tinder, Bumble etc.) bewegen; das Prinzip der sexuellen Selektion („female choice“) verstehen. Durch kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen (Rational-Emotive-Therapie nach Ellis; Kognitive Therapie nach Beck) die eigenen negativen und irrationalen Gedanken erkennen und modifizieren; realistische Erwartungen aufbauen und verfolgen.

Eine typische irrationale Haltung von INCELs ist, dass sie ein Recht auf Sexualität mit Frauen haben. Ein tieferes Verständnis des menschlichen Paarungsverhaltens zeigt, dass es ein solches Recht in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht geben kann. Aber auch die Erkenntnis, dass die Welt niemals gerecht und perfekt sein kann, gehört zu den wichtigen Kardinalkognitionen. Damit sind grundlegende Erkenntnisse über die Welt und das Leben gemeint. Vor allem sind es der „Gerechte-Welt-Glauben“, die „Alle-müssen-mich-lieben-Haltung“, der „Anstrengung-muss-Erfolg-bringen-Mythos“ und das „Immer-perfekt-sein-Streben“, die den Menschen das Leben übermäßig beschwerlich und unzufrieden machen.

(2) Feedback und Selbstoptimierung: lernen sich selbst und die eigene Attraktivität adäquat einzuschätzen; eigene Interaktionsverhaltensweisen optimieren; in kleinen Schritten mehr über sich lernen und behutsame Schritte bei der Suche nach Frauen gehen, ohne sich selbst psychisch zu überfordern oder zu beschämen. Am besten von der zwanghaften Suche nach einer Frau lassen und sich nicht mehr unter Zugzwang und Erfolgsdruck setzen. Den Stress aus der Suche nach Sex und Partnerschaft herausnehmen.

(3) Emotionale Klärung: Die mit Kränkungen und Zurückweisungen verbundenen Emotionen wahrnehmen und verarbeiten; besseren Selbstschutz aufbauen; Attributionsmuster in Zusammenhang mit Kränkung und Zurückweisung verändern; Gefühle von Selbst- und Fremdhass bearbeiten und verändern. Lernen mit wiederholten Enttäuschungen und Zurückweisungen umzugehen. Dabei Selbstakzeptanz bewahren oder wieder aufbauen. Sich vor Verbitterung bewahren oder lernen, diese aufzulösen und alternative emotionale Regulationsstrategien entwickeln.

(4) Existentielle Therapie: Wichtig ist es, die langfristigen Ziele und Lebensinhalte zu klären. Dies geschieht in der existentiellen Psychotherapie nach Irvin D. Yalom oder in der Logotherapie nach Viktor Frankl. Hier geht es um Fragen des Lebenssinns, der vernünftigen Lebensinhalte und des eigenen erfüllenden Seins. Die genannte Perspektive führt zu spirituellen Fragen nach dem tieferen Sinn der Existenz und des Lebens. Dies kann auch bedeuten zu hinterfragen, ob bei anhaltender Erfolglosigkeit bei der Partnersuche ein anderes Lebenskonzept passender ist und letzten Endes für mehr Zufriedenheit sowie Ausgeglichenheit sorgt.

(5) Stoische Therapie: Eng verwandt mit den sinnsuchenden Therapien ist die Haltung nach der in der antiken griechischen Philosophie begründeten Schule der Stoa. Bei einer stoischen Therapie wird die Frage des Erreichbaren und des Nicht-Erreichbaren beleuchtet. Beides soll bewusst voneinander unterschieden werden. Es sollen keine nutzlosen Energien in nicht erreichbare Ziele gesteckt werden. Gleichzeitig werden die stoischen Grundtugenden „Mut, Mäßigung, Gerechtigkeit und Weisheit“ vertieft und als Lebensmaxime erprobt. Oft verfolgen Menschen, so auch INCELs, zwanghaft Wege, die sie nicht zur inneren Ausgeglichenheit und Balance führen. So kann es klug und weise sein, nicht auf dem visuell fixierten Online-Dating-Markt mit anderen Männern zu konkurrieren und abzuwarten, bis die persönliche Chance auf eine Beziehung oder andere Lebensinhalte kommen.

(6) Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT): Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) nach Steven C. Hayes ist ein transdiagnostischer kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ansatz, dessen Ziel es ist, Menschen zu vermitteln, ihren emotionalen Problemen mit Akzeptanz, Achtsamkeit und Mitgefühl offen zu begegnen. Gleichzeitig sollen sie erkennen, was ihnen in ihrem Leben in einem tieferen Sinne wichtig ist und dies mit Hingabe und Intensität zu verfolgen. Zu den Zielen dieser Therapieform zählen neben Akzeptanz und Achtsamkeit vor allem die kognitive Dekonstruktion und Defusion blockierender Haltungen, die bewusste Wahrnehmung der Prozesse des eigenen Selbst sowie eine Ausrichtung des eigenen Handelns auf selbstgewählte, tiefere Werte. Mit Defusion ist die bewusste Trennung zwischen der eigenen bewertenden Wahrnehmung und der gegebenen Realität gemeint. Die Therapie besteht hauptsächlich darin, die Person darin zu unterstützen, ihre dysfunktionalen Kontrollversuche abzubauen, indem sie ihre Bereitschaft erhöht, auch unangenehme Wahrnehmungen und Empfindungen zuzulassen (acceptance). Diese werden als das, was sie sind, nicht als das, was sie zu sein vorgeben, erkannt. Es geht darum, Wunsch- und Trugbilder abzubauen und die Gegebenheiten mit einer tieferen Selbstreflektion zu verstehen. Es können auch Weisheitsansätze, wie Buddhismus oder Stoa (siehe Pkt. 5), verwendet werden, um zu tieferen Einsichten zu kommen. Einen großen Raum nimmt in einer Therapie nach dem ACT-Modell die Klärung von Werten und Lebenszielen ein, aus denen dann konkrete, umsetzbare Handlungsschritte (commitments) abgeleitet werden.

Was INCELs und die Gesellschaft am meisten brauchen

Die Situation von INCELs muss in der öffentlichen Wahrnehmung anders dargestellt und gewichtet werden. Die Gesellschaft muss weg von der durch die Medien geschürten, völlig übertriebenen und latent oder offen von Ablehnung und Hass gekennzeichneten Sichtweise auf INCELs. Diese sind in erster Linie psychisch schwer gekränkte Menschen und keine potentiellen Amokläufer. Deshalb sind diese Jugendlichen und Männer in erster Linie hilfebedürftig. Sie sind nicht so sehr eine Bedrohung für die Gesellschaft, sondern ein Problem für sich selbst, da sie die vielen Zurückweisungen und Kränkungen, die sie bei der Sex- und Partnersuche erleben, entweder nicht verstehen oder nicht bewältigen können. Dort, wo bei den Betroffenen Hass und Verbitterung herrschen, gilt es in besonderer Weise, Hilfen und Therapiemöglichkeiten anzubieten. Die Gesellschaft lässt keine andere Personengruppe mit großem Leid so sehr im Stich wie diese Männer. Dies ist ein nicht zu verkennender Hinweis, dass die Gegenwartsgesellschaft selbst ein großes Problem mit der Realisierung und Akzeptanz des Problems dieser Männer hat und den ganzen Hintergrund ihrer Lage am liebsten verleugnet.

Dass Männer beim Versuch der Befriedigung eines der zentralsten menschlichen Bedürfnisse (Sexualität, Nähe, Partnerschaft) fast nur auf Zurückweisungen und Kränkungen stoßen, ist so hochproblematisch und in Einzelfällen tragisch, dass es hier frühzeitige Hilfen und Prävention geben muss. Eine mitfühlende Gesellschaft würde dies erkennen. Eine Gesellschaft, in der ein großer Gender-Empathy-Gap gegenüber Männern besteht, ist nicht bereit und in der Lage, diese emotionale Blindheit zu realisieren. Die gegebene gesellschaftliche und individuelle Situation führt INCELs nicht selten zu Depression und Suizidalität, aber auch zu Selbst- und Fremdhass. Hier sollte ein öffentliches Interesse an Hilfen vorhanden sein und eine Abkehr von der meist voyeuristisch motivierten Fokussierung der Medien in Richtung Gefährlichkeit und Hass. INCELs brauchen frühe Hilfen, müssen die Abläufe in ihrem Leben verstehen und sich selbst weiterentwickeln können, damit keine Radikalisierung zu Selbst- und Fremdhass geschieht. Die bislang teilnahmslose Gesellschaft braucht einen Weckruf, dass sie nicht länger bestenfalls voyeuristisch zuschaut, sondern Verantwortung für diese Jugendlichen und Männer übernimmt. Integration statt Stigmatisierung!

MANNdat bedankt sich bei Prof.Michael Klein für diesen sachlich fundierten, informativen Beitrag.

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Lesermeinungen

  1. By Thorsten

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  2. By Stefan

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  3. By Mathematiker

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    • By Bruno

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