Quo vadis Demokratie?

von Matthias Enderle

Am Nationalfeiertag gibt es heuer nichts zu feiern, denn unsere Demokratie liegt mal wieder im Sterben. Höchste Zeit für einen Neubeginn.

Heute ist der 3. Oktober, unser Nationalfeiertag. Aber im Gegensatz zum Jahr 1990 gibt es heuer nichts zu feiern, denn leider liegt unsere Demokratie – mal wieder – im Sterben, und ein Zusammenbruch wäre keine Überraschung mehr. Schuld ist nicht die Demokratie selbst. Schuld sind solche, die ihre Grundwerte mit Füßen treten und missbrauchen. Es ist höchste Zeit für einen Neubeginn.

Aktuell Profilverlust der Parteien

Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wusste man bei jeder Partei im Bundestag, worauf man sich einließ: Alle hatten ihre klar abgegrenzten Positionen; über die verschiedenen Themen wurden in teils scharfen Debatten während Plenarsitzungen noch gestritten. Jedoch spätestens nach der ersten Großen Koalition seit der deutschen Wiedervereinigung ist den Parteien ihr Profil immer mehr verloren gegangen, über das sie bis dahin eindeutig identifizierbar waren. Koalitionsverträge werden in Verhandlungen von epischer Länge erarbeitet, übrig bleiben Scheingefechte vor halb leerem Plenum neben radikalen Parteien an den politischen Rändern mit enormem Zulauf.

Verhältnismäßigkeit im Minderheitenschutz

Der Minderheitenschutz, wertvolles Gut einer jeden gesunden Gesellschaft, hat sich in Teilen zu einer bedenklichen Überbetonung von Problemen gewandelt, deren Existenz zwar unstrittig ist und Abhilfe erfordert; die Methoden werden dagegen selbst von den Betroffenen mitunter in Frage gestellt: So fühlen sich z. B. Transsexuelle durch die Sprachpanscherei des obendrein diskriminierenden Genderns nicht repräsentiert.

Verlust an Einsatzbereitschaft

Schon lange klagen Vereine über Nachwuchsprobleme; ehrenamtliche Tätigkeit scheint in weiten Teilen verpönt. In der Arbeitswelt sieht es nicht besser aus: Einerseits wird im Sozialwesen, insbesondere bei der Krankenpflege, nahezu nichts für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen getan und damit eine wichtige Stütze der Gesellschaft mit Füßen getreten. Andererseits debattiert man bei etablierteren Berufsgruppen gern und viel über Work-Life-Balance oder die Vier-Tage-Woche. Im Gegenzug sorgt man mit der Einführung des Bürgergeldes noch dafür, dass die Hemmschwelle erhöht wird, einer geregelten Arbeit nachzugehen – elementarer Bestandteil einer jeden Volkswirtschaft.

Überstrapaziertes Asylrecht

Nicht zuletzt das Asylrecht, mit ethisch hochwertiger Absicht im Grundgesetz verankert, wird seit 2015 nicht nur politisch gewollt überstrapaziert: Obendrein werden Kommunen, Polizei und Bildungswesen mit den damit einhergehenden Problemen allein gelassen. Die negativen Folgen sind in Gestalt sozialer Spannungen im Lebensalltag der Bevölkerung längst angekommen – nur nicht im Elfenbeinturm der politischen Eliten.

Ein marodes Wertesystem

Unter anderem durch diese Entwicklungen befindet sich die Bundesrepublik in einem bedenklichen Zustand. Ob parlamentarische Demokratie, Parteiensystem, Minderheitenschutz, sozialstaatliche Leistungen wie Arbeitslosenunterstützung oder Asylrecht: Viele, ursprünglich wertvolle Ansätze und Grundgedanken für die Installation einer Demokratie als Staatsform sind inzwischen entweder komplett erodiert oder geradezu ad absurdum geführt. Das ist angesichts des dahinterstehenden, maroden Wertesystems kein Wunder, im Hinblick auf den Scherbenhaufen aber – vornehm ausgedrückt – zum Heulen. Man darf sich fragen, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

Symptome sind keine Ursachen

Es wird einmal nicht damit getan sein, die Schuld dem Teufel in Gestalt der AfD zuzuweisen, wie es heute schon, gepaart mit Doppelmoral, geschieht. Genausowenig wird es hilfreich sein, Krawallbruder- und -schwesternschaften wie „Extinction Rebellion“, „Letzte Generation“ oder die Antifa allein verantwortlich zu machen. Alle genannten gehören lediglich zu den apokalyptischen Reitern, denen der Weg bereitet wurde durch das, was lange vorher schon aus der Spur lief.

Gier nach Macht und Geld ist demokratiefeindlich

Schon gar nicht liegt die Schuld bei unserer gegenwärtigen Staatsform, der Demokratie selbst: Unserer verabschiedeten Verfassung aus dem Jahr 1949 lag im Kern ein altruistischer Ansatz zugrunde. Er machte es in vielen Fällen überflüssig, Dinge zu regeln, weil diese Einstellung noch weit verbreitet und anerkannt war. Genau dieser Ansatz ist jedoch über die Jahrzehnte verloren gegangen und durch kalten Egoismus ersetzt worden: Rausholen aus „dem System“, was möglich ist. Die Früchte sehen wir heute: Abgeordnete, die horrende Bezüge dafür abgreifen, dass sie haarsträubende Statements veröffentlichen und dafür auch noch in den Medien gepriesen werden, die sich dafür wiederum gegenseitig mit Preisen überhäufen. Ministerinnen, denen die Unlust auf das Erfüllen ihrer Aufgabe ins Gesicht geschrieben steht und die stattdessen per Amtsmissbrauch und mit Unterstützung durch Erfüllungsgehilfen aus den Medien unliebsame Amtspersonen von ihrer Position entfernen. Fachleute mit Fernsehpräsenz, die sich mit dicken Zuwendungen aus Steuermitteln für das Ausstellen von Gefälligkeits-Expertisen schmieren lassen.

All das ist nicht die Schuld der Demokratie. Es ist die Schuld derer, die ihre Prinzipien und Grundwerte hintertrieben haben und immer noch hintertreiben, unbehelligt von den drei Gewalten und deren Protagonisten.

Wenn die Talsohle überwunden ist

Muss wirklich erst alles zusammenbrechen, bis ein Relaunch und damit eine Änderung dieser Situation möglich wird? Man verspürt zwar absolut keine Lust, das mitzuerleben, muss aber befürchten, dass es soweit kommen könnte. Denn so viel steht fest: Für einen dritten Versuch nach 1918 und 1949, mit der Demokratie als Staatsform unser Land zu regieren, wird es den fundamentalen Neubeginn brauchen. Einen Neubeginn, der wieder eine konstruktive Debattenkultur beinhaltet, in dem Meinungskartelle und Doppelstandards keine Chance haben. Mit einem Meinungspluralismus, der nicht durch Blockwart- und Jakobinermentalität in einen engen Korridor gezwängt wird. In dem Sachargumente zählen und nicht hysterisches Geschrei oder immer höherer Druck auf die arbeitende Bevölkerung. In dem Arbeit und Bildungsabschlüsse wieder wertgeschätzt und honoriert werden. In dem Posten nach Eignung der Person besetzt werden und nicht nach einer Quote. In dem Charakterköpfe mit einer gesunden Ethik die Säulen sind und nicht Sprechzettel-Marionetten, die von einer grauen Eminenz im Hintergrund bespielt werden. In dem sich Ressort-Vertreter zum Inhalt ihrer Aufgabenerfüllung äußern und danach handeln und nicht eine gesellschaftsschädigende Ideologie zum Maß aller Dinge erheben. Und nicht zuletzt mit einer Rechtsprechung, die diese Bezeichnung auch verdient.

Möge er bald kommen, der Neubeginn.

Quelle Beitragsbild: Reichstagsgeäude, Fotolia.de, Urheber: pit24

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Lesermeinungen

  1. By Ulrich Sender

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