Was sagt uns PISA 2015 über Gender und was nicht?
Hintergrund
IGLU, PIRLS, PISA, IQB, VERA, TIMSS – alles Kürzel, die uns in regelmäßigen Abständen die Bildungsleistung unserer jungen Generation nahebringen sollen. Was dahinter steckt und welche Aussagen uns diese Studien liefern, möchten wir Ihnen hier nach und nach näher bringen. Beginnen möchten wir aufgrund der Aktualität und des hohen Medieninteresses mit der PISA-Studie 2015.
Was ist PISA?
PISA bedeutet „Programme for International Student Assessment“. Es wird seit 2000 alle drei Jahre von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, 35 Mitgliedsstaaten) durchgeführt. Sie tut dies im Auftrag der Regierungen (in Deutschland für die Kultusministerkonferenz KMK). Bei PISA werden 15-Jährige in Naturwissenschaften, Mathematik sowie Lesen und Textverständnis getestet. Bei jeder PISA-Studie steht immer ein Themenbereich im Mittelpunkt, der genauer analysiert wird. Getestet werden aber immer alle drei Bereiche.
Bezüglich absoluter, geschlechterspezifischer Leistungsbewertungen sind übrigens die einzelnen Studien (auf die anderen Studien gehen wir später ein) nur begrenzt vergleichbar, da jede Studie ihr eigenes Bewertungssystem hat und auch unterschiedliche Jahrgangstufen getestet werden. Relative Vergleiche sind aber in bestimmtem Rahmen durchaus möglich.
PISA 2015
Eines der wichtigsten Dinge, die man über PISA wissen muss, ist, dass beim PISA-Test 2015 zum ersten Mal computergestützte Tests verwendet wurden. Das bedeutet, dass die Ergebnisse aus PISA 2015 nur mit äußerster Vorsicht mit den Ergebnissen der bisherigen PISA-Studien verglichen werden können. Trotzdem vergleichen sowohl die PISA-Organisatoren als auch die Politiker fleißig mit früheren PISA-Ergebnissen. Das ist wissenschaftlich unseriös.
Gerade die festgestellte massive Veränderung der Geschlechterdifferenz bei der Lesekompetenz hat sich auch im Vergleich zu einigen anderen Staaten sowie zum OECD-Durchschnitt stark verringert. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Umstellung vom papierbasierten auf das computerbasierte Testen zur Reduktion der Differenz beigetragen hat. Leider hat die OECD versäumt, papiergestützte Vergleichstests durchzuführen, so dass dieser Zusammenhang nicht abschließend geklärt werden kann. Weiterführende Analysen, die diese Annahme bestätigen oder widerlegen könnten, wären wichtig.
Die Testdauer betrug insgesamt zwei Stunden. Es handelte sich um eine Mischung aus Multiple-Choice-Aufgaben und Fragen, bei denen die Schüler eigene Antworten formulieren mussten. Die Aufgaben waren in Aufgabengruppen organisiert, die sich jeweils auf eine in Text bzw. Bild dargestellte reale Lebenssituation bezogen. Der Aufgabenkatalog enthielt Aufgaben für eine Testdauer von insgesamt rund 810 Minuten, wobei die einzelnen Schüler unterschiedliche Kombinationen von Items bearbeiteten.
Die wichtigsten Ergebnisse von PISA 2015 im Überblick
- die Lesekompetenz der Jugendlichen in Deutschland ist mit 509 Punkten signifikant höher als die durchschnittliche Lesekompetenz der Jugendlichen in den OECD-Staaten (493 Punkte).
- Die Gruppe der besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler ist in Deutschland signifikant größer als im Durchschnitt der OECD-Staaten, die Gruppe der sehr leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler ist hingegen signifikant kleiner.
- Die größten geschlechterspezifischen Unterschiede gibt es nach wie vor im Bereich der Lesekompetenz und zwar zuungunsten der Jungen. Jungen schneiden in Deutschland im Bereich Lesekompetenz um durchschnittlich 21 Punkte schlechter ab als Mädchen (im OECD-Durchschnitt beträgt der Leistungsabstand 27 Punkte).
- Der Anteil leseschwacher Jungen bleibt nach wie vor höher als der Anteil leseschwacher Mädchen. In Deutschland ist der Anteil der Mädchen, die in Lesekompetenz mindestens Kompetenzstufe 5 erreichen, fast 4 Prozentpunkte höher als der der Jungen.
- In Deutschland erzielen die Jungen in Naturwissenschaften im Durchschnitt 10 Punkte mehr als die Mädchen.
- Obwohl die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Leistungen in Naturwissenschaften im Durchschnitt eher gering sind, sind dort die Jungen unter den besonders leistungsstarken Schülern in 33 Ländern und Volkswirtschaften, einschließlich Deutschlands, stärker vertreten als die Mädchen.
- In Deutschland erzielen die Jungen in Mathematik im Durchschnitt 17 Punkte mehr als die Mädchen.
- Die Wahrscheinlichkeit, eine Klasse zu wiederholen, ist im OECD-Durchschnitt bei Jungen höher als bei Mädchen. Dieser Befund zeigt sich auch speziell in Deutschland.
- Mädchen sehen sich in allen Ländern häufiger als Jungen später in einem Gesundheitsberuf, Jungen dagegen in IKT-Berufen (Informations- und Kommunikationstechnik), Naturwissenschaften oder Ingenieurberufen.
PISA-Verläufe seit 2000 bis 2015
Wir haben die PISA-Ergebnisse von 2000 bis 2015 graphisch dargestellt (Jahreszahl auf der Horizontalachse; PISA-Kompetenzwert auf der Vertikalachse).
Wie oben dargelegt, ist der Vergleich der PISA-Ergebnisse von 2000 bis 2012 und dem neuesten PISA-Ergebnis aus 2015 wissenschaftlich nicht haltbar, da sich an den Durchführungsparametern etwas geändert hat. Aus diesem Grund haben wir den Trend (Pfeil) für die Entwicklung der schulischen Kompetenzen für Mädchen (rot) und Jungen (blau) lediglich für die Ergebnisse von 2000 bis 2012 dargestellt. Abgesetzt davon haben wir die PISA-Ergebnisse 2015 separat in die Graphiken eingetragen (Quadrat mit PISA-Kompetenzwert).
Man sieht in den Graphiken ganz deutlich das eklatante Absacken der PISA-Kompetenzwerte für 2015 in allen Bereichen für Jungen ebenso wie für Mädchen, ausgenommen bei der Lesekompetenz von Jungen. In den Naturwissenschaften sind die Werte für Jungen wie für Mädchen so schlecht wie noch nie. Diese Einbrüche sind aus bildungspolitischer Sicht nicht zu erklären.
Jungen bleiben für die politisch Verantwortlichen Kinder zweiter Klasse
Die Reaktion der Bildungspolitik zu den Ergebnissen aus PISA 2015 macht deutlich, dass sie trotz Gender Education Gap zuungunsten der Jungen weiterhin Jungen weitaus weniger Unterstützung und Förderung zugestehen wird als Mädchen. So heißt es in der Berichterstattung des Bundes:
Um mehr Mädchen für Naturwissenschaften zu begeistern, sei die Berufsorientierung in den Schulen wichtig, so Quennet-Thielen.
Eine Maßnahme zur Verbesserung der Lesekompetenz von Jungen nannte Staatssekretärin des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) Quennet-Thielen nicht. Schon 2013 ließ die Bundesregierung verlautbaren:
Hier zeigt sich: Deutschland gehört zu den wenigen Staaten, die sich seit den ersten PISA-Erhebungen kontinuierlich verbessert haben.
Fakt jedoch war damals, dass die geschlechterspezifische Unterschiede im Lesen zuungunsten der Jungen 2012 so groß wie nie zuvor waren.
Das gleiche Bild ergibt auch die Aussage der Kultusministerkonferenz zur PISA-Studie 2015:
Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen besonders in den Naturwissenschaften und Mathematik zu verringern.
Obwohl Lesekompetenz die wichtigere schulische Kompetenz darstellt, da Lesen sich als Grundkompetenz für die Schulleistung in allen Fächern auswirkt, und obwohl im Bereich Lesekompetenz nach wie vor die größten geschlechterspezifischen Kompetenzunterschiede vorliegen, sollen die Geschlechterunterschiede dort nur nachrangig abgebaut werden. Die KMK will insbesondere dort die geschlechterspezifischen Unterschiede reduzieren, wo Mädchen die schlechteren Werte haben (Mathematik, Naturwissenschaften). Dadurch werden Jungen benachteiligt.
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat sich für eine gelegentliche Trennung von Jungen und Mädchen im Unterricht ausgesprochen. (…) ‚Es gibt gute Erfahrungen mit punktueller geschlechtshomogener Arbeit‘, sagte Löhrmann im Gespräch mit unserer Redaktion, ‚zum Beispiel in Tischgruppen oder stundenweise‘. Eine solche Lösung habe den Vorteil, fügte die Ministerin hinzu, dass dann ‚Mädchen für sich arbeiten oder an anderen Aufgaben als die Jungen‘.
Ob Löhrmann sich auch für eine Monoedukation dort ausspricht, wo es für Jungen von Nutzen wäre, bleibt verborgen. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann hat schon 2015 eine sehr einseitige temporäre Monoedukation vorgeschlagen:
Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat die Schulen ermuntert, Mädchen und Jungen teilweise auch getrennt zu unterrichten. Dies könne – zumindest zeitweise – etwa in Naturwissenschaften, Mathematik oder Informatik sinnvoll sein, sagte Löhrmann. Studien zeigten, dass Schülerinnen sich in diesen Fächern besser in Mädchen-Gruppen entwickelten als in Gruppen, die Jungen und Mädchen gleich unterrichteten.
Auch hier geht es wieder nur um Mädchenförderung. Einen getrennten Unterricht auch im Sprachunterricht, um besser auf die Leseinteressen einzugehen, was bekanntermaßen einer der wichtigsten Ansätze für Jungenleseförderung ist, erwog die Schulministerin Löhrmann schon damals nicht.
PISA 2015 in den Medien
Sieht man sich die Überschriften in den Online-Portalen der großen Zeitungen an, werden sowohl Mädchen als auch Jungen i. d. R. nicht explizit erwähnt, wenn aber doch, dann vor allem Mädchen. Analysiert man die Medienberichte zu der PISA-Studie 2015, fällt auf, dass das Thema Lesen nahezu überhaupt kein Thema mehr ist, obwohl dort die größten geschlechterspezifischen Kompetenzunterschiede (zuungunsten der Jungen) vorhanden sind. Thematisiert wird vor allem Mathematik, obwohl dort die Kompetenzunterschiede (zuungunsten der Mädchen) geringer sind als beim Lesen und obwohl Mathematik ebenso wie Lesen bei PISA 2015 gar kein Kernthema war. Hier zeigt sich deutlich, dass Bildungspolitik nach wie vor Mädchenpolitik ist.
Es gibt sicher natürlich auch Ausnahmen, die auf die Bildungssituation von Jungen speziell eingehen, wie z. B. die Stuttgarter Nachrichten mit dem Beitrag „Jungs bleiben die Bildungsverlierer“ vom. 19.11.2016 von Rainer Wehaus, noch vor der offiziellen Bekanntgabe der PISA 2015-Ergebnisse. Der Artikel ist in Gänze lesenswert.
Quellen:
Arazay, Hüseyin: „PISA, TIMSS, IQB, IGLU, VERA – Schulvergleichstests im Überblick“; 30.11.2016
PISA – Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Deutschland (OECD) – PISA-2015-Germany-DEU
Lesekompetenz in PISA 2015
PISA-Studie 2015: Deutsche Schüler schneiden gut ab; 15.1.2017
PISA – internationale Schulleistungsstudie; 15.1.2017
Kultusministerkonferenz: PISA 2015 bestätigt Deutschlands gute Platzierung; 15.1.2017
NRW-Schulministerin ist für getrennte Jungen- und Mädchentische; 15.1.2017
Löhrmann: Getrennter Unterricht kann sinnvoll sein; Abruf 12.06.2012
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Lesermeinungen
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Liebe Herausgeber von manndat.de,
ich habe den Artikel bis zu den Grafiken gelesen und fand ihn bis dahin auch recht interessant. Doch bei allen Respekt die Diagramme widersprechen allen wissenschaftlichen Normen. Wenn ich sie mir anschauen dann fühlt es sich in etwa so an also ob ich mit bloßen Auge in die Sonne schaue.
1. Die Achsen sind nicht mit den Einheiten wie Jahr oder Punkte beschriftet.
2. Eine Legende fehlt vollkommen. Auch wenn im Text dazu eine Erklärung vorhanden ist so kann es sein, dass sich findige jung Abiturienten/innen für ihren Vortrag einfach nur die Diagramme kopieren und evtl. noch ein Quellenvermerk anbringen aber dann findet sich keiner mehr zurecht.
3. Die Punkte der Jahre wurden miteinander Verbunden. Das geht gar nicht!!!!!!!!!!
Ich weiß in Sozial/Gesellschaftswissenschaften und Medizin ist das üblich aber nicht richtig, denn die Linie zeigt den Verlauf und wissen Sie wirklich wie sich die Kompetenzen zwischen den Tests entwickelt haben?
Falls nicht darf man die Einzeldaten nicht miteinander Verbinden ansonsten täuschst man Daten vor die in Wirklichkeit keiner hat.
4. Der Pfeil als Trendlinie. Wieso sollte die Entwicklung eine reine Gerade sein? Bei den wenigen Daten und Schwankungen kann durchaus auch noch mit einem exponentiellen Verlauf gerechnet werden!
Entschuldigung war nicht erst gemeint aber was ernst ist dass, die Daten so wenig schwanken dass, hier andere statistische Mittel ehre Zugang finden wie Median zumal der Korrelationsfaktor auch gar nicht mit angegeben ist um sich selbst ein Urteil zu erlauben ob die Trendlinie glaubwürdig ist oder nicht. Was aber noch sehr viel stärker zuschlägt ist, dass für die Form der Trendlinie ein Pfeil verwendet wurde. Ausgerechnet ein Pfeil der den Leser suggeriert wo es in Zufunkt hingeht. Einen Zeitraum über den Sie noch gar keiner Daten haben, kurz Sie wollen die Zukunft voraussagen und geht nun wirklich nicht. Sie können allenfalls eine verbale Prognose geben aber keine Richtung angeben.
Das waren nur ein paar formale Punkte zur Aufmachung der Diagramme die wirklich geändert werden müssen! Andere inhaltliche Punkte fallen bei mir unter diskussionswürdig.
Dennoch möchte ich klar stellen ich finde die Arbeit die auf dieser Seite geleistet wird sehr wichtig und möchte mein Lob dafür aussprechen, aber die Diagramme in der Form gehen gar nicht. Damit büßt man verdammt viel an Ansehen und Glaubwürdigkeit ein.
mfg Andreas Langer
1. Es ist selbsterklären das die y-Achse die Punkte anzeigt, da die Pisa Studien im Jahr 500 nicht exestierten. Daraus folgt natürlich auch unmittelbar das die x-Achse die Jahreszahlen anzeigt
2. (siehe 1)
3. Doch das geht, das nennt man „Regressionskurve“. Diese können die Beziehungen zwischen Variablen modellieren.
4. Regressionskurve sind immer linear.
Mädchen und Jungen
Jungen und Mädchen
Von einem der noch einen Enkel hat,
und eine Enkelin dazu übrigens auch:
Es war für Beide kein schlechter Start,
ohne eine Löhrmann auf dem Schlauch.
Mit den LehrerInnen im rechten Verbund
und ohne Misandrie unter Geschlechtern,
lesen alle Beide gut und rechnen gesund,
auch ohne Malu´s bevorzugten Töchtern.
Letztere pflegt Feminismus für Mädchen,
erklärtermaßen und im Netz nachzulesen.
Das war so in RP plakatiert in Städtchen
und im Land, mit Jungs war nix gewesen.
Bruder und Schwester, gehen Seit an Seit,
im Jugendalter, Feminismus zum Trotz,
entgegen einer Ideologisierung insoweit,
mit lebenslangem pädagogischen Klotz.
Es kann schon einmal sehr sinnvoll sein,
Löhrmann & Co. nicht viel anzuvertrauen,
mit „Wir lassen Jungs da schon nicht allein“.
Sie sprechen fast nur von Zukunft der Frauen.
Teilweise erfolgt der Unterricht ja auch schon monoedukativ. Zwar, abgesehen vom Sport in den höheren Jahrgangsstufen, nicht regulär – aber im Rahmen kleiner Unterrichtseinheiten/Projekten.
Nämlich z.B. dann, wenn Mädchen sich im Sexualkundeunterricht vielleicht schämen könnten, mehr oder weniger persänliche Fragen im Beisein von Schülern zu stellen.
Und so präsentierte im letzten Jahr eine hier ansässige Tageszeitung stolz eine Gruppe Mädchen, die mit ihrer Lehrerin zusammen ein Aufklärungsgespräch beim Facharzt (Frauenärztin) abhielten.
Jungen ist es selbstverständlich nie peinlich, über Sex, Sexualität usw. zu sprechen und Fragen zu stellen, wenn Mädchen anwesend sind – oder sie einer Frau (der Lehrerin) ihre Fragen stellen müssen. Ein Sexualkundeunterricht beim Facharzt für Männer ist daher vollkommen überflüssig.