MdB Sabine Zimmermann im Interview mit MANNdat: Arme Männer sterben früher

von Thomas Walter

Sabine-Zimmermann-150x232Arme sterben früher, so fasst MdB Sabine Zimmermann, DIE LINKE, die Kernaussagen ihrer schriftlichen Frage an die Bundesregierung vom 11. März 2016 zusammen. Wie erklärt die Bundesregierung die „signifikant niedrigeren Lebenserwartungswerte gerade für Männer in struktur- und einkommensschwachen Regionen“, wollte sie wissen, und „ Welchen politischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus der Erkenntnis […] ab, dass die Differenz in der Lebenserwartung zwischen der niedrigsten und der höchsten von fünf Einkommensgruppen bei Frauen 8,4 Jahre und bei Männern 10,8 Jahre beträgt“? MANNdat sprach (per Email) mit Frau Zimmermann über die Zusammenhänge von sozialem Status, Bildung, Geschlecht und Lebenserwartung.

Sabine Zimmermann wurde 1960 in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern geboren und studierte in der DDR Baustofftechnologie. Seit der Wende engagiert sie sich im DGB und wurde 2001 Vorsitzende der DGB-Region Vogtland-Zwickau und 2009 Vorsitzende der aus der Zusammenlegung mehrerer Regionen entstandenen Region Südwestsachsen. 2005 zog Frau Zimmermann in den Bundestag ein, dem sie seitdem ununterbrochen als Mitglied der Fraktion von DIE LINKE angehört. Sie ist stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion, sowie Mitglied des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales. Zu ihren Themen zählen u.a. Armutsbekämpfung, die Abschaffung von Hartz IV und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Sabine Zimmermann ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Ihren Bericht über die Frage können Sie auf der Webseite der Fraktion nachlesen. Der dort referenzierte Bericht „Gesundheit in Deutschland 2015“ findet sich auf den Seiten der Robert-Koch-Instituts.

Sehr geehrte Frau Zimmermann, Arme sterben früher. Mit dieser Aussage brechen Sie das Tabu, nach dem genetische Prädisposition und riskanter Lebensstil als einzige Erklärungen dafür gelten dürfen, dass Männer früher sterben. Wie erklären Sie sich dieses Tabu, und was bewegte Sie zu Ihrem mutigen Schritt?

Der soziale Status hat wesentlichen Einfluss darauf, wie wir unser Leben gestalten können, wie gesund wir es führen können, und sogar darauf, wie lange es währt. Dass davon abgelenkt wird, ist leicht zu erklären. Denn diese Erkenntnis, die übrigens seit Jahren wissenschaftlich belegt ist, ist natürlich eine dringende Aufforderung, in dieser Gesellschaft etwas zu verändern. Armut muss abgeschafft werden, und das heißt, den Reichtum der oberen Prozent der Bevölkerung umzuverteilen. Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund und kommen auch mit zwei Jobs nur gerade so über die Runden. Andererseits häuft sich bei anderen der Reichtum, und die Kluft zwischen Arm und Reich geht auseinander. Darüber soll nicht gesprochen werden, wenn es nach den Besserverdienern und den Vermögenden geht. Denn jede Diskussion darüber, dass Kinder und alte Menschen, Alleinerziehende und hart arbeitende Beschäftigte in Armut leben, kann nur zu dem Schluss führen, dass mit dieser Ungerechtigkeit Schluss sein muss. Ich möchte, dass allen klar ist, wozu die Spaltung unserer Gesellschaft führt.

Wie viel, glauben Sie, ist an der Formel dran, „gebt den Armen mehr Geld, dann werden sie gesünder“?

Grundsätzlich eine Menge. Aber es geht um Ressourcen in einem allgemeineren Sinn, also auch um gute Wohnungen, eine gesunde Umwelt, soziale Sicherheit und ein Leben ohne Angst und Stress. Und von herausragender Bedeutung sind die Arbeitsbedingungen. Die sind oftmals direkt gesundheitsschädigend. Aber auch hohe Belastungen und wenig Anerkennung führen zu Depressionen und die wiederum zu einem gesundheitsschädlichen Verhalten. Wie viel Geld man braucht, hängt ganz entscheidend davon ab, ob und wie viel Dinge wie die Gesundheitsversorgung, Bildung, öffentlicher Nahverkehr, Sport- und Erholungsmöglichkeiten und so weiter kosten. Je mehr davon öffentlich und kostenfrei zugänglich ist, desto gesünder leben Menschen mit geringem Einkommen.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Faktor Bildung?

Berufsabschlüsse bestimmen, welche Laufbahn man einschlagen kann. Und körperlich belastende Berufe mit hohem Unfallrisiko schaden der Gesundheit natürlich mehr als andere. Abgesehen davon weiß aber heutzutage jeder, dass Rauchen und Alkohol ungesund sind und dass man Sport treiben muss, um den eigenen Körper fit zu halten. Aber wenn das Leben aus Arbeit, Stress und Entbehrungen besteht, hilft es den meisten nichts zu wissen, dass das ungesund ist.

Sie sagen, der Unterschied zwischen Arm und Reich habe wirklich existentielle Bedeutung. Dem kann ich nur zustimmen. Ich neige dazu, die extreme Spanne bei der Lebenserwartung von Männern umgekehrt so zu interpretieren, dass die soziale Schere unter Männern größer sei als unter Frauen. Männer der untersten Einkommensgruppe leben laut dem Bericht „Gesundheit in Deutschland 2015“ des Robert-Koch-Instituts im Schnitt 10,8 Jahre kürzer als Männer der höchsten Einkommensgruppe und 6,8 Jahre kürzer als Frauen der untersten Einkommensgruppe. Was meinen Sie dazu?

Ich glaube, den größeren Effekt hat die Tatsache, dass Frauen traditionell weniger berufstätig waren als Männer. Das ändert sich, und damit ist zum Beispiel auch das Risiko von Frauen, einen Herzinfarkt zu erleiden, gestiegen. Das müsste natürlich kein Automatismus sein. Aber die Arbeitsverdichtung in vielen Berufen, die Ausbreitung von Niedriglöhnen und Armut und die gewaltig gestiegene Angst, den Job zu verlieren und in Hartz IV zu landen, haben das Stressniveau enorm erhöht.

Für wie zeitgemäß halten Sie es, Männer pauschal als privilegiert zu bezeichnen?

Angesichts eines gender pay gap von über 20 Prozent ist unbestreitbar, dass Männer im Durchschnitt mehr verdienen als Frauen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sexistische Haltungen verbreitet sind, die Frauen benachteiligen und abwerten. Aber in meinem Wahlkreis kenne ich zum Beispiel einen afghanischen Familienvater, der mit einem Job als Hilfskraft versucht, seine Familie zu ernähren, und fürchten muss, dass sie trotzdem alle in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden. Wenn ich mir daneben Frau Schaeffler anschaue oder die Erbin der Quandt-Familie kann ich nicht behaupten, dass alle Männer allen Frauen gegenüber privilegiert sind.

Viele unserer Leser meinen, DIE LINKE mache, wenn es um Geschlechterpolitik geht, nur Frauenpolitik. Was geben Sie diesen Lesern mit?

Wir wollen eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, ohne Unterdrückung und ohne Ausbeutung, ohne Armut, Angst und Diskriminierung. Davon profitieren alle, die unter den jetzigen Verhältnissen zu leiden haben.

Frau Zimmermann, wir danken Ihnen herzlich für Ihre Antworten.

Lesen Sie auch unser Interview Hans Thomas Tillschneider (MdL Sachsen-Anhalt) fordert im MANNdat-Interview eine Neuorientierung der Geschlechterpolitik, sowie Das Eine zu tun, heißt nicht, das Andere zu lassen mit Susanne Schneider (FDP).

Stellungnahme von MANNdat bezüglich unserer Interviewpartner

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Lesermeinungen

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