MdB Sabine Zimmermann im Interview mit MANNdat: Arme Männer sterben früher
Arme sterben früher, so fasst MdB Sabine Zimmermann, DIE LINKE, die Kernaussagen ihrer schriftlichen Frage an die Bundesregierung vom 11. März 2016 zusammen. Wie erklärt die Bundesregierung die „signifikant niedrigeren Lebenserwartungswerte gerade für Männer in struktur- und einkommensschwachen Regionen“, wollte sie wissen, und „ Welchen politischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus der Erkenntnis […] ab, dass die Differenz in der Lebenserwartung zwischen der niedrigsten und der höchsten von fünf Einkommensgruppen bei Frauen 8,4 Jahre und bei Männern 10,8 Jahre beträgt“? MANNdat sprach (per Email) mit Frau Zimmermann über die Zusammenhänge von sozialem Status, Bildung, Geschlecht und Lebenserwartung.
Sabine Zimmermann wurde 1960 in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern geboren und studierte in der DDR Baustofftechnologie. Seit der Wende engagiert sie sich im DGB und wurde 2001 Vorsitzende der DGB-Region Vogtland-Zwickau und 2009 Vorsitzende der aus der Zusammenlegung mehrerer Regionen entstandenen Region Südwestsachsen. 2005 zog Frau Zimmermann in den Bundestag ein, dem sie seitdem ununterbrochen als Mitglied der Fraktion von DIE LINKE angehört. Sie ist stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion, sowie Mitglied des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales. Zu ihren Themen zählen u.a. Armutsbekämpfung, die Abschaffung von Hartz IV und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Sabine Zimmermann ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Ihren Bericht über die Frage können Sie auf der Webseite der Fraktion nachlesen. Der dort referenzierte Bericht „Gesundheit in Deutschland 2015“ findet sich auf den Seiten der Robert-Koch-Instituts.
Sehr geehrte Frau Zimmermann, Arme sterben früher. Mit dieser Aussage brechen Sie das Tabu, nach dem genetische Prädisposition und riskanter Lebensstil als einzige Erklärungen dafür gelten dürfen, dass Männer früher sterben. Wie erklären Sie sich dieses Tabu, und was bewegte Sie zu Ihrem mutigen Schritt?
Der soziale Status hat wesentlichen Einfluss darauf, wie wir unser Leben gestalten können, wie gesund wir es führen können, und sogar darauf, wie lange es währt. Dass davon abgelenkt wird, ist leicht zu erklären. Denn diese Erkenntnis, die übrigens seit Jahren wissenschaftlich belegt ist, ist natürlich eine dringende Aufforderung, in dieser Gesellschaft etwas zu verändern. Armut muss abgeschafft werden, und das heißt, den Reichtum der oberen Prozent der Bevölkerung umzuverteilen. Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund und kommen auch mit zwei Jobs nur gerade so über die Runden. Andererseits häuft sich bei anderen der Reichtum, und die Kluft zwischen Arm und Reich geht auseinander. Darüber soll nicht gesprochen werden, wenn es nach den Besserverdienern und den Vermögenden geht. Denn jede Diskussion darüber, dass Kinder und alte Menschen, Alleinerziehende und hart arbeitende Beschäftigte in Armut leben, kann nur zu dem Schluss führen, dass mit dieser Ungerechtigkeit Schluss sein muss. Ich möchte, dass allen klar ist, wozu die Spaltung unserer Gesellschaft führt.
Wie viel, glauben Sie, ist an der Formel dran, „gebt den Armen mehr Geld, dann werden sie gesünder“?
Grundsätzlich eine Menge. Aber es geht um Ressourcen in einem allgemeineren Sinn, also auch um gute Wohnungen, eine gesunde Umwelt, soziale Sicherheit und ein Leben ohne Angst und Stress. Und von herausragender Bedeutung sind die Arbeitsbedingungen. Die sind oftmals direkt gesundheitsschädigend. Aber auch hohe Belastungen und wenig Anerkennung führen zu Depressionen und die wiederum zu einem gesundheitsschädlichen Verhalten. Wie viel Geld man braucht, hängt ganz entscheidend davon ab, ob und wie viel Dinge wie die Gesundheitsversorgung, Bildung, öffentlicher Nahverkehr, Sport- und Erholungsmöglichkeiten und so weiter kosten. Je mehr davon öffentlich und kostenfrei zugänglich ist, desto gesünder leben Menschen mit geringem Einkommen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Faktor Bildung?
Berufsabschlüsse bestimmen, welche Laufbahn man einschlagen kann. Und körperlich belastende Berufe mit hohem Unfallrisiko schaden der Gesundheit natürlich mehr als andere. Abgesehen davon weiß aber heutzutage jeder, dass Rauchen und Alkohol ungesund sind und dass man Sport treiben muss, um den eigenen Körper fit zu halten. Aber wenn das Leben aus Arbeit, Stress und Entbehrungen besteht, hilft es den meisten nichts zu wissen, dass das ungesund ist.
Sie sagen, der Unterschied zwischen Arm und Reich habe wirklich existentielle Bedeutung. Dem kann ich nur zustimmen. Ich neige dazu, die extreme Spanne bei der Lebenserwartung von Männern umgekehrt so zu interpretieren, dass die soziale Schere unter Männern größer sei als unter Frauen. Männer der untersten Einkommensgruppe leben laut dem Bericht „Gesundheit in Deutschland 2015“ des Robert-Koch-Instituts im Schnitt 10,8 Jahre kürzer als Männer der höchsten Einkommensgruppe und 6,8 Jahre kürzer als Frauen der untersten Einkommensgruppe. Was meinen Sie dazu?
Ich glaube, den größeren Effekt hat die Tatsache, dass Frauen traditionell weniger berufstätig waren als Männer. Das ändert sich, und damit ist zum Beispiel auch das Risiko von Frauen, einen Herzinfarkt zu erleiden, gestiegen. Das müsste natürlich kein Automatismus sein. Aber die Arbeitsverdichtung in vielen Berufen, die Ausbreitung von Niedriglöhnen und Armut und die gewaltig gestiegene Angst, den Job zu verlieren und in Hartz IV zu landen, haben das Stressniveau enorm erhöht.
Für wie zeitgemäß halten Sie es, Männer pauschal als privilegiert zu bezeichnen?
Angesichts eines gender pay gap von über 20 Prozent ist unbestreitbar, dass Männer im Durchschnitt mehr verdienen als Frauen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sexistische Haltungen verbreitet sind, die Frauen benachteiligen und abwerten. Aber in meinem Wahlkreis kenne ich zum Beispiel einen afghanischen Familienvater, der mit einem Job als Hilfskraft versucht, seine Familie zu ernähren, und fürchten muss, dass sie trotzdem alle in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden. Wenn ich mir daneben Frau Schaeffler anschaue oder die Erbin der Quandt-Familie kann ich nicht behaupten, dass alle Männer allen Frauen gegenüber privilegiert sind.
Viele unserer Leser meinen, DIE LINKE mache, wenn es um Geschlechterpolitik geht, nur Frauenpolitik. Was geben Sie diesen Lesern mit?
Wir wollen eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, ohne Unterdrückung und ohne Ausbeutung, ohne Armut, Angst und Diskriminierung. Davon profitieren alle, die unter den jetzigen Verhältnissen zu leiden haben.
Frau Zimmermann, wir danken Ihnen herzlich für Ihre Antworten.
Lesen Sie auch unser Interview Hans Thomas Tillschneider (MdL Sachsen-Anhalt) fordert im MANNdat-Interview eine Neuorientierung der Geschlechterpolitik, sowie Das Eine zu tun, heißt nicht, das Andere zu lassen mit Susanne Schneider (FDP).
Stellungnahme von MANNdat bezüglich unserer Interviewpartner
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Ich bin überrascht, aber erfreut, dass sie die Linke überhaupt auf das Gespräch eingelassen hat. Natürlich wird sie nicht die Grundthesen ihrer Partei oder der Gesellschaft in Frage stellen. Aber trotzdem: sie zeigt eine zunehmend nuancierte Sichtweise auf Geschlechterverhältnisse, die hoffen lässt.
Unbestreitbar und seit langem bekannt und untersucht ist die Tatsache, dass eine signifikante Korrelation besteht zwischen Einkommensverhältnissen und Lebenserwartung. Je privilegierter, desto höher ist auch die Lebenserwartung.
Ebenso sicher ist auch die Tatsache, dass Frauen in allen Gesellschaften eine höhere Lebenserwartung haben als Männer. Ich sehe da einen Zusammenhang, der aber als Tabuthema niemals thematisiert wird, so auch hier. Es scheint etwas damit zu tun zu haben, dass die beruflichen Belastungen doch deutlich höher sind, als die als Hausfrau und Mutter. Entgegen allem Gender“wissenschaft“lichem Geschnatter.
In meiner Jugend lag der Lebens-Gap noch bei sieben Jahren. Je mehr Frauen in die Berufstätigkeit gedrängt wurden, desto mehr verringerte sich dieser Unterschied. Dennoch beträgt er immer noch 5,5 Jahre. Klosterstudien belegen, dass sich das bei gleichen oder ähnlichen Lebensbedingungen fast aufhebt. Der kleine verbleibende Unterschied mag darauf zurückgehen, dass Männer ja nicht im Kloster geboren wurden, sondern einen Teil gesellschaftlicher Zwänge schon gelebt und ins kloster mitgebracht haben.
Eine neue Erkenntnis für mich aus diesem Interview ist, dass sich der Lebens-Gap noch verstärkt, wenn Einkommensgruppen mit berücksichtigt werden:
Differenz niedrigste/höchste Einkommensgruppe: Frauen 8,4 Jahre / Männer: 10,8 Jahre. Dennoch beharrt Frau Zimmermann auf der Pay-Gap-Lüge. Diese zu hinterfragen wurde in dem Interview leider versäumt. Oder sie wollte darauf nicht antworten?
>Dennoch beharrt Frau Zimmermann auf der Pay-Gap-Lüge. Diese zu hinterfragen wurde in dem Interview leider versäumt. Oder sie wollte darauf nicht antworten?
…MANNdat hat seinen Standpunkt zum Gender Pay Gap schon in vielen Artikeln dargelegt. MANNdat ist aber nicht das Bundesforum Männer, das heißt, dass wir Menschen, die nicht unserer Meinung sind, nicht gleich Schlechtes unterstellen .
Ich glaube, es bestehen auch beträchliche Geschlechtsunterschiede in dem Ausmaß, dass Armut sich auf den gesellschaftlichen Stand der Kinder und die Lebenserwarung auswirkt. Ich denke, arme Jungen haben schlechtere Karten als arme Mädchen.
Aber es stimmt schon, dass die Frage der wirtschaftlichen Gleichheit uns sehr viel wichtiger sein sollte als die Gleichstellung der Geschlechter. Besonders frappierend fand ich das, als ich neulich eine Veranstaltungen von Unternehmerinnen im Mittelosten verantwortete. Nahezu alle Teilnehmerinnen kamen aus priviligierten Schichten und hatten Ehemänner, die weitaus mehr verdient haben, als sie. Selbstverstädnlich sollten wir Unternehmerinnen unterstützen, aber dass wir im Rahmen von Programmen, die den Armen zu Gute kommen sollen, Unternehmerinnen subventionieren, denen es sehr viel besser geht als uns, finde ich pervers. Die Rechtfertigung, Rollenmodellen zu schaffen, ist auf jedem Fall längst ausgereizt und sowieso empirisch kaum bestätigt.
Zu guter Letzt: Der Pay Gap an sich ist ja keine Lüge. Nur die Vermutung, die oft nicht explizit gemacht wird, dass der Unterschied auf Diskriminierung zurückzuführen ist. Man könnte aber weiter gehen: geht man davon aus, dass alle Haushaltsteilnehmer sich das Haushaltseinkommen teilen, kommt man, denke ich, locker darauf, dass Frauen zwei Drittel des verfügbaren Einkommens kontrollieren. Denn beruflich gut situierte Frauen sowie gescheiterte Männer sind alle in der Single-Statistik weit überrepresentiert. Es geht uns doch letztendlich darum, dass wir allen Menschen einen guten Lebensstandard sichern.
Na ja, erwartungsgemäß die übliche Umverteilungs- und Genderpropaganda. Und warum will die ganze Welt (außer den Leistungsträgern) nach Deutschland, wenn es hier so „sozial ungerecht“, „ungleich“ und „frauenbenachteiligend“ ist?
Irgendwie hatte ich auf ein zumindest ausgeglichenes Interview gehofft, statt dessen die kürzere Lebensdauer der Männer unkonzentriert, statt dessen angebliche Frauenbenachteiligung, weil diese auf Grund der erhöhten Arbeitsbelastung eher sterben. Hier hätte die Gegenfrage kommen müssen, ob Sie dann nicht meint, dass einer der Hauptgründe für die kürzere Lebenserwartung bei Männern, der Fakt ist, dass diese in D im Schnitt 23% mehr erwirtschaften müssen, als Frauen? Das geht natürlich nicht wg. des Opferabos.
Statt dessen wird der Bullshit suggeriert, dies sei eine Benachteiligung von Frauen, die ja für die gleiche Arbeit weniger verdienen, was erwiesenermaßen keine Schnittmenge mit der Realität hat.
Ich finde es gut, einfach mal die Meinung einer Vertreterin der Linken unbedrängt darlegen zu lassen. Das Interview zeigt, denke ich, wie schwer es politisch Verantwortlichen, selbst denjenigen, die bereit sind, MANNdat ein Interview zu geben, immer noch fällt, einfach mal über Jungen oder Männer zu reden. Schnell kommt man wieder auf die übliche Frauenopferschiene. Es fehlt den politisch Verantwortlichen heute eindeutig an Empathie für Jungen, Väter und Männer.