Das Männerverheizen in der Ukraine geht weiter

von Manndat

Über die Verluste im Krieg in der Ukraine sind wenig zuverlässige Zahlen bekannt. Aber jetzt gehen beiden Seite die Männerleben aus.

Das Männerverheizen in der Ukraine geht weiter

Über die Verluste im Krieg in der Ukraine sind auf beiden Seiten wenig zuverlässige Zahlen bekannt. Am 21. Januar beziffert der ukrainische Generalstab Russlands Verluste im Ukraine-Krieg auf über 375.000 Soldaten (also getötet oder nachhaltig verletzt). Der britische Geheimdienst schätzt die Zahl der bis Ende November 2023 getöteten russischen Soldaten auf etwa 70.000, das sind durchschnittlich mehr als 100 Umgekommene pro Tag. U.S. Col. Douglas Macgregor schätzt die ukrainischen Verluste auf etwa „400.000 ukrainische Männer, die im Kampf getötet wurden“.

Vom Buhmannland zum Freiheitshochhalteland

Das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten hat am 2. Oktober 2021 das bis dato größte Leak über sogenannte Steueroasen bekannt gegeben, die sogenannten „Pandora Papers“. Aus keinem anderen Land wurden mehr Politiker in den Papers genannt als aus der Ukraine, mit doppelt so vielen Amtsträgern wie Russland auf dem zweiten Platz. Auch Selenskyj gehörte zu den ukrainischen Politikern, die Geld auf Offshore-Konten versteckt haben. [1]

Doch mittlerweile, nach dem Eintritt Russlands in den Ukrainekrieg, gilt laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Ukraine als ein „Ort, an dem unsere Werte hochgehalten werden, wo unsere Freiheit verteidigt wird und wo die Zukunft Europas geschrieben wird.“ [2]

Während die Bundesregierung im Rahmen der Ukraine Entwicklungshilfe über 36 Millionen Euro für die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2010/75/EG über Industrieemissionen, für den energieeffizienten Stadtteil Lemberg, den Erhalt von besonders schützenswerten Primärwäldern und Altbeständen in ausgewählten Nationalparks der Ukraine und der Beschleunigung der nationalen Treibhausgasminderung (NDC) ausgibt [3], versorgt die EU und insbesondere Deutschland deshalb das Land, an dem unsere Werte hochgehalten werden, seit zwei Jahren mit modernsten Waffen, Munition und Ausbildung für einen Krieg, der bereits 20 Prozent aller Schutzgebiete der Ukraine in Mitleidenschaft und bis Ende 2023 schon 150 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent verursacht hat. Das entspricht der jährlichen CO2-Emmission eines Industrielandes wie Belgien.

Doch die Hoffnung, die manche hatten, durch die Waffenlieferungen könne Russland schnell besiegt und der Krieg in Kürze beendet werden, hat sich nicht erfüllt. Das Verheizen von Männerleben auf beiden Seiten geht weiter.

Zwangsrekrutierungen russischer Männer

Russlands Gier nach immer mehr verheizbaren Männerleben wird dabei immer radikaler:

Es gibt aus dem Bereich von in Russland lebenden Migranten schon seit dem Sommer 2023 Berichte, dass diese zwangsweise zu den Einberufungsbehörden gebracht werden.

Aufgegriffen werden sie im Zuge von Razzien an ihren bevorzugten Arbeitsstellen wie Märkten und Baustellen. Auch direkter Druck zu einer sofortigen Verpflichtung zum Militärdienst wird berichtet.

Besitzen sie die russische Staatsangehörigkeit, werden sie sofort für den Militärdienst registriert. Sind sie noch keine Russen wurden sie bereits vor Putins Erlass mit dem Versprechen einer erleichterten Einbürgerung überredet, sich für die Front freiwillig zu melden.

(…) Nicht nur Arbeitsmigranten bekommen in Russland den Soldatenhunger der Offiziellen zu spüren. So gibt es einen Bericht der britischen BBC, dass mehrere der an der finnisch-russischen Grenze abgewiesenen Migranten mit Ziel EU, die in Russland eigentlich nur auf der Durchreise waren, nach Ablauf ihres Visums dort festgesetzt wurden.

Ohne nötige Sprachkenntnisse wurden ihnen russische Dokumente vorgelegt, die sie unterzeichnen sollten, um in Russland bleiben zu können: im Rahmen einer Arbeit „für den Staat“. Wer unterschrieb, wurde zum Kampfeinsatz an die Front gebracht.

Wie t-online berichtet, war laut Untersuchung des unabhängigen russischen Recherchenetzwerks „Important Stories“ und dem russischen „Conflict Intelligence Team“ (CIT) jeder fünfte Rekrut, der ums Leben kam, nicht einmal zwei Monate lang im Dienst:

Der jüngste Soldat war gerade einmal 19, der älteste 62 Jahre alt.

Russland hatte im September 2022 bekannt gegeben, weitere Reservisten zu verpflichten. Insgesamt sollen so 300.000 Soldaten einberufen worden sein. Noch habe der russische Präsident Wladimir Putin diese Mobilmachung nicht offiziell per Dekret für beendet erklärt, schreibt die „Moscow Times“.

Die Ehefrauen zwangsrekrutierter russischer Männer protestieren mittlerweile auf Soldatenfriedhöfen.

In Russland wurde ein Wehrpflichtiger zu 13 Jahren Straflager verurteilt, weil er sich nicht zwangsrekrutieren lassen wollte. Laut einer veröffentlichten Erklärung des Militärgerichts der Stadt Juschno-Sachalinsk wurde er der schweren Fahnenflucht «in einer Phase der militärischen Mobilmachung» für schuldig befunden wurde. Seine Strafe muss er demnach in einer Strafkolonie unter «strengen Haftbedingungen» verbüßen.

„Einladungen“ ukrainischer Männer

Aber auch der ukrainischen Armee gehen die Soldaten aus. UNIAN, eine private ukrainische Nachrichtenagentur, berichtet:

Die Mobilisierung 2024 ist noch im Gange, und Dmytro Natalukha, Abgeordneter der Ukraine und Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung der Werchowna Rada [Anm.: Die Werchowna Rada ist das gesetzgebende Organ in der Ukraine], hat gesagt, dass der Verbleib von mindestens 3,4 Millionen Männern im wehrpflichtigen Alter in unserem Land den Behörden unbekannt ist.

(…)

Er fügte hinzu, dass es darum geht, „sich dem Staat komplett zu entziehen, so dass er einen nicht identifizieren und nicht finden kann“. „Und das ist leider ein Risiko, das nicht umsonst eingegangen wird. Es gibt heute mindestens 3,4 Millionen Männer, von denen der Staat nur die Identifikationsnummer kennt. Sie sind nicht in Übersee, sie sind nicht in der AFU, sie sind nicht behindert, sie sind nicht in der Schule, sie sind nicht berufstätig … Wir wissen nicht, wo diese Menschen sind“, betonte der Abgeordnete und präzisierte, dass diese Menschen im wehrpflichtigen Alter sind.

Doch laut Medien geht es, wie es einem Freiheitsmusterland gehört, bei der Zwangsrekrutierung von Männerleben vermeintlich gesitteter zu. Die tagesschau:

Bei der Suche nach weiteren Wehrdienstleistenden überlegt der neue Verteidigungsminister Rustem Umjerow, auch im Ausland lebende ukrainische Männer einzuziehen. Ukrainer im wehrfähigen Alter von 25 bis 60 Jahren in Deutschland und anderen Ländern sollten aufgefordert werden, sich in den Rekrutierungszentren der Streitkräfte zu melden. Das kündigte Umjerow in einem Interview mit „Bild“, Welt TV und „Politico“ an. Der Minister sprach zwar von einer Einladung. Er machte aber klar, dass es Sanktionen geben werde, wenn jemand der Aufforderung nicht folge. „Wir besprechen noch, was passieren soll, wenn sie nicht freiwillig kommen“, sagte er.

(…)

Das ukrainische Militär möchte 450.000 bis 500.000 weitere Soldaten mobilisieren

Mittlerweile stimmte die Mehrheit des ukrainischen Parlaments zu, das Einberufungsverfahren zu vereinfachen und neue Strafen für Kriegsdienstverweigerer auf den Weg zu bringen.

Doch der „Einladung“ folgen nicht alle, denn mit dem Hurrapatriotismus der Medien hat das Soldatenleben und -sterben auch für die ukrainischen Soldaten nichts zu tun. Die BBC berichtet:

In der Leichenhalle, einer von mehreren entlang der Frontlinie, arbeiten sie daran, den unbekannten Soldaten, die direkt vom Schlachtfeld kommen, Namen zu geben.

Die Leichensäcke werden einzeln nach draußen gebracht, und die Suche nach Hinweisen beginnt. Im ersten Leichensack liegt die Leiche eines jungen Mannes, die Augen noch offen, die Hände sorgfältig auf dem Schoß gefaltet. Er hat eine Schnittwunde im Gesicht und eine Wunde an der Seite seines Beins. Eine weitere Leiche wird herausgeholt, die Finger der rechten Hand fehlen, Blut und Schlamm vom Schlachtfeld beflecken seine Uniform.

Das Personal der Leichenhalle schneidet die Taschen auf, in denen sich noch die Gegenstände des täglichen Lebens befinden – Schlüssel, ein Handy, eine Brieftasche mit Familienfotos. Im Tod sind diese Gegenstände nun Anhaltspunkte, die die Unbekannten mit ihren Familien wieder zusammenbringen könnten.

Unter der Überschrift „Diese Männer zittern am ganzen Körper, können überhaupt nicht mehr schießen“ veröffentlicht „Die Welt“ ein Interview mit Rudi Friedrich, der sich für Kriegsdienstverweigerer einsetzt. Im Gespräch geht es um den stark steigenden Druck auf die Hunderttausende teils traumatisierten Männer, die aus der Ukraine vor ihrem zwangsrekrutierten Verheizen geflüchtet sind.

Während aber medial noch viel Empathie gegenüber russischen, zwangsrekrutierten Männern, die im Krieg verheizt werden, entgegengebracht wird, verschwindet diese meist schnell, wenn es um ukrainische Wehrpflichtige geht. So heißt es in einem Kommentar von Reinhard Müller in der FAZ zu ukrainischen Wehrpflichtigen, die sich dem Männerrollenbild des beliebig verheizbaren Kanonenfutters für Machthaber entziehen wollen:

Wenn man den Kampf gegen Putins Russland, (…) für gerechtfertigt und gerecht hält (…), dann muss Deutschland ein sicherer Hafen für Schutzbedürftige sein – aber nicht für wehrpflichtige Männer, die sich ihrer Pflicht entziehen.

Dafür gibt auch das hiesige Grundrecht nichts her, aus Gewissensgründen (!) den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Es gibt kein generelles Recht auf Flucht vor der Einberufung. Deutschland muss auch hier alles tun, um der Ukraine zu helfen – im ureigenen Interesse.

Quod licet Iovi, non licet bovi. Die wohlwollende Empathie, die russischen Männern entgegengebracht wird, die vor ihrer Zwangsrekrutierung als Kanonenfutter fliehen, gilt noch lange nicht für ukrainische Männer, die dasselbe tun.

Liefert Deutschland ukrainische Wehrpflichtige aus?

Focus schreibt im September 2023 zu den Auslieferungswünschen der Ukraine [4]:

Nach Angaben des Ministeriums sind nach dem 24. Februar 2022 insgesamt 214.263 männliche ukrainische Staatsangehörige nach Deutschland eingereist, die zum 31. Juli dieses Jahres zwischen 18 und 60 Jahre alt waren. Davon halten sich noch 184.272 in Deutschland auf, heißt es auf DW-Anfrage.

(…)

Es liegen jedoch keine Daten darüber vor, wie viele dieser Männer nach Deutschland eingereist und dort geblieben sind, ohne gegen ukrainische Gesetze verstoßen zu haben. Unbekannt ist auch, wie viele mutmaßliche Kriegsdienstverweigerer unter ihnen sein könnten, die der Mobilmachung mit Bestechung, Urkundenfälschung, illegalem Grenzübertritt oder anderen Verstößen entgangen sind.

(…)

Der Auslieferungsverkehr mit der Ukraine findet auf der rechtlichen Grundlage des Europäischen Auslieferungsabkommens und des 2. und 3. Zusatzprotokolls zu dem Abkommen statt. Nach Artikel 2 Absatz 1 ist Voraussetzung für eine Auslieferung, dass die Handlung sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch dem des ausliefernden Staates strafbar ist.

Nach Artikel 4 ist die Auslieferung bei militärisch strafbaren Handlungen jedoch ausgeschlossen. „Damit sind in erster Linie Delikte gemeint, die ausschließlich in der Verletzung militärischer Pflichten bestehen“, erklärt eine Pressesprecherin des Bundesjustizministeriums auf DW-Anfrage.

Dadurch würden Straftaten laut deutschem Wehrstrafgesetz (Paragraf 15-18), unter anderem für Fahnenflucht und Dienstentziehung durch Täuschung, als Grundlage für eine Auslieferung ausscheiden.

„Wenn eine Handlung allerdings auch nach allgemeinem Strafrecht mit einer Strafe bedroht ist, zum Beispiel eine Bestechung, um nicht eingezogen zu werden, gilt die Ausnahme nicht“, so das Justizministerium.

(…)

„In Fällen von Urkundenfälschung, der Verwendung falscher Bescheinigungen und Bestechung kann ein Auslieferungsersuchen gestellt werden“, erklärt Frank Peter Schuster, Professor für Internationales Strafrecht an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität in Würzburg im DW-Gespräch. Auch der Schutzstatus ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland verhindere dies nicht.

Bislang hat Selenskyj fast alles bekommen, was er will.

Doppelmoral

Moralapostel Müller hat in seinem FAZ-Kommentar nicht den Mut, sich der entscheidenden Frage zu stellen: Warum, Herr Müller, ist bis heute, in Zeiten der Gleichberechtigung, manche fordern sogar Gleichstellung, Wehrdienst ausschließlich Pflicht für Männer? Auch bei der ukrainischen Wehrreform bleibt eine Wehrpflicht auch für Frauen ausgeschlossen.

Fällt niemandem die eklatante Doppelmoral unserer Gesellschaft auf, die bis in die kleinste Ecke alles argwöhnisch betrachtet, damit alles ja geschlechtergerecht zugeht, aber dort, wo es um das massenhafte Verheizen von Menschenleben ganz, plötzlich Geschlechterpolitik ausfallen lässt?

Menschen, die am Männerrollenbild des Kriegers festhalten wollen und den Sexismus in der Zwangsrekrutierung für den Krieg nach wie vor gutheißen, stellen uns oft die rhetorische Frage, ob wir wirklich wollten, dass Frauenleben in Kriegen verheizt würden.

Es ist ein sehr billiger Versuch, die Fakten auf den Kopf zu stellen und uns ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Nein, wir wollen nicht, dass Frauenleben in Kriegen verheizt werden. Die Frage ist: eine andere:

Warum hat die Gesellschaft, warum haben wir kein Problem damit, dass in Zeiten von Gleichberechtigung und angeblich gewünschter Änderung der Rollenbilder weiterhin Männerleben – unsere Söhne – für die Interessen der Mächtigen verheizt werden.

Sexismus ist, wenn Rechte und Pflichten vom Geschlecht abhängen. Wir möchten, dass Männer das gleiche Recht haben wie Frauen, NEIN zum Zwangsdienst sagen zu dürfen, ohne dass es für sie strafrechtliche Konsequenzen hat.

Eine Geschlechterpolitik, die penetrant darauf achtet, dass Frauen ja keinen Nachteil erleiden, aber das massenhafte Verheizen von Männerleben – und ausschließlich von Männerleben – im Interessen von Machthabern und Machtgierigen als Gott gegebene Selbstverständlichkeit duldet, ist keine Geschlechterpolitik, sondern eine Sexismuspolitik.

Quellen, soweit im Text noch nicht verlinkt:

[1] Elizabeth Rushton: „Wolodymyr Selenskyj: Der ukrainische Präsident und sein peinliches Netzwerk“, Berliner Zeitung, 16.10.21, https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/pandora-papers-volodymyr-selenskij-der-ukrainische-praesident-und-sein-peinliches-netzwerk-li.188923; Abruf 19.02.24)

[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-von-der-leyen-mit-eu-kommission-zu-gespraechen-in-kiew-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230202-99-446810; 2. Februar 2023

[3] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 20/9176 –  u.a. zur Entwicklungshilfe der Bundesregierung

[4] Focus: https://www.focus.de/politik/ausland/kann-deutschland-die-kriegsverweigerer-an-die-ukraine-ausliefern_id_205657687.html, September 2023

 

Bildquelle: AdobeStock_711858159

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