Dürfen Männer sich nicht töten lassen müssen?
Dürfen Männer sich nicht töten lassen müssen? Es klingt wie eine rhetorische Frage, ist es aber nicht. Es ist eine Kernfrage von Gleichberechtigung und von Menschenrechten, vor der sich nicht nur der Feminismus, sondern auch die gesamte professionelle Geschlechterpolitik einschließlich der kostenintensiven Gleichstellungsindustrie ebenso wie Menschrechtsorganisationen, die UN sowieso, und unsere angeblich so tolerante Gesellschaft sich seit 50 Jahren davonstehlen.
Spiegel-Online berichtet über Männer, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Mit der Überschrift des Artikels „Ich habe keine Angst, jemanden zu töten. Ich will einfach nicht sterben“ kommt er unserer Kernfrage schon sehr nahe.
Über die Lage in der Ukraine erfährt man:
In den nächsten Wochen soll das lang umstrittene Mobilisierungsgesetz verabschiedet werden, noch bis zum 21. Februar dürfen Abgeordnete Änderungsvorschläge einbringen. Der aktuelle Entwurf sieht vor, den aktiven Dienst auf 36 Monate zu beschränken, bisher gibt es dafür kein Limit. Das Mindestalter soll auf 25 statt wie bislang 27 Jahre gesenkt werden. Die Armee könnte Männer in Zukunft per Onlinebescheid einberufen. Wer nicht erscheint, dem dürfte der Staat das Konto blockieren und den Führerschein sperren. Oleksandr Boiko und andere Männer müssten im Konsulat ihre Registrierung vom Einberufungsamt vorweisen, wenn sie ihren Pass verlängern wollen. Die drastischen Maßnahmen zeigen die Verzweiflung in Kiew. In sozialen Netzwerken kursieren Videos von Feldjägern, die ukrainische Männer auf der Straße mitnehmen.
So funktioniert männliche Sozialisation
Unter der Überschrift „Ich schäme mich“ interviewt die Neue Zürcher Zeitung einen ukrainischen Mann, dem man anonymisiert den Namen Witolt gab, der in einem Gewissenskonflikt steht, weil er ins Ausland geflohen ist, statt an der Front zu stehen und dort vielleicht zu sterben oder zum Krüppel geschossen zu werden:
…der Krieg geht nun in das dritte Jahr, und die Frage, ob Witold das Richtige tue, verschwindet nicht. Vor wenigen Wochen hat der ukrainische Präsident Selenski im deutschen Fernsehen an die Auslandukrainer appelliert, dass sie zurückkehren möchten. Die Verluste an der Front sind hoch, die Soldaten erschöpft. Männer wie Witold gehören für viele Ukrainer in die Schützengräben im Osten. In Deutschland wurde sogar kurz erwogen, ob man die jungen wehrfähigen Männer per Gesetz zurückschicken könnte. An die Front. In den möglichen Tod.
Das Interview zeigt eindrucksvoll, wie die männliche Sozialisation in unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert immer noch funktioniert, und dass die Emanzipationsbewegung der letzten Jahrzehnte Männer komplett vergessen hat. Immer noch haben Männer Schuld- und Schamgefühle, wenn sie das Recht für sich in Anspruch nehmen, das für Frauen als selbstverständlich gilt, nämlich sich nicht zwangsrekrutiert umbringen lassen zu müssen. Obwohl das Interview recht lang ist, schrammt man an unserer Kernfrage, weshalb sich Männer – im Gegensatz zu Frauen – nicht töten lassen müssen dürfen, leider immer wieder vorbei.
Im Tagesspiegel (Bezahlschranke) kommt u. a. ein anderer Ukrainer zu Wort, der auch nicht gegen die Russen in den Krieg ziehen will, aber den Sexismus hinter der Kriegsdienstfrage anspricht. Er nähert sich der Frage aber von der anderen Seite. Er fragt nicht, weshalb sich Männer sich nicht töten lassen müssen dürfen, sondern warum Kanonenfutter einen Penis haben muss:
Bei der Wohnungssuche schrieb mir ein Vermieter auf „WG-gesucht“: „Warum bist du hier? Du bist ein Mann, geh und verteidige dein Land!“ Aber ich bin kein Soldat, sagte ich. Er antwortete: „Wenn so etwas mit meinem Land passieren würde, würde ich kämpfen! Du bist ein schlechter Mensch!“
Aber noch schlimmer sind die Blicke und Kommentare von Ukrainerinnen. Ich hatte als ukrainischer Mann in Berlin anfangs das Gefühl, herauszustechen. Immer schwang mit: Deine Rolle als Mann ist es, unsere Heimat gegen die russischen Besatzer zu verteidigen. Das löst Unbehagen in mir aus. Warum muss ausgerechnet ich mein Leben riskieren, nur weil ich einen Penis habe?
Wenn wir behaupten, wir vertreten Werte wie Gleichberechtigung, verstehe ich nicht, wie man die eine Hälfte der Bevölkerung zum Kämpfen zwingen kann, während die andere Hälfte – also die Frauen – davon verschont bleiben. Jetzt fühle ich mich unter ukrainischen Frauen oft unwohl.
(…) Sich auf unbestimmte Zeit verpflichten und im Land festgehalten werden, weil Männer nicht ausreisen dürfen? Das grenzt an Sklaverei. Ich will das nicht. Ich glaube nicht an Zwang. Das ist nicht die Art und Weise, wie man Werte verteidigt.
Aber auch wer nicht für Russland in den Krieg ziehen will, hat schlechte Chancen auf Asyl in der BRD – und auch der Ton gegenüber geflohenen Wehrpflichtigen aus der Ukraine wird rauer.
Die Zeitung analyse & kritik hat sich näher mit dieser Entwicklung beschäftigt. Darin heißt es, dass nur 2,6 Prozent der Asylanträge von russischen Militärverweigerern positiv beschieden wurden. Weiter heißt es darin:
So machte etwa FAZ-Redakteur Peter Karstens Ende vergangenen Jahres eine atemberaubend menschenverachtende Rechnung auf, die er »das Ukraine-Paradox« taufte: Die Bundesrepublik, so Karstens‘ These, konterkariere ihre eigenen milliardenschweren Militärhilfen für die Ukraine, wenn sie zugleich »220.000 Männer mit Bürgergeld unterhält, die sich seit Kriegsbeginn aus der Ukraine in Sicherheit gebracht haben«. Deutschland zahle damit »deutlich mehr Geld für den Lebensunterhalt ukrainischer Wehrdienstverweigerer, als es in die Ausbildung und Ausrüstung der ukrainischen Verteidiger gegen die russische Aggression investiert«. »Bürgergeld statt Krieg – Mehr als 200 000 potenzielle Soldaten bekommen bei uns Stütze«, hetzte am Neujahrstag 2024, in dasselbe Horn wie Karstens blasend, die Bild-Zeitung.
Der Artikel ist lesenswert, man muss sich aber auf konsequente Gendersprache gefasst machen, was insbesondere bei der Wehrpflicht sehr unpassend ist, denn Wehrpflicht betrifft bislang immer noch ganz vorwiegend Männer, in Russland, der Ukraine und in Deutschland, worauf der Artikel auch eingeht, sowieso. Wenn es in dem Artikel also heißt:
Was auf den ersten Blick paradox wirkt – dass Deutschland und die EU zwar Russ*innen auffordern, Putin nicht zu unterstützen, ihnen aber zugleich sichere Fluchtwege versperren und keinen großzügigen Schutz bieten – folgt dabei einer inneren Logik. Zum einen dürfte es wenig Interesse an einem Präzedenzfall geben: Denn, wenn Verweigerer aus Russland leicht Asyl erhalten, könnten ja auch Staatsbürger*innen anderer kriegführender Länder auf die Idee kommen, in Deutschland Schutz zu suchen. Hinzu kommt: Auch die Bundesrepublik, in der die Wehrpflicht zwar ausgesetzt, aber nach wie vor aktivierbar ist, behält sich vor, ihre Bürger*innen potenziell zum Töten und Sich-Töten-Lassen verpflichten zu können – Stichwort »Kriegstauglichkeit«. Ein zu lockerer Umgang mit Desertion und Wehrdienstentzug könnte sich (aus dieser Sicht) zukünftig negativ auf den grundsätzlich beanspruchten staatlichen Zugriff auswirken.
Dann ist das sehr befremdlich, denn für „innen“ gibt es in Deutschland keine Wehrpflichtregelung, die sie zum Töten und Sich-Töten-Lassen verpflichten könnte. Laut Art 12a GG können nur Männer – und ausschließlich Männer – vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Wir haben, wie in der Ukraine und Russland auch, in Deutschland keine allgemeine Wehrpflicht, sondern eine sexistische Wehrpflichtregelung im GG.
Wir wissen deshalb nicht, was es da zu gendern gibt, denn das „Privileg“ der Männer unter Freiheitsentzug zwangsrekrutiert zum effektiven Töten abgerichtet zu werden und als Kanonenfutter verheizt werden zu dürfen, hat bislang noch kein Geschlechterpolitiker ernsthaft beseitigen wollen.
Kein Bürgergeld für männliche Ukrainer?
Politiker der Unionsparteien fordern übrigens derzeit einen Stopp des Bürgergelds für Männer, die aus der Ukraine geflohen sind. Das berichtet Maximilian Beer in der Berliner Zeitung. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte zuvor erklärt, man werde Menschen nicht gegen ihren Willen zum Kriegsdienst zwingen, und sein Parteikollege Alexander Müller, der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, habe sich dem angeschlossen: Es dürfe „keine Diskriminierung männlicher Flüchtlinge zugelassen werden“.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), spricht sich nun aber dafür aus, diesen Männern das Bürgergeld zu entziehen: „Diese Bürgergeldzahlungen konterkarieren indirekt die ukrainischen Verteidigungsanstrengungen und befinden sich auch mit unserem Verständnis von Wehrpflicht und Verteidigung des eigenen Landes nicht im Einklang.“ Hahn argumentiert: „Die Signalwirkung an die kämpfenden Ukrainer und auch nach innen ist schlecht, wenn wir auf der einen Seite von Kriegstüchtigkeit reden, andererseits aber den Wehrwillen indirekt beschädigen.“
Verein zur Unterstützung von Kriegsdienstgegnern und -verweigerern
Der Tagesspiegel (Bezahlschranke) stellt den Verein Connection e.V. in Offenbach am Main vor, der Kriegsdienstgegner und -verweigerer unterstützt und sich nach dem russischen Überfall der Ukraine auf die Beratung von Betroffenen aus beiden Ländern spezialisiert. Im Interview mit dem Tagesspiegel berichtet Vereinsgründer Rudi Friedrich unter anderem, wieso viele auch in Deutschland und anderen EU-Ländern nur vorübergehend vor dem Kriegseinsatz geschützt sind:
Die Ukrainer, die derzeit hier leben, haben einen befristeten humanitären Aufenthalt. Der wurde kürzlich auf Bestreben der Europäischen Union bis zum 4. März 2025 verlängert. Dann kann der Aufenthalt meines Wissens nach der EU-Direktive nicht mehr verlängert werden. Es kann da sehr viel Druck geben. In dem Fall können Betroffene zwar Asylanträge stellen. Die haben aber wenig Aussicht auf Erfolg, denn Kriegsdienstverweigerung und Desertion ist grundsätzlich kein Asylgrund. Nur, wenn zusätzliche Verfolgung hinzukommt.
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„Hamburger Neujahrsgruß 2024 für Russen, Ukrainer und andere Kriegsdienstopfer
Liebe Russen, liebe Ukrainer, liebe Männer anderer Völker (wer auch immer wegen seines Geschlechts zum Kriegsdienst gezwungen wird),
Euer Körper und Euer Leben gehören Euch!
Die Gleichberechtigung ist kein Privileg für eine Bevölkerungsgruppe, sondern ein Grundrecht für alle Menschen jeglichen Geschlechts. Gleichberechtigung heißt, niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden. Niemand hat das Recht, von Euch wegen Eures Geschlechts zu verlangen, Euren einzigen Körper und Euer einziges Leben für eine gute oder schlechte Sache zu opfern. Ihr habt das gleiche Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wie Eure weiblichen Landsleute.
… Euch zu ergeben oder die Waffen niederzulegen oder davonzulaufen oder Euch in Sicherheit zu bringen, das ist Euer gutes Recht, um Euren einzigen Körper und Euer einziges Leben ebenso zu retten, wie es Euren weiblichen Landsleuten ohne weiteres zugestanden wird.
Jedem von Euch wünsche ich für das Jahr 2024 die besten Möglichkeiten, der sexistischen Grausamkeit des geschlechtsspezifisch erzwungenen Kriegsdienstes zu entfliehen, um Euren einzigen Körper zu schützen und Euer einziges Leben zu erhalten.“
(Original viersprachig: https://www.facebook.com/Hartmut.Voelp )
Sehr guter Beitrag.
Der ewige Widerspruch: Kann Mann mit Zwang und Gewalt die Freiheit und Demokratie verteidigen?
Wenn es überhaupt einen Grund für Asyl gibt, dann ist es Kriegsdienstverweigerung. Dann da ist tatsächlich das Leben bedroht.
In der Krieg-Frage wird erkennbar, wie unsinnig der Feminismus ist.
Die Streichung der Bürgergeldzahlungen an männliche Ukrainer wird ohne Effekt bleiben. Schließlich wissen wir aus anderem Zusammenhang, dass es keine Pull-Effekte gibt und die Einschränkungen von Zahlungen bloß menschenverachtend sind und immer ohne Auswirkungen bleiben.
Hallo! Das endlich jemand über dieses Thema redet, finde ich wichtig. Ich habe zwei Söhne und beiden habe ich empfohlen, die Eintragung im Ausweis von „männlich“ auf „weiblich“ ändern zu lassen. Wenn das alle Männer im wehrfähigen Alter machen würden, dann wäre die Politik gefordert.
Vielleicht ist das ja ein Tipp für alle Männer, die sich auf eurer Seite informieren wollen.
Viele Grüße
Oliver
Es gibt also Bemühungen, die ukrainischen Männer zur Rückkehr und um Soldatendienst zu drängen. Vllt können Feministen das Thema entdecken und reden dann mal mit denen, wie unterdrückerisch deren Verhalten so auf Frauen wieder mal wirkt. Man hört von den Feministen so auffallend wenig zu dem Thema. Vllt suchen die noch die weißen Federn.
Diese Genderei, obwohl nur Männer betroffen sind, sind schon ein Hohn, den wir schon beim Afghanistanartikel hier auf Manddat sehen konnten. Alle 68 Bundeswehrsoldaten, die dort ihr Leben gelassen hatten, waren Männer. 0 Frauen. Und trotzdem wurden offiziell den Soldatinnen und Soldaten gedacht, die ihr Leben dort gelassen hatten.
So ist es immer dasselbe: Bei den Opfern wollen Frauen immer dabei sein. Auch wenn sie nicht wirklich Opfer sind. Und jedes mal, wenn die Opferrolle der Frau faktisch unterlegt relativiert, dann kommt einem nur blankes Entsetzen oder Hass entgegen. Männer sind Bürger zweiter Klasse und nicht aus Fleisch und Blut wie es scheint.