#MeToo als Geschäftsmodell – Teil 2
#MeToo als Geschäftsmodell – Teil 2
Mittlerweile ist #MeToo, das auszog, um Machtstrukturen aufzudecken und zu beseitigen, selbst zu einem Synonym von Machtmissbrauch geworden. Es kann Karrieren, die Freiheit von Menschen und sogar Menschenleben innerhalb kurzer Zeit beenden. Es reicht eine Beschuldigung. Der Rechtsstaat scheint ausgehebelt.
In Teil 1 haben wir erörtert, wie aus #MeToo ein Geschäftsmodell wurde. Im zweiten Teil wollen wir weitere Beispiele dafür aufführen und betrachten, welche Konsequenzen das auf unsere Gesellschaft und dessen rechtsstaatlichen Grundlagen haben kann.
Das Ende der Unschuldsvermutung
In der „Welt“ fragt der Publizist Marcel Peithmann: „Was ist eigentlich aus der Unschuldsvermutung geworden?“ (Bezahlschranke):
Auch die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski beschäftigte sich in einem Beitrag unter anderem mit diesem Fall: „Wer erklärt, dass eine Frau, die von Übergriffen spricht, lügt und das Ansehen dieser Person zerstören will, wirft der Frau mindestens üble Nachrede vor – und das wäre dann auch eine Straftat, die diese Frau begehen würde.“ Dieser Satz basiert nicht nur vollständig auf Unterstellungen, sondern diskreditiert auch die Unschuldsvermutung, indem er sie nach eigenem Gusto verdreht.
Gegen diese Kritik versuchte sich Stokowski mit der Aussage zu immunisieren, die Unschuldsvermutung sei ausschließlich ein „rechtliches Prinzip“. Damit möchte sie wohl behaupten, diese gelte nur vor Gericht. Das ist nachweislich unzutreffend. Aus dem Pressekodex, den man als Journalistin eigentlich kennen sollte, geht hervor, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung auch für die Presse verpflichtend ist. Man kann durchaus die Meinung vertreten, dass sie zusätzlich auch ein moralisches Prinzip sein sollte.
Ein Abschnitt lädt besonders zu Kommentierung ein: „Dass sexualisierte Gewalt selten nachgewiesen werden kann, ist ein Problem. Aber die Hauptgefahr ist hierbei nicht, dass haufenweise unschuldige Männer im Knast landen. Die Hauptgefahr ist, dass das öffentliche Misstrauen gegen mutmaßliche Opfer und diejenigen, die den Schilderungen glauben, dazu führt, dass Menschen, die Gewalt erfahren haben, es nicht wagen, darüber zu sprechen, weil sie ahnen, welche Macht ihnen dann entgegenschlagen würde.“ In negativer Hinsicht bemerkenswert, wie grotesk hier die Idee der Unschuldsvermutung verzerrt wird.
Dass Stokowski unschuldig Kompromittierte zu Kollateralschäden erklärt, spricht zudem Bände darüber, welche Stufe der Verrohung der Diskurs inzwischen erreicht hat.
Peithmann kommt zur Erkenntnis:
Rechtsstaatliche Standards werden von vielen allerdings nur akzeptiert, solange sie nicht mit den eigenen Ansichten kollidieren. Diese Ansichten enthalten häufig die auf einem Irrtum basierende Erzählung, dass Angehörige bestimmter Gruppen pauschal Opfer und Angehörige anderer Gruppen pauschal Täter seien. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Geschlechterfragen, Rassismus oder andere Themen handelt: Einem friedlichen Miteinander ist dieses Narrativ nicht zuträglich.
Die Unschuldsvermutung sollte deshalb nicht nur als zentrales Element des Rechtsstaats, sondern als wichtiger Teil der Verbesserung des Umgangs miteinander auch in allen anderen Lebensbereichen gelten. Es verwundert, dass in einer Zeit, in der sich parteiübergreifend auch in politischen Programmen immer häufiger Forderungen nach „Achtsamkeit“ und „Respekt“ finden, dieses so wichtige Werkzeug zur Erfüllung des Wunsches nach einem konstruktiv-bejahenden Miteinander gering geschätzt wird.
Medienanwalt Ralf Höcker, der vor einigen Jahren den als Sexualstraftäter verleumdeten Meteorologen Jörg Kachelmann verteidigt hatte, äußert sich in einem Podcast zur Mockridge-Berichterstattung des SPIEGEL:
„Was Maren Kroymann da gesagt hat, ist unter aller Sau. Ich weiß nicht, was in dem Kopf dieser Frau nicht stimmt. (…) Den Preis für ihr Lebenswerk müsste man ihr zurücknehmen. Wer so etwas sagt, in dem Alter, wo man eigentlich seine Sinne noch beieinander haben sollte, den kann ich nicht ernst nehmen. Das ist widerwärtig. Ich finde es wirklich schlimm. Irgendjemand hat gesagt, das ist eine Hexenjagd, und genau das ist es. (…) Man kann so etwas mit einem Menschen nicht machen.“
Die Amadeu-Antonio-Stiftung und der Konjunktiv
Roger Letsch in seinem Artikel „Warum die Amadeu-Antonio-Stiftung Spenden nicht zurückgeben muss“ vom 14.09.2023:
Die Amadeu-Antonio-Stiftung sammelte über 800.000 Euro für Opfer von Till Lindemann. Doch offenbar hat kein Opfer geklagt oder Anzeige erstattet und die Staatsanwaltschaft hat mangels Opfer die Ermittlungen eingestellt. Warum werden die Spenden dann nicht zurückgezahlt? Weil die Profis in der Stiftung wissen, wie man Spendenaufrufe formuliert. (…)
Fakt ist, dass die AAS die Spenden hätte zurückerstatten können. Technisch ist das kein Problem. Aber man kann die Mittel auch für andere Zwecke verwenden.
Letsch weist darauf hin, dass es am 1. September beim Beenden der Spendenkampagne hieß:
„GROßEN DANK für deine Unterstützung! Eure Spenden machen Mut. Es ist toll zu wissen, dass so viele Menschen hinter der Kampagne stehen. Sie macht deutlich: Betroffene von sexualisierter Gewalt sind nicht allein. Und sie können sich wehren und sich die Hilfe holen, die sie brauchen. Sollten Mittel übrig bleiben, werden wir diese für unseren „SHEROES Fund“ sowie den satzungsgemäßen gemeinnützigen Zweck der Amadeu Antonio Stiftung einsetzen, wie die Unterstützung von Betroffenen von Hass und Hetze.“
Überraschung: Es ist doch tatsächlich „etwas“ Geld übrig geblieben für die tolle Arbeit der Kahane-Stiftung! Und bevor Sie jetzt Schnappatmung bekommen, weil sie vielleicht auch einen Euro in die Klingelbüchse gesteckt haben und den zurückhaben wollen, schauen wir doch mal auf die Sammel-Seite, wie sie sich früher präsentierte. Und zwar schon zu Beginn der Kampagne, als die „Schuld“ von Rammstein noch völlig außer Frage stand, am 16. Juni 2023. Ich zitiere:
„In dem Fall, dass die Rechtsstreitigkeiten erfolgreich ausgehen und die Prozess-/Anwaltskosten erstattet werden, oder mehr Spenden eingehen, als benötigt, werden die erstatteten und nicht benötigten Spendengelder im SHEROES Fund – Held*innen für Demokratie, für die Umsetzung des satzungsgemäßen gemeinnützigen Zweck der Amadeu Antonio Stiftung eingesetzt.“
Na, wie schmeckt Ihnen der Konjunktiv in der Retrospektive? Die Rechtsstreitigkeiten waren ja leider alles andere als erfolgreich und Anwaltskosten wurden auch nicht erstattet. Und da ist ja noch der Teil hinter dem „oder“: Dass „…mehr Spenden eingehen, als benötigt…“.
Was wofür benötigt wird, bestimmt eben nicht der Spender, sondern die AAS. Und ob nun der ganze Jackpot oder nur die über dem angegebenen Spendenziel von 750.000 Euro liegenden 86.000 Euro ins Säckel der Kahane-Stiftung fließen, das werden Sie Hasser und Hetzer nie erfahren. Die Amadeu-Antonio-Stiftung jedenfalls hat nie behauptet, dass die Gelder in vollem Umfang an die Opfer gehen würden!
Also, schlucken Sie Ihren Zorn für die gute Sache herunter und erkennen Sie an, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung im evidenzfreien Empörungs- und Anschmutzungsgeschäft ein Vollprofi ist und Sie nur der leichtgläubige Amateur mit großem Herzen. Sie hätten eben das Kleingedruckte lesen sollen.
CDU-Frauen bieten Shelby Lynn eine Bühne
Dass die Bosse der Frauenunion mitunter recht rabiate Methoden gut finden, wenn es ihrem Zweck dient, und z. B. schon mal auch männermordende Länder für ihre Frauenförderpolitik lobt, wissen wir schon.
Im Zusammenhang mit #MeToo beschäftigte sich n-tv mit dem Parteiaustritt der CDU-Politikerin Sophia Thomalla aufgrund einer Veranstaltung der Unionsfraktion im Bundestag, bei der die Nordirin Shelby Lynn zu Gast war.
Nach einem Konzert von Rammstein im litauischen Vilnius im Mai hatte Lynn die Diskussion um Sänger Till Lindemann ins Rollen gebracht. Die junge Frau behauptete, in einer Konzertpause zu ihm geführt worden zu sein, um mit ihm Sex zu haben, wozu es aber nicht gekommen sei. (…) Die Staatsanwaltschaften in Berlin und Vilnius hatten Ermittlungen gegen Lindemann eingestellt, da sie keine Belege für strafbare Handlungen des Sängers finden konnten.
Lynn im Rahmen der Veranstaltung „eine Bühne zu geben im deutschen Bundestag, spiegelt genau die realitätsferne Politik wider, die so viele Bürger seit Monaten zurecht kritisieren“, führt Thomalla in ihrer Erklärung zu ihrem CDU-Austritt jetzt aus. Die „frisch und selbst ernannte irische Feministin“ habe letztlich eingeräumt, „dass sie Till mit ihren Aussagen persönlich nichts vorwerfen wollen würde“, ergänzt sie und fährt fort: „Über die Ermittlungen wegen Falschaussagen in Vilnius wollen wir erst gar nicht anfangen.“
Mit ironischem Unterton stellt Thomalla fest: „Diese Dame steht jetzt dank unserer Politiker auf einer offiziellen Bühne in unserem politischen Haus und kämpft für Frauen. Also auch für mich.“ Für sie sei das nicht zu ertragen. „Eine Frau einzuladen, die tatsächlich und echte Gewalt erleben musste – das wäre meiner Meinung nach der richtige Weg, diesem so wichtigen Thema eine ehrliche Präsenz zu schenken – ohne billige Aufmerksamkeit zu erhaschen.“
Thomalla schließt ihr Statement mit den Worten: „Dass Politiker wie Dorothee Bär und Julia Klöckner sich für einen schnellen und billigen Applaus aus der woken Berliner Bubble lieber mit Personen beschäftigen, die fernab jeglicher Relevanz sind, statt um die eigentlichen Sorgen der Bürger, ist halt leider genau einer der Gründe, warum die AfD einen so relevanten Aufschwung bekommt.“
Die Abendzeitung München schreibt:
Dorothee Bär soll zu Beginn der Veranstaltung gesagt haben, es solle nicht darum gehen, was passiert oder nicht passiert sei.
Kann noch deutlicher ausdrücken, dass es bei #MeToo schon lange nicht mehr um das geht, was man ursprünglich offiziell beabsichtigte, sondern nur noch um Effekthascherei? Shelby Lynn reagierte auf Thomallas Parteiaustritt:
Mit Blick auf den Partei-Ausstieg stichelte sie: „Bye girl, niemand wird dich vermissen“. Weiterhin bezeichnet sie Thomalla als „gemeine Kuh“ und verwies darauf, in früheren Beziehungen Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein.
Wäre Shelby Lynn ein Mann, würde er vermutlich nun wegen Hass und Hetze im Internet ge#MeToot werden.
Journalisten feiern sich selbst
Übrigens: Das Rechercheteam „Rammstein“ des NDR und der Süddeutschen Zeitung ist vom „medium magazin“ zum Team des Jahres gewählt worden. Rechtsanwalt für Presserecht Carsten Brennecke kommentiert:
Immer wieder toll, wenn Journalisten sich selbst feiern und mit Preisen „auszeichnen“. (…)
Kaum ein anderes Rechercheteam ist in diesem Jahr so oft wegen grob rechtswidriger Berichterstattung durch Gerichte in die Schranken verwiesen worden wie das hier ausgezeichnete Team. So siegte zum Beispiel Till Lindemann vor dem LG Hamburg gegen SZ und Tagesschau, weil diese aus Erinnerungslücken vermeintlicher Zeuginnen einen haltlosen und rechtswidrigen Vergewaltigungsverdacht konstruiert hatten.
Wenn das nach dem Selbstverständnis des deutschen Journalismus herausragender und auszeichnungswürdiger #Journalismus ist, dann ist der deutsche Journalismus Intensivpatient.“
Die Folgen für unsere Gesellschaft sind gewaltig
Zwar können Medien, Stiftungen oder einzelne Diffamierer von dieser modernen Lynchjustiz profitieren, wie wir gezeigt haben. Die Folgen für die Gesellschaft sind jedoch verheerend und nachhaltig. Dies zeigt das politische Monatsmagazin „Cicero“ auf, das sich dabei zwar zuerst mit dem Fall Gil Ofarim als Aufhänger beschäftigt (da ging es um erfundene Antisemitismusvorwürfe), aber dann auch auf Fälle mit Vergewaltigungsvorwürfen eingeht:
Die Folgen unterdessen sind gewaltig: nicht nur für jene wie Herrn W. [Anm.: aus dem Fall Ofarim], die sich im Zentrum des Skandals befinden. Oder Till Lindemann von Rammstein. Oder Luke Mockridge infolge von Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn, erhoben von seiner Ex-Freundin. Sondern für uns alle.
Denn diese Gesellschaft hat sich unter anderem durch das Aufkommen der sozialen Medien gewandelt; teilweise weg von einer aufgeklärten Reflexions- hin zu einer unreflektierten Inquisitionsgesellschaft, die nicht mehr zu unterscheiden vermag – oder nicht mehr unterscheiden möchte – zwischen Vorwürfen, die gegen eine Person erhoben werden, und der Frage, was wirklich dran ist an selbigen. Und selbst der Unterschied zwischen strafrechtlicher Relevanz und vermeintlich moralischen Vergehen wird dabei einfach verwischt. Ob Till Lindemann Sex mit Groupies hatte, ist aber eine andere Frage als: Hat Lindemann Sex mit Groupies gegen deren Willen gehabt?
(…) Teile der Presse und viele Nutzer in den sozialen Medien scheinen wahnsinnig geworden zu sein, da sie sich immer wieder einer wie auch immer gearteten Empörungsmaschinerie anschließen, deren Empörung sich hintenraus zwar nicht immer, aber doch immer öfter als mindestens fragwürdig bis gänzlich unangemessen offenbart. Die Krux obendrein: Folgen für jene, die andere zu Unrecht demontiert haben, sind äußerst selten.
Die Comedian Hazel Brugger zum Beispiel war eine der Rädelsführerinnen gegen Luke Mockridge, als dessen Ex-Freundin ihm vorgeworfen hatte, sexuell übergriffig geworden zu sein. Sie und ihr Ehemann Thomas Spitzer trugen für ihren Kreuzzug gegen Mockridge sogar eigens dafür entworfene T-Shirts beim Comedy-Preis im Jahr 2021.
Später stellte sich heraus: Die Vorwürfe waren erfunden. Und während Mockridge zeitweise in der Psychiatrie behandelt werden musste, reden sich Brugger und Spitzer heute raus. Und während Mockridge immer noch zu Knabbern hat an den Vorgängen von damals, moderierte Brugger vergangenen Samstag die Außenwette bei „Wetten, dass …?“. Einschaltquote: 12 Millionen. Es ist nur ein Beispiel, aber ein vielsagendes.
Wir erinnern uns. Welchen Spruch trug Hazel Brugger auf der Rückseite ihres T-Shirts als der deutsche Comedy-Preis 2021 zur Kampagne gegen Mockridge instrumentalisiert wurde?
„Künstler ohne Rückgrat sind Künstler ohne Geschmack.“
Dem können wir voll und ganz zustimmen.
Bildquelle: AdobeStock_579384007
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„Sondern für uns alle.“
Das ist das, was ich schon ewig versuche klar zu machen. Wir sind alle betroffen. Viel zu viele denken sich, „naja, ich bin ja kein Kachelmann, oder Luke“. Diese Gleichgültigkeit, die ich bei solchen Themen antreffe ist einfach nur noch beschämend. Dabei ist doch klar, dass es _jeden_ treffen kann. Doch, wir sind auch Kachelmann. Es wird Zeit, dass wir uns alle solidarisieren und solche Methoden neutralisieren. Besonders Männer sollten mal aufstehen.
Früher hat man in der Schule gelernt, dass der Pranger ein Unding aus dem düsteren Mittelalter war und wir so etwas nicht mehr machen, wofür unser Rechtsstaat schon sorgt. Und was ist metoo denn jetzt?