Die Leid__linie – ein Beitrag zur Beschneidung von Jungen
12Am 12.12.2012 hat sich der Deutsche Bundestag für die Legalisierung von Körperverletzung an Jungen durch Beschneidung entschieden. Nur ein Jahr später wurde jegliche Form der Körperverletzung an Mädchen durch Beschneidung gesetzlich und strafbewehrt verboten. Dieser Maximalsexismus ist ein Paradebeispiel für den enormen Gender Empathy Gap von Politik, Medien und Gesellschaft. In Gleichstellungsberichten wird er regelmäßig verschwiegen. Siehe hierzu unseren Beitrag „Bundestag, männliche Beschneidung und viele offene Fragen“
Aus diesem Anlass heute ein Gastbeitrag von Steffen Siemon über Beschneidung aufgrund von Phimose. Vielen Dank für den Beitrag.
Die Leid__linie
von Steffen Siemon
Wenn Sie heute einen Facharzttermin brauchen – Augenarzt, Orthopäde, Psychotherapeut – und echte Beschwerden haben, dürfen Sie sich auf Wartezeiten von mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr einstellen. Normal.
Ganz anders, wenn Sie ein fünfjähriger Junge sind – mit einer Vorhaut, die sich noch nicht ganz zurückziehen lässt.
Dann reißen sich Praxen und Kliniken förmlich um Sie: Termine? Übermorgen. Beschwerden? Nicht nötig.
Eltern handeln dabei nicht leichtfertig, sondern aus Sorge. Sie wollen nur das Beste für ihr Kind – und bekommen je nach Wohnort völlig unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage. Dabei ist die aktuelle Leitlinie s2k „Phimose und Paraphimose bei Kindern und Jugendlichen“ [1] eindeutig: Bei einer beschwerdefreien Vorhautverengung ohne Entzündungen, Schmerzen oder Probleme beim Wasserlassen ist keine Behandlung notwendig. Punkt.
Entweder Sie haben Glück – und man kennt die natürliche Vorhautentwicklung.
Oder Sie haben Pech – und geraten an jemanden, der das nicht tut.
Leider passiert Letzteres immer noch zu oft.
Dann hören Eltern Sätze wie: „Mit fünf muss die Vorhaut ganz zurückgehen.“
Oder: „Spätestens zum Schuleintritt.“ Andere sagen: „Sie haben Zeit bis zur Pubertät.“ Das Ergebnis ? Ein Nährboden für Überbehandlungen.
Anstatt zurückzugehen, also die Operationszahlen in Deutschland, steigen diese – entgegen den Empfehlungen der Leitlinien, entgegen dem, was medizinisch notwendig wäre.
Und wenn die besorgte Mama erst einmal „am Haken“ ist, beginnt ein sprachlich geschicktes Spiel: „Wir wollen nur sicherheitshalber mal draufschauen“, heißt es.
Aus einem harmlosen Befund wird rasch eine Behandlungsnotwendigkeit. Oje.
Und aus dem „wir schauen nur mal“ wird mit erstaunlicher Leichtigkeit eine Operation. Das machen wir ständig. Nur ein kleiner ambulanter Routineeingriff. Dabei wird nur ein kleines Stück entfernt – halb so wild, sagt man ihnen.
Optisch stimmt das sogar. Der kleine Mann sieht hinterher aus wie vorher – denkt sich Mama. Was tatsächlich entfernt wurde, bleibt ihr verborgen. Denn Mama kennt die Penis-Anatomie eben nicht so gut wie die Spezialisten.
Und der Bub ? Der wird sich später nicht erinnern. Nicht beschweren.
Schon gar nicht den Bewertungsdurchschnitt der Klinik mit bösen Kommentaren versauen. Er wird nie wissen, was ihm genommen wurde.
Eine Leitlinie sollte unabhängig von der Region gekannt und geachtet werden, zum Wohle unserer Kinder und zum Schutz vor unnötigen Eingriffen.
Quellen
Leitlinie s2k „Phimose und Paraphimose bei Kindern und Jugendlichen“https://register.awmf.org/assets/guidelines/006-052l_S2k_Phimose-Paraphimose-Kinder-Jugendliche_2025-02-verlaengert.pdf
Quelle Beitragsbild: AdobeStock_1007764504
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