Bundestag, männliche Beschneidung und viele offene Fragen

von Dr. Bruno Köhler

Am 12.12.2012 hat der Bundestag einen Gesetzentwurf zur Beschneidung von Jungen verabschiedet.

Alles begann mit einem Urteil des Landgerichtes Köln vom 7. Mai 2012, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen für strafbar erklärte. Im Eilverfahren wurde daraufhin, insbesondere auf Druck jüdischer Funktionäre, vom Bundestag ein Gesetz durchgepeitscht, das die Grundrechte von Jungen in Deutschland wesentlich einschränkt.

Am Ende stand nach einer sehr kurzen Zeit von kaum mehr als einem halben Jahr ein Gesetzentwurf.

Demnach darf Jungen und männlichen Babys zukünftig, unabhängig ob religiös oder nicht religiös motiviert, selbst von medizinischen Laien, ohne medizinische Notwendigkeit, ohne zwingende Schmerzfreiheit, völlig legal ein gesundes Organ irreversibel entfernt werden.

Die Abstimmung ergab

Der jeweils zu 100% fehlende Abgeordnetenanteil ergibt sich durch zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht anwesende Parlamentarier. Ungültige Stimmen gab es keine.

Insgesamt haben 70 Prozent der Abgeordneten für das Gesetz gestimmt.

Das Gesetz trat mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 28.12.2012 in Kraft.

Zum ersten Mal seit Ende der Naziterrorherrschaft wurde in Deutschland damit ein Gesetz erlassen, das Körperverletzung an einer bestimmten Gruppe von Menschen – hier Jungen und männliche Babys – ohne medizinische Notwendigkeit ausdrücklich erlaubt.

Bundestagsabgeordnete sind nach den Spielregeln unserer Demokratie in ihren Entscheidungen frei. Wir kritisieren jedoch, dass sich die überwiegende Mehrheit der Parlamentarier bei dieser schwerwiegenden Entscheidung, die die Grundrechte von Jungen wesentlich einschränkt, überhastet positioniert hat, ohne sich mit der Materie ausreichend zu beschäftigen. Stattdessen war die „politische Diskussion“ eine reine Werbeveranstaltung für eine Entscheidung, die längst gefallen war.

Dieses Gesetz zeigt eindeutig, dass Jungen immer noch mehr Gewalt und Schmerz zugemutet wird als Mädchen. Das Gerede von angeblich „neuen Wegen“, die die politisch Verantwortlichen den Jungs bereiten wollen, hat sich als substanzlos entpuppt.

Der wesentliche Affront ist jedoch, dass Jungen mit diesem Beschneidungsgesetz die Grundrechte aus Artikel 2 und Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) faktisch aberkannt werden.

Artikel 2 des GG garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Einen (der Bevölkerung suggerierten) Interessenskonflikt zwischen dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit hat es in Wirklichkeit nie gegeben und gibt es nicht. Nach Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 dürfen die bürgerlichen Rechte – und damit eben auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit – durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Das Grundgesetz gibt also eine klare Priorität vor.

Die WHO teilt die Mädchenbeschneidungen je nach ihrem Schweregrad in verschiedene Kategorien ein. Und zumindest der geringste Schweregrad der Beschneidung von Mädchen ist – entgegen falschen Behauptungen einiger Parlamentarier – vergleichbar mit der Beschneidung bei Jungen. Trotzdem bleibt bei Mädchen auch die geringste Form der Beschneidung verboten. Damit werden Jungen durch diese Legalisierung von Beschneidung entgegen Artikel 3 des Grundgesetzes diskriminiert.

Der Bundestag hat zudem den gesundheitlichen Risiken einer Beschneidung zu wenig Gewicht beigemessen.

Jeder operative Eingriff birgt Komplikationsrisiken. Die politisch Verantwortlichen haben sich entschieden, obwohl keine ausreichenden Statistiken zur Komplikationsrate bei der Beschneidung von Jungen vorliegen. Diese hätten erst erstellt werden müssen und das hätte das Gesetzgebungsverfahren verzögert.

Wir haben 24 Politikern der CDU/CSU, der SPD, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen sachliche Fragen zur Legalisierung der Beschneidung von Jungen und männlichen Babys gestellt. Die Originalanfrage ist im Anhang 1 aufgeführt. Die Linke wurde nicht angeschrieben, weil deren Politiker sich mehrheitlich gegen die Legalisierung der Beschneidung von Jungen und männlichen Babys ausgesprochen haben. Von diesen 24 Abgeordneten haben lediglich 4 geantwortet, also gerade einmal jeder sechste. Bei diesen 24 angeschriebenen Abgeordneten waren 4 Spitzenpolitiker, die Bundesjugendministerin Kristina Schröder, der Vorsitzende der SPD Sigmar Gabriel, der Bundesaußenminister und bis 2011 Bundesvorsitzende der FDP Guido Westerwelle und der erste Parlamentarische Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck war der einzige der genannten Spitzenpolitiker, der nicht geantwortet hat. Guido Westerwelle verwies lediglich auf die Erfordernis, religiöses Brauchtum beizubehalten. Jugendministerin Kristina Schröder ließ eine Antwort zukommen. Sie betonte, dass es ihr ein besonderes Anliegen sei, dass Mädchen nicht beschnitten werden. In der ganzen 64-zeiligen Antwort wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht ein einziges Mal genannt. Sigmar Gabriel ließ ebenfalls antworten. Die Originalantworten sind in Anhang 2 aufgeführt. Alle, die antworteten, haben der Religion Vorrang vor dem Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeräumt. Auffällig ist, dass nicht einer der Politiker konkrete Angaben über die Komplikationsrate bei männlicher Beschneidung machen konnte. Niemand konnte uns konkrete Zahlen nennen, noch nicht einmal die oberste für Jungen zuständige Ministerin, die Bundesjugendministerin Frau Kristina Schröder.

Auch das Bundesjustizministerium hat uns diesbezüglich keine Antwort zukommen lassen, als wir im Rahmen unserer Stellungnahme zum Gesetzentwurf die Frage aufwarfen, wie die operative Entfernung eines gesunden Organs – also ohne medizinische Indikation – kindeswohldienlich sein soll, da jeder operative Eingriff – selbst wenn er nach den anerkannten Regeln der Medizin durchgeführt wird – die Gefahr von Komplikationen beinhaltet.

Hier nunmehr einige Zahlen aus englischsprachigen Ländern. Nach Forschungsdaten aus Israel und den USA liegt die Komplikationsrate der männlichen Beschneidung bei Babys bei bis zu 2% [1], bei Jungen und männlichen Jugendlichen bei bis zu 10% [2, 3]. Über 100 Jungen sterben jährlich in den Vereinigten Staaten in Folge einer Beschneidung, meist durch Infektion oder Blutverlust [4].

Bei erwachsenen Männern, die in der Jugend beschnitten wurden, wird fast fünfmal häufiger erektile Dysfunktion diagnostiziert als bei unbeschnittenen Männern [5, 6]. Beschnittene Männer und Jungen sind um 60% starker von Alexithymie betroffen, der sogenannten „Gefühlsblindheit“, der Schwierigkeit oder auch Unfähigkeit von Personen, ihre Gefühle hinreichend wahrnehmen und beschreiben zu können [5].

Diese Komplikationsraten hätten auch die Bundestagsabgeordneten bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen müssen. Wenn sie die Fakten nicht kannten, dann haben sie abgestimmt, ohne sich ausreichend zu informieren. Dies halten wir für ebenso verantwortungslos wie eine Legalisierung der Beschneidung von Neugeborenen und Kleinkindern in voller Kenntnis und Akzeptanz der „Risiken und Nebenwirkungen“.

Geschickt wurde außerdem frühzeitig die Antisemitismuskarte gespielt, um Beschneidungskritiker zu diskreditieren und aus der Debatte auszugrenzen. Judentum wäre in Deutschland ohne Beschneidung nicht möglich, so suggerierten die Befürworter der Beschneidung.

Fakt ist jedoch, dass es sowohl im Judentum als auch im Islam männliche Angehörige dieser Religionsgemeinschaften gibt, die nicht beschnitten und trotzdem vollwertige Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft sind.

Selbst in Israel gibt es jüdische Gruppen, die ihre Religion ohne die tatsächliche Entfernung der Vorhaut praktizieren, wie z.B. die Gruppen «Kahal», «Ben Schalem» oder «Brit bli Mila». Ein Gespräch mit Vertretern dieser Gruppen, um sich über die Vereinbarkeit dieser Religionsgemeinschaften und Nichtbeschneidung zu informieren, hat u. W. nie stattgefunden.

Ein noch kurz vor der Endabstimmung von einigen Abgeordneten eingebrachter alternativer Gesetzesvorschlag, der Beschneidung von Jungen erst ab einem religionsmündigen Alter von Jungen erlaubt hätte, wurde gar nicht mehr ernsthaft diskutiert, was nochmals bestätigt, dass die Entscheidung schon lange gefallen war. Der Bundestag hat also keinen Versuch unternommen, zu einer anderen Lösung zu gelangen als der Aberkennung der Grundrechte von Jungen.

Das von der Bundesregierung finanzierte „Bundesforum Männer“, das von sich behauptet, „die Interessenvertretung für Jungen und Männer“ zu sein, hat eindeutig zu wenig getan, um die Grundrechte von Jungen zu verteidigen. Außer zwei Pressemeldungen, wovon die erste sehr unbestimmt war und die zweite erst herausgegeben wurde, als die Diskussion schon nahezu vorüber war, kam nichts. Dem Bündnis gegen Beschneidung von Jungen hatte sich das „Bundesforum Männer“ nicht angeschlossen. Eine Interessenvertretung für Mädchen und Frauen hätte sich niemals so zurückhaltend gezeigt, wenn es um den Grundrechteentzug von Mädchen gegangen wäre. Im Gegenteil: Selbst die Organisation „Terre des Femmes“ hat sich konsequent und lautstark auf die Seite der Beschneidungsgegner gestellt.

Zurück bleibt ein vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenes Gesetz zur Beschneidung von Jungen, das von sage und schreibe 70 Prozent der Deutschen abgelehnt wird.

Das ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts Infratest dimap im Auftrag des “Facharbeitskreises Beschneidungsbetroffener im Verein MOGiS e.V. – Eine Stimme für Betroffene”, die der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” vorliegt. Nur 24 Prozent der Befragten hielten das Gesetz demnach für richtig. Nochmals zur Erinnerung: 70 Prozent der Bundestagsabgeordneten stimmten für das Gesetz. Deutlicher kann die Diskrepanz zwischen dem Souverän, nämlich dem Volk, und seinen parlamentarischen „Vertretern“ kaum mehr ausfallen.

Christian Bahls, 1. Vorsitzender des Vereins “MOGiS e.V. – eine Stimme für Betroffene”, erklärt dazu: “Es zeigt sich, dass die Bevölkerung nicht hinter dem Beschluss der Regierung und des Bundestages steht, Beschneidungen von Jungen aus jedem Grund und ohne deren Zustimmung zu legalisieren.“ Und weiter ergänzt Bahls: „Die hohe Ablehnung in allen Bevölkerungsschichten und politischen Lagern zeigt auch, dass sich die Kritik am Gesetzentwurf eben nicht aus einem antireligiösen oder gar antisemitischen Reflex speist, sondern dass vielen Menschen die körperliche Unversehrtheit und das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung am Herzen liegen.”

Die Diskussion um das Grundrecht der Jungen auf körperliche Unversehrtheit muss weitergehen.

Quellen zur Komplikationsraten bei männlichen Beschneidungen

[1] Alanis MC, Lucidi RS. (Abstract only) Neonatal circumcision: a review of the world’s oldest and most controversial operation. Obstet Gynecol Surv 2004;59(5): 379-95.

[2] Weiss HA, Halperin D, Bailey RC, et al. Male circumcision for HIV prevention: from evidence to action? AIDS 2008;22(5):567-74.

[3] Ben-Chaim J, Livne PM, Binyamini J, et al. Complications of circumcision in Israel: a one year multicenter survey. Isr Med Assoc J 2005;7(6);368-70.

[4] Bollinger, D. Lost Boys: An Estimate of U.S. Circumcision-Related Infant Deaths. Thymos: J Boyhood Studies, 2010;4(1), 78-90

[5] Bollinger, D., Van Howe, R. S. (2010). Alexithymia and Circumcision Trauma: A Preliminary Investigation.

[6] Tang WS, Khoo EM. Prevalence and correlates of premature ejaculation in a primary care setting: A preliminary cross-sectional study. J Sex Med, 14 Apr 2011

 

Anlage 1

Unsere Anfrage vom 21.11.2012

„Sehr geehrte…/sehr geehrter…

Sie befürworten die Legalisierung der Beschneidung an Jungen. Dies ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung, da mit einem solchen Gesetz Körperverletzung ohne medizinische Indikation legalisiert und damit ein wichtiges Grundrecht für Jungen eingeschränkt wird. Da wir Ihre Meinung nicht nachvollziehen können, haben wir mit diesem Brief einige grundlegende Fragen an Sie.

1. Es gibt sowohl im Judentum als auch im Islam männliche Angehörige dieser Religionsgemeinschaften, die nicht beschnitten sind und trotzdem vollwertige Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft sind. Selbst in Israel gibt es jüdische Gruppen, die gegen Beschneidung sind z.B. die Gruppen «Kahal», «Ben Schalem» oder «Brit bli Mila». Haben Sie auch mit diesen Leuten geredet, um Lösungsansätze ohne Beschneidung zu finden, und wenn ja, was haben diese für Vorschläge vorgebracht?

2. Nach Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 dürfen die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Durch die Beschneidung wird das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 des Grundgesetzes zumindest bei nicht einwilligungsfähigen Kindern beschränkt. Aus welchem Grunde sehen Sie trotzdem die Beschneidung bei Jungen als grundgesetzkonform an?

3. Nach Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 4 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Durch die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder wird gegen dieses Grundrecht verstoßen. Aus welchem Grunde sehen Sie trotzdem die Beschneidung bei Jungen als grundgesetzkonform an?

4. Jeder operative Eingriff birgt Komplikationsrisiken. Von welchem konkreten Komplikationsrisiko gehen Sie bei der Beschneidung von Jungen aus und woher stammt die Quelle der von Ihnen zugrunde gelegten Komplikationsrisiken?

5. Die WHO teilt die Beschneidungsformen bei Mädchen je nach Schweregrad in verschiedene Kategorien ein. Jungenbeschneidung, wie sie in Deutschland durchgeführt wird, ist verglichen mit der geringsten Kategorie der Mädchenbeschneidung schwerwiegender oder zumindest nicht weniger schwerwiegend. Trotzdem ist selbst die rein rituelle Beschneidungsform ohne wirklichen Eingriff bzw. Schnitt bei Mädchen auch aus religiösen Gründen verboten, während bei Jungen ein irreversibler Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch Beschneidung laut Entwurf pauschal, also auch ohne religiösen Hintergrund legalisiert werden soll. Wie sehen sie dieses vereinbar mit dem Grundrecht auf Gleichberechtigung nach Artikel 3 des GG?

6. Mit Drucksache des Bundestages 17/11430 vom 8.11.2012 haben einige Politiker vorgeschlagen, eine Beschneidung von Jungen erst mit 14 Jahren, also wenn diese entscheidungsfähig sind, durchführen zu lassen, soweit diese zustimmen und das Kindeswohl nicht gefährdet wird. Damit wird den grundgesetzlichen Vorgaben Rechnung getragen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

Für eine kurze Rückantwort auf unsere Anfrage wären wir dankbar.“

Anlage 2

Die Antworten der Spitzenpolitiker

Guido Westerwelle (FDP) – 23.11.2012

„haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht vom 21. November 2012 und für Ihre offenen Worte.

Das Kölner Urteil hat international Irritationen ausgelöst. Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt sind.

Nochmals vielen Dank für Ihre Zuschrift und für Ihre Meinung. Ihnen persönlich alles Gute.“

Antwort im Auftrag von Kristina Schröder (CDU) – 27.12.2012

„Frau Bundesministerin Dr. Schröder dankt Ihnen für Ihre E-Mail vom 21.11.2012. Aufgrund der Vielzahl der täglich eingehenden Schreiben ist es Frau Ministerin Schröder leider nicht möglich jedes Schreiben persönlich zu beantworten. Ich wurde deshalb gebeten, Ihnen zu antworten.

Kritik sowie Anregungen der Bürgerinnen und Bürger sind für die politische Arbeit wichtig und hilfreich und können dazu beitragen, zukünftige Überlegungen und anstehende politische Veränderungen immer wieder mit zu beeinflussen. So wurden auch Ihre Bedenken und Anmerkungen im Ministerbüro mit Interesse zur Kenntnis genommen.

Aufgrund der Vielzahl der Eingänge können wir nicht jedes einzelne Schreiben so ausführlich und individuell beantworten, wie es der Beitrag eigentlich verdient hätte. Bitte haben Sie hierfür Verständnis.

Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen Thematik „Beschneidung minderjähriger Jungen“ möchte ich Ihnen folgendes mitteilen.

Die Religionsfreiheit und die religiöse Toleranz sind tragende Pfeiler unserer gemeinsamen demokratischen Gesellschaft und werden durch das Grundgesetz garantiert. Jüdisches und muslimisches Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Gefordert ist insofern eine sorgfältige Abwägung zwischen verschiedenen grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern und den Werten, die sie tragen. Das Wohl der Kinder liegt hierbei Frau Bundesministerin Dr. Kristina Schröder ganz besonders am Herzen.

Die Beschneidung von Jungen ist von der weiblichen Genitalverstümmelung abzugrenzen. Letztere unterscheidet sich grundsätzlich in den körperlichen und psychischen Folgen des Eingriffs von der Zirkumzision. Das Ritual der Genitalverstümmelung birgt ausgesprochen schwerwiegende Risiken und auch die Gefahr gravierender Schäden und Spätfolgen für die psychische sowie physische Gesundheit der Frauen; es ist Ausdruck einer Tradition der (sexuellen) Unterdrückung von Mädchen und Frauen und wird daher seit vielen Jahren durch die Vereinten Nationen als schädliche traditionelle Praxis und als Menschenrechtsverletzung geächtet und bekämpft. Frau Ministerin ist es ein besonderes Anliegen, dass bei der Debatte um die Zirkumzision von Jungen nicht der geringste Zweifel an der Ächtung der Genitalverstümmelung von Mädchen entsteht.

Am 19. Juli 2012 hat der Deutsche Bundestag mit fraktionsübergreifender Mehrheit beschlossen, dass die rechtliche Einordnung der Beschneidung so schnell und so gründlich wie möglich geklärt werden und in eine gesetzliche Regelung einmünden muss.

Die Bundesregierung hat im Zuge des Regelungsauftrages des Bundestages einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Rechtssicherheit für Kinder, Eltern und Ärzten schafft. Nach Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat sowie der Verkündung im Bundesgesetzblatt wird das Gesetz am 28. Dezember 2012 in Kraft treten. Es sieht vor, dass die Personensorge von Eltern grundsätzlich auch die Einwilligung in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen Jungen umfasst. Voraussetzung dafür ist, dass die Beschneidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Eine Einwilligung ist jedoch nicht möglich, wenn durch die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet wird.

Die gesetzlichen Regelungen tragen der Sensibilität der Thematik und auch den betroffenen Grundrechten des Kindes und der Eltern besonders Rechnung. Das Kindeswohl als zentraler Maßstab für die Zulässigkeit einer Beschneidung wird durch das Gesetz untermauert. Es bestimmt, dass bei der Beschneidung eine angemessene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung erfolgen muss. Darauf hat Frau Ministerin bei der Erarbeitung des Gesetzes besonderen Wert gelegt. Zudem ist der Wille des Kindes entsprechend der Entwicklung des Kindes zu berücksichtigen.

Im Übrigen lässt das Gesetz keinen Zweifel aufkommen, dass es in Bezug auf die weibliche Genitalverstümmelung bei der bisherigen Rechtslage bleibt, wonach die Genitalverstümmelung als gefährliche oder sogar schwere Körperverletzung strafbar ist. Eine Einwilligung von Sorgeberechtigten in die weibliche Genitalverstümmelung führt auch weiterhin nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung.

Die öffentliche Diskussion wird und sollte mit einer gesetzlichen Regelung nicht enden. Das Urteil des Landgerichts Köln vom 07. Mai 2012 hat eine wichtige Debatte ausgelöst. Religiöse Traditionen und Bräuche entwickeln sich weiter, durch Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften, aber auch in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Voraussetzung dafür ist, dass die Auseinandersetzung sachlich bleibt und von grundsätzlichem Respekt gegenüber gläubigen Menschen, welcher Religion auch immer, geprägt ist. Die gesetzliche Regelung, welche die Bundesregierung initiiert hat, wird nicht zuletzt ein Fundament für einen solchen fortgesetzten Dialog bilden.

Die Bundesfamilienministerin wird sich auch künftig für die Belange der Familien in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen nachdrücklich einsetzen. Wir hoffen, Sie werden die politische Entwicklung weiterhin aufmerksam und kritisch verfolgen und möchten Ihnen für Ihren Beitrag nochmals danken.“

Antwort im Auftrag von Sigmar Gabriel (SPD) – 14.1.2013

„vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 27.11.2012 erreicht hat.

Sicherlich haben Sie Verständnis dafür, dass der SPD-Parteivorsitzende, Herr Sigmar Gabriel, nicht alle an ihn gerichteten Zuschriften persönlich beantworten kann. Er hat mich gebeten, auf Ihre Nachricht zu antworten.

Ich kann Ihre Haltung gut nachvollziehen, sehe aber auch, dass es sehr schwierig ist, hier eine gerechte Lösung zu finden.

Das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 zur Frage von ritueller Beschneidung von minderjährigen Jungen hat eine heftige Debatte ausgelöst. Die Frage, ob Beschneidung von minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen in Deutschland weiterhin legal möglich sein soll, wird in der Bevölkerung kontrovers diskutiert. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu eine kontroverse Debatte geführt.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar, dass jüdisches und muslimisches Leben und sowie jüdische und muslimische Kultur feste Bestandteile der Gesellschaft in Deutschland sind. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung und macht keinen Unterschied zwischen den Glaubensgemeinschaften. In ihrem ersten Punkt nennen Sie andere religiöse Gruppierungen, die auf eine Beschneidung verzichten. Entscheidend ist, ob es jüdische und islamische Gemeinden gibt, die die Beschneidung als verbindlich betrachten. Das Grundgesetz stellt dabei fest, dass die Religionsfreiheit ein individuelles Grundrecht ist. Das heißt, dass Glaubensbestandteile nicht abgesprochen werden können auf Grund von Praktiken anderer Religionsgemeinschaften. Daher spielen die Praktiken, der von ihnen genannten Gruppierungen, für die Entscheidung die Beschneidung an Jungen verbindlich als legal zu definieren keine Rolle. Somit wurden diese Gruppierungen auch nicht gefragt.

Zu den Punkten 2 und 3: Sie vergessen, dass das elterliche Erziehungsrecht ebenfalls ein wichtiger Bestandteil dieser Diskussion ist. Eltern bestimmen für ihre Kinder. Die Grenze ist allerdings das Wohl der Kinder. Da beispielsweise die Beschneidung von Jungen im Judentum essenziel für die Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft ist, ist hier eine Abwägung vorzunehmen. Das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und das Erziehungsrecht der Eltern mit dem Ziel ihre Kinder zu vollwertigen Bestandteilen der entsprechenden Religionsgemeinschaft zu machen. Diese Abwägung ist juristisch gesehen der wichtigere Faktor. In Anbetracht der Tatsache, dass die Funktionsfähigkeit eines beschnittenen männlichen Glieds erhalten bleibt, sehen wir die Abwägung zu Gunsten des elterlichen Erziehungsrechts. Zudem können Beschneidungen, die an Jungen vorgenommen werden, nicht mit Mädchenbeschneidungen verglichen werden. Schließlich führt jegliche Beschneidung, die an Mädchen vorgenommen werden, zur Beschränkung der Funktionsfähigkeit des weiblichen Geschlechtsorgans. Daher führt auch eine Abwägung zu Gunsten der körperlichen Unversehrtheit.
Zu ihrem letzten Punkt kann ich nur sagen, dass auch eine Regelung, die vorher vorgenommene Beschneidung erlaubt, ebenfalls verfassungskonform sein kann (siehe oben „Abwägung“). Allerdings wird momentan noch von den Abgeordneten eine Regelung ausgearbeitet. Daher ist es ratsam den Prozess abzuwarten und sich dann eventuell zu äußern.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Willy-Brandt-Haus.“

 Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen)

Keine Antwort. Er redet von Menschenrechten und stimmt für die Legalisierung von Körperverletzung an Jungen durch Beschneidung. Antworten auf sachliche Anfragen von Bürgern dazu gibt er nicht.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte beachten Sie, dass Kommentare mindestens 5 und höchstens 1500 Zeichen haben dürfen.

Zitate können mit <blockquote> ... </blockquote> gekennzeichnet werden.

Achtung: Wenn Sie einen Kommentar von einem Smartphone verschicken, wird der Text manchmal von der Autofill-Funktion des Smartphones durch die Adresse ersetzt. Wenn Sie den Kommentar absenden, können wir den originalen Text nicht wiederherstellen.

Niemand mag Pop-ups!

Aber immerhin stehe ich nicht mitten auf der Seite. Wenn Sie sich für unseren Newsletter anmelden wollen, tragen Sie sich hier ein. Es lohnt sich!

Ihre Daten sind sicher! Die Email verwenden wir nur für den Newsletter. Sie können sich jederzeit abmelden.