Armut, Unterhalt und Alleinerziehende
Alleinerziehende gelten als besonders häufig von Armut betroffen, was oft auf widerrechtlich verweigerte Unterhaltszahlungen ihrer Ex-Partner zurückgeführt wird. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2009 nur 14,6 % der Gesamtbevölkerung, aber 40,1 % der Alleinerziehenden armutsgefährdet [1]. Über die Armutsgefährdung getrennt lebender Väter wird dagegen weder eine Statistik geführt, noch ist das Thema als solches im öffentlichen Diskurs präsent.
Die Armut Alleinerziehender wird stark überschätzt
Diese hohe Armutsgefährdungsquote Alleinerziehender ist völlig unplausibel. Denn selbst bei vollständigem Ausfall jeglicher Unterhaltsleistungen des ehemaligen Partners und des staatlichen Unterhaltsvorschusses sichert ihnen allein schon das sozialstaatliche Grundsicherungssystem ein Einkommensniveau oberhalb der Armutsgefährdung. Empfängern von Grundsicherungsleistungen (Hartz IV u.a.) sind nach Personenzahl und Alter des Haushalts gestaffelte monatliche Geldbeträge sowie die komplette Übernahme der Kosten der Unterkunft garantiert. Alleinerziehende werden überdies mit einem gesonderten Zuschlag bedacht. Vergleicht man das sich aus den verschiedenen Leistungen ergebende Gesamtvolumen mit den in der Sozialstatistik verwendeten Armutsgefährdungsgrenzen, so lassen sich nur wenige Konstellationen finden, bei denen das Sozialleistungsniveau die Armutsgefährdungsgrenzen unterschreitet.
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Alleinerziehende mit | Leistungen | Armutsgrenzen | ||||
Regelsatz Erwachsene | Regelsatz Kinder | Mehrbedarf Alleinerziehung | Durchschn. Kosten der Unterkunft |
Summe der Leistungen | ||
1 Kind unter 6 Jahre | 359 | 215 | 129 | 375 | 1.078 | 1.041 |
1 Kind ab 7 und unter 14 Jahre | 359 | 251 | 43 | 375 | 1.028 | 1.041 |
1 Kind ab 14 und unter 16 Jahre | 359 | 287 | 43 | 375 | 1.064 | 1.202 |
2 Kinder über 6 und unter 14 Jahre | 359 | 502 | 129 | 436 | 1.426 | 1.282 |
3 Kinder unter 6 Jahre | 359 | 645 | 129 | 494 | 1.627 | 1.522 |
3 Kinder über 6 und unter 14 Jahre | 359 | 753 | 129 | 494 | 1.735 | 1.522 |
3 Kinder ab 14 und unter 16 Jahre | 359 | 861 | 129 | 494 | 1.843 | 2.003 |
1 Kind unter 6 Jahre und 2 Kinder unter 14 Jahre | 359 | 717 | 129 | 494 | 1.699 | 1.522 |
Lediglich bei Haushalten Alleinerziehender mit einem Kind ab sieben Jahren, oder ein oder drei Kindern jeweils ab 14 und unter 16 Jahren liegt das Sozialleistungsniveau unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze. Diese beiden Konstellationen bringen aber wohl kaum entsprechend hohe Fallzahlen mit sich, als dass sie die ca. 40 % der in der Statistik als armutsgefährdet identifizierten Alleinerziehenden repräsentieren könnten.
Dies umso weniger, da Zusatzeinkommen aus Erwerbstätigkeit teilweise von der Anrechnung auf die Grundsicherungsleistungen befreit ist. Die ersten 100 Euro des Zusatzverdienstes bleiben vollständig anrechnungsfrei, weitere 700 Euro sind zu 20 % und nochmals weitere 700 Euro zu 10 % anrechnungsfrei. So ist das realisierbare Einkommen um bis zu 310 Euro steigerbar. Alleinerziehende mit Kindern über 14 Jahre werden bzw. nur einem Kind ab sieben Jahren dürften häufig Zuverdienste erzielen können. Dementsprechend fordern auch die Familien- und Sozialrechtsprechung in diesen Konstellationen zumindest eine Teilzeiterwerbstätigkeit.
Vom Zustandekommen der hohen Armutsgefährdungsquoten durch verdeckte Armut kann nicht ausgegangen werden. Wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung [2] aus dem Jahr 2007 nachweist, nehmen gerade Alleinerziehende überdurchschnittlich häufig die ihnen zustehenden Sozialleistungen in Anspruch.
Man kann nur mutmaßen, wie das Paradox hoher Armutsgefährdungsquoten Alleinerziehender bei gleichzeitig über den Armutsgefährdungsschwellen liegenden Grundsicherungsleistungen zustande kommt. Die systematische Untererfassung der Einkommen im Mikrozensus ist bekannt. Diese betrifft allerdings auch andere Bevölkerungsgruppen und Haushaltskonstellationen. So vergessen beispielsweise sozialversicherungspflichtig Beschäftigte häufig nicht stetige Einkommensarten wie das Weihnachtsgeld bei der Erfassung anzugeben. In der Folge ist die gesamte aus dem Mikrozensus geschätzte Einkommensverteilung und damit die aus ihr abgeleiteten Armutsgefährdungsquoten als verzerrt anzusehen.
Allerdings sei konzediert, dass die Hartz-IV-Quote Alleinerziehender deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommt in einer im Jahr 2008 veröffentlichten Studie [3] zu dem Ergebnis, 30 % der Alleinerziehenden leben überwiegend von Hartz IV, Sozialhilfe oder Pflegeleistungen. Fasst man also das Angewiesensein auf Grundsicherungsleistungen als Armutsindikator auf, erhält man selbst bei Mitzählung der Empfängerinnen von Pflegeleistungen eine um zehn Prozentpunkte unter der Armutsgefährdungsschwelle liegende Schätzung. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Armutsgefährdung Alleinerziehender überschätzt wird.
Die Armut Unterhaltspflichtiger wird stark unterschätzt
Anders als bei den Alleinerziehenden liegt für die Unterhaltspflichtigen keine Armutsgefährdungsquote aus der amtlichen Statistik vor. Dies liegt daran, dass die Systematik der Armutsstatistik entlang des Merkmals Haushaltsform konzipiert ist. Die Armutsgefährdungsgrenzwerte hängen von der Zahl und dem Alter der im Haushalt lebenden Personen ab. Unterhaltspflichtige aber finden sich über die verschiedenen Haushaltsformen verstreut. Sie können alleinstehend sein, oder in neu gebildeten Mehrpersonenhaushalten leben.
Behelfsweise lässt sich jedoch über andere Datenquellen eine Annäherung an die Thematik erzielen. So führt der Überschuldungsreport 2011 des Instituts für Finanzdienstleistungen e.V. aus, dass Unterhaltspflicht häufig in den wirtschaftlichen Ruin führt:
Besonders betroffen [Anm.: von Überschuldung] sind auch allein lebende Männer. Ihr Anteil bei den Überschuldeten liegt inzwischen bei 37 Prozent. Sie haben mit dem Zweieinhalbfachen eines Jahresnettoeinkommens relativ die höchsten Schulden zu bewältigen. Ursache dürften vor allem Unterhaltsleistungen sein.
Auch die Statistik zum Unterhaltsrückgriff bei vorangegangenen Unterhaltsvorschussleistungen trägt zur Erhellung des Sachverhaltes bei. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/7384 v. 19. Oktober 2011) auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervorgeht, konnte im Jahr 2010 nur in 20 % aller Fälle der aus Staatsmitteln vorgestreckte Kindesunterhalt bei den Unterhaltspflichtigen später wieder eingeholt werden. Die Rückholquote kann indes als Gradmesser der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unterhaltsschuldner, in aller Regel Trennungsväter, aufgefasst werden, will man nicht davon ausgehen, die Ämter vernachlässigten die Eintreibung von Forderungen. Sterbefälle und Fortzüge mit unbekanntem Aufenthaltsort, etwa ins Ausland, seien aufgrund der sicherlich geringen Häufigkeit vernachlässigt. Damit steht fest, dass im Jahr 2010 der ganz überwiegende Teil der säumigen Unterhaltsschuldner gar nicht leistungsfähig war, ihr Nettoeinkommen also nicht über dem Selbstbehalt in Höhe von 900 Euro bei Erwerbstätigen und 770 Euro bei Erwerbslosen lag.
Laut Zahlen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen u. Jugend [4] erhalten ca. 27,4 % der alleinerziehenden Mütter minderjähriger Kinder keinen Kindesunterhalt. Der Anteil nicht leistungsfähiger Trennungsväter muss demnach bei ca. 21,9 % [5] liegen. Da der Selbstbehalt von 900 bzw. 770 Euro und die Armutsgefährdungsschwelle eines Alleinstehenden in Höhe 801 Euro für das Jahr 2009 nicht allzu weit auseinander liegen, kann davon ausgegangen werden, dass grob ein Fünftel der unterhaltspflichtigen Trennungsväter armutsgefährdet ist.
Alle verfügbaren Informationen zum Thema Armut, Unterhalt und Alleinerziehung stehen damit im Gegensatz zur öffentlichen Darstellung dieses Themenkomplexes. Die Armutsgefährdung Alleinerziehender ist deutlich überzeichnet, gleichzeitig ist ein erheblicher Teil der Unterhaltspflichtigen armutsgefährdet, ohne dass dieser Sachverhalt in den amtlichen Statistiken sichtbar wird.
Es würde indes nichts zur Erhellung des Sachverhalts beitragen, wenn die Armutsgefährdungsquote Unterhaltspflichtiger auswiesen werden würde. Denn geleisteter Unterhalt ist groteskerweise als Eigenkonsum des Unterhaltsleistenden definiert [6]. Traue also keiner Statistik, der du nicht selbst auf den Zahn gefühlt hast.
Quellenangaben
[1] Amtliche Sozialberichterstattung des Statistischen Amtes des Bundes und der Länder
[2] Irene Becker, Verdeckte Armut in Deutschland, Ausmaß und Ursachen, Fachforum Analysen & Kommentare No. 2/2007, Friedrich Ebert Stiftung, Forum Berlin
[3] Alleinerziehende in Deutschland – Potenziale, Lebenssituationen und Unterstützungsbedarfe, BMFSFJ, 2008
[4] Wenn aus Liebe rote Zahlen werden, BMFSFJ, 2003
[5] 80 % von 27,4 %
[6] Siehe dazu: Rechenfehler in der OECD-Armutsstudie
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nach dem ich die Quelle [3] Alleinerziehende in Deutschland – Potenziale, Lebenssituationen und Unterstützungsbedarfe, BMFSFJ, 2008 angelesen habe, was unter „Alleinerziehenden“ verstanden wird, sehe ich diesen Artikel nicht mehr so positiv, da auf eine Quelle verwiesen wird, in welcher der Begriff „Alleinerziehend“ falsch definiert ist und damit eine ungerechtigkeit seitens BMFSFJ zimentiert wird.
„Alleinerziehend“ oder „alleine erziehend“ können nur Elternteile sein, wo sich der Ex-Partner völlig verweigert oder der Ex-Partner verstorben ist. In allen anderen Fällen kann nur die Rede von getrennt erziehenden sein! Dabei ist es unerheblich, ob der eine Elternteil 75% Betreuungszeit hat und der andere Elternteil 25% Betreuungszeit hat. Das Kind oder die Kinder werden ja automatisch von beiden Eternteiklen erzogen.
Daher können die Statistischen Zahlen nur falsch sein in diesem Bericht, da die tatsächlichen Zahlen nicht ermittelt wurden. Selbst eine sobenante „Alleinerziehende“ welche in einer neuen Partnerschaft ist, kann gar nicht „Alleinerziehend“ sein, da der neue Partner automatisch miterzieht.