Massaker von Srebrenica (4): Warum teilt die Weltgemeinschaft bis heute Menschenrechte?

von Manndat

Beim Massaker von Srebrenica ab dem 11. Juli 1995 wurden 8000 Jungen und Männer in einer UN-Schutzzone in unmittelbarer Nachbarschaft von UN-Blauhelmsoldaten ermordet. Die Frauen und Kinder wurden in Bussen evakuiert und gerettet. Die Männer wurden ihren Schlächtern übergeben. Ein gutes Vierteljahrhundert später wird in der sogenannten Istanbul-Konvention, in der Gewalt gegen Frauen, aber nicht Gewalt gegen Männer geächtet wird, das Menschenrechtsversagen der Weltgemeinschaft zum politischen Konzept. 27 Jahre nach Srebrenica hat die Weltgemeinschaft männlichen Opfern von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung keine andere Lösung zu bieten als Wegschauen. 2021 meint die Heinrich-Böll-Stiftung zu der Tatsache, dass die Weltgemeinschaft die Frauen in Srebrenica rettete, während sie 8.000 Männer und Jungen aus ihrer Schutzzone ihren Schlächtern überließ, dies sei „ein empirisch nicht nachgewiesener vermeintlicher Missstand zu Lasten von Jungen und Männern“.

Nicht zuletzt aufgrund solcher Versuche wie die der Heinrich-Böll-Stiftung, männliche Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu verharmlosen oder vielleicht gänzlich zu vertuschen, werden wir diese Menschenrechtsverbrechen und das Menschenrechtsversagen der Weltgemeinschaft in Erinnerung behalten.

In Teil 1 und 2 haben wir die Geschehnisse in Srebrenica 1993 und 1995 dargestellt. In Teil 3 haben wir angefangen, zu erörtern, weshalb die Weltgemeinschaft bis heute Menschenrechte teilt. Im 4. und letzten Teil unserer Srebrenica-Reihe zum Gender Empathy Gap Day 2022 wollen diese Erörterung abschließen.

Wesentliche Aspekte hat Charli Carpenter[1] in ihrer Arbeit „‚Women, Children and Other Vulnerable Groups‘: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue“ schon 2005 aufgeführt, die wir nachfolgend in einigen Punkten wiederholt aufgreifen, ergänzen diese Arbeit aber durch zusätzliche Punkte und neue Erkenntnisse.

Das internationale Frauennetzwerk

Um die Jahrtausendwende wurde das geschlechterpolitische Konzept des Gender Mainstreaming eingeführt. Was ursprünglich von den politisch Verantwortlichen als Geschlechterpolitik verkauft wurde, die sich den Anliegen beider Geschlechter annehme, hat sich als lineare Fortsetzung der reinen Frauenförderpolitik entpuppt. Auf nationaler Ebene ist z. B. in Deutschland Geschlechterpolitik bis heute ein männersteriler privilegierter Frauenclub geblieben. In Gleichstellungsgesetzen auf Bundes- und Länderebene wird Männern sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht für Gleichstellungsbeauftrage verweigert. Das männerpolitische Gleichstellungsdosier der Bundesregierung weist Männern im geschlechterpolitischen Prozess sogar ausdrücklich zu, „einfach mal die Klappe zu halten“.[2]

Schon während der Implementierung von Gender Mainstreaming wurde das Konzept von der Frauenlobby für sich allein okkupiert. Barbara Stiegler, Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung der Friedrich-Ebert-Stiftung, forderte in ihrer „Expertise zur Frauenforschung – Gender Mainstreaming“:

„Es erweist sich als wichtig, das Konzept aus der frauenpolitischen Perspektive zu definieren.“ (S.19) Und weiter: „Ohne Kontrolle von unten aus frauenpolitischer Perspektive, etwa durch Frauenbeauftragte als Vertreterinnen von Frauen, werden Gender Mainstreaming Prozesse versanden oder den Frauen schaden.“ (S.20) Weiterhin sah sie „Frauenpolitik/Geschlechterpolitik als Parteilichkeit, die die Interessen von Frauen und die von geschlechtsrollenkritischen Männern organisiert“ werden, als erforderlich. (S.20)

2010 benutzt Thomas Gesterkamp einen Begriff aus der Seuchenbekämpfung und Militärsprache in seiner Forderung, Männer mit ihren Anliegen mundtot zu machen, und zeigt, wie schnell sich die Ausgrenzung von Männern aus der demokratischen Teilhabe radikalisiert hat:

Auch in der Geschlechterpolitik brauchen wir einen „cordon sanitaire“, einen mentalen Sperrgürtel. Das, und nicht das, was die Männerrechtler verbreiten, verstehe ich unter zivilgesellschaftlichem Engagement. [3]

Eine Aufstellung der Zuwendungen des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) für das Jahr 2021 zeigt, dass für männerpolitische Anliegen kaum Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das Forum Soziale Inklusion, das sich auch für Väteranliegen einsetzt, ersucht regelmäßig seit Jahren im BMFSFJ / Abteilung Gleichstellung um Möglichkeiten der Bewilligung von finanzieller Förderung für den Verein. „Die wiederkehrende Antwort lautete, es herrsche das ‚Omnibusprinzip‘. Es könnten nur weitere Verbände aufgenommen werden, wenn ein Verband den Omnibus verließe… Und der Bus sei nun mal voll…“[4]

Wie auf nationaler Ebene wurde auch auf internationaler Ebene Gender Mainstreaming von der Frauenpolitik okkupiert.

Darüber hinaus sehen einige Frauenvertreterinnen die Gefahr, dass das Gender Mainstreaming in den Dienst von Männerfragen gestellt wird und Frauen ausgeschlossen werden, wenn der Diskurs in den Frauennetzwerken geschlechtsspezifischer wird (…) In diesem Sinne sprach sich ein Befragter aus beiden Netzwerken ausdrücklich gegen eine Fokussierung auf Männer als Opfer per se aus.
Die von den Frauenbeauftragten in den 1990er Jahren entwickelten Advocacy-Frames verwendeten aus sehr unterschiedlichen Gründen eine ähnliche Gender-Konstruktion wie die der Befürworterinnen des Zivilschutzes: Männer wurden als Akteure und nicht als Opfer von Gewalt im Allgemeinen und von geschlechtsspezifischer Gewalt im Besonderen dargestellt, während der zivile Status von Frauen, ihre friedensstiftende Rolle und ihre Anfälligkeit für geschlechtsspezifische Gewalt hervorgehoben wurden. [5]

Diese Tendenz hat auch den aufkommenden diplomatischen Diskurs bei den Vereinten Nationen über die Auswirkungen von Kriegen auf Frauen beeinflusst, wie aus dem Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat über Frauen, Frieden und Sicherheit aus dem Jahr 2002 hervorgeht (UNSG 2002). Der Bericht stellt einige geschlechtsspezifische Essentialismen in Frage, die in der humanitären Rhetorik häufig verwendet werden, und bekräftigt die Behauptung, dass „Frauen und Kinder in den bewaffneten Konflikten der Gegenwart unverhältnismäßig stark betroffen sind und die die Mehrheit aller Opfer darstellen“ (2002:1); und wenn im Bericht von männlicher Viktimisierung die Rede ist, dann meist im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf Frauen: „Frauen sind auch Opfer von Inhaftierung oder ‚Verschwindenlassen‘. Das „Verschwinden“ von männlichen Verwandten betrifft auch Frauen“ (UNSG 2002:2). [6]

Das internationale frauenpolitische Netzwerk misst Männerleben an ihrem Nutzwert für Frauen. Ein ermordeter Mann wird nicht als menschliches Gewaltopfer wahrgenommen, sondern als hätte man einer Frau den Geldbeutel entwendet und ihr damit Leid zugefügt. Damit transformiert die Frauenlobby gleichzeitig männliche Opfer von Gewalt in weibliche Opfer und erhöht somit die weibliche Opferzahl. Diese Empathielosigkeit gegenüber männlichen Gewaltopfern wird beispielsweise mit folgenden Zitaten deutlich:

  • Frauen werden oft gezwungen, die brutale Folterung oder Ermordung von Angehörigen mitzuerleben. Minka sah aus dem Gebüsch heraus zu, wie ihr Vater ermordet wurde. Sie töteten ihn und zerstückelten ihn dann mit einer Gartenaxt. Bunch und Reilly (1994:40)

  • Infolge des Völkermords verloren viele Frauen ihre männlichen Verwandten, auf die sie zuvor wirtschaftlich angewiesen waren, und sind nun mittellos. Human Rights Watch (1996:2)

  • Frauen waren schon immer die Hauptopfer von Kriegen. Frauen verlieren ihre Ehemänner, ihre Väter, ihre Söhne im Kampf. Hillary Clinton, 1998, zitiert in Jones (2000:91-92)

Diese Empathielosigkeit gegenüber männlichen Gewaltopfern hat sich bis heute gehalten und gilt in der sogenannten „feministischen Außenpolitik“, feministischen Umweltpolitik“ etc. mittlerweile als zentrale Dogma. So behauptet die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock dass Krisen und Konflikte Frauen überproportional betreffen würden.[7] Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke sagte im Rahmen ihrer Werbung vor der UN für eine „feministische Umweltpolitik“, dass Frauen von Kriegs- und Krisensituationen besonders betroffen wären.[8]

Durch das Marginalisieren männlicher Opfer von Kriegs- und Krisensituationen wird ein enormes Gender Bias konstruiert und die Vernachlässigung ziviler Männer innerhalb des Schutznetzwerks zunehmend verschärft.

Was Männer als Opfer bewaffneter Gewalt anbelangt, so wird die besondere Gefährdung männlicher Zivilisten im Diskurs über „Frauen und bewaffnete Konflikte“ und im Diskurs über „zivilen Schutz“ mit wenigen Ausnahmen weiterhin heruntergespielt. Der Bericht des Generalsekretärs über Frauen, Frieden und Sicherheit betonte die Notwendigkeit eines geschlechtersensibleren Ansatzes bei der humanitären Hilfe, aber die Anerkennung und Verbesserung der Situation der männlichen Zivilbevölkerung wird nicht als Bestandteil dieser Agenda genannt. Der Bericht geht speziell auf die Tendenz ein, Frauen als „gefährdete Gruppe“ zu betrachten, und macht auf zwei Probleme aufmerksam: die Notwendigkeit, gefährdete Gruppen in verschiedene Sektoren aufzuschlüsseln, und die Gefahr, dass die Fähigkeiten von Frauen übersehen werden. Ein drittes Problem, die Verschleierung der Verwundbarkeit ziviler Männer, wird in diesem Abschnitt der Studie nicht erwähnt.[9]

Für das Netzwerk zum Schutz der Zivilbevölkerung sind Frauenrechtlerinnen einer der wichtigsten strategischen „Partner“ im transnationalen Menschenrechtsnetzwerk.44 Humanitäre Organisationen stehen heute sowohl unter dem Druck von Aktivisten als auch von Spendern, ihre Arbeit für Frauen zu demonstrieren, und dieser Druck bietet einen zusätzlichen (wenn auch unbeabsichtigten) Anreiz, zivile Männer in ihrem Diskurs oder als programmatische Ziele zu vernachlässigen.[10]

Carpenter schreibt weiter:

Die meisten der von mir befragten Mitarbeiter der „Gender Unit“ oder der „Women’s Units“ hatten zuvor einen Hintergrund speziell mit Frauenfragen im weiteren Sinne und nicht mit Schutzfragen im weiteren Sinne. Diese Akteure sind miteinander vernetzt und dem transnationalen Frauennetzwerk über das Inter-Agency Network on Women and Gender Equality Gleichstellung (IANWGE) vernetzt. Siehe http://www.un.org/womenwatch/ianwge/.[11]

und

Die Datenerfassung zu Frauenfragen wird nun häufig an Partner wie das WCRWC delegiert, und die Experten für die Besetzung der „Gender Focal Point“-Positionen in den großen Schutzorganisationen werden oft aus dem Frauennetzwerk rekrutiert, anstatt einen systematischen Mainstreaming-Prozess durchzuführen.[12]

Mit der Gründung von UN Women als Organ der Vereinten Nationen 2010 wurde der geschlechterspezifische Ansatz endgültig zum rein frauenpolitischen Ansatz. Laut Wikipedia (UN Women) lagen 2016 die Einnahmen bei 334 Millionen US-Dollar und die Ausgaben bei 340 Millionen US-Dollar.

Im UN-Frauenforum 2021 gab sich das internationale Frauennetzwerk immer noch betont geschlechterkriegerisch zwischen weiblichem Opfertum und Ressentiment gegen Männer. Das Forum hat bei dieser Gelegenheit einen 40-Milliarden-Fonds auf 5 Jahre für die Sache der Frau angekündigt. Allein Melinda Gates, die die Bill and Melinda Gates Foundation repräsentiert, hat mehr als 2 Milliarden Dollar dafür auf den Tisch gelegt.[13]

Das internationale Frauennetzwerk hat mit der UN Women Menschrechte endgültig zu reinen Frauenrechten gemacht.

Frauen als Friedensstifterinnen

Männer müssen Wehrdienst leisten, Frauen in den meisten Ländern der Welt bisher nicht. Mit diesem Freiheitsentzug, der Männer im Gegensatz zu Frauen bewusst Gewalt, Tod und Verstümmelung aussetzt, wird ihnen per Gesetz das archetypische Männerrollenbild des Kriegers aufoktroyiert. Diese Benachteiligung von Männern und Privilegierung der Frau wird von der Frauenpolitik instrumentalisiert, um Männertäter-Frauenoper-Stereotype zu kolportieren und Männer als Kriegstreiber und Frauen als bevorzugte Friedensstifterinnen zu inszenieren. Carpenter schreibt:

Viele Frauenrechtlerinnen sind nach wie vor daran interessiert, Frauen als Friedensstifterinnen darzustellen, um einen Raum für die Förderung der politischen Beteiligung von Frauen zu Bedingungen zu schaffen, die für die männlichen Eliten akzeptabel sind (Helms, 2003; Cohn et al., 2004).[14]

Dazu gibt es einen lehrreichen aktuellen Artikel von Josef Joffe vom 04.06.2022 in der NZZ[15]:

Das dritte Problem ist das gravierendste, ein Denkfehler. Er verwechselt Gender mit Gebaren. Die plakatierten Tugenden der Frauen – Friedfertigkeit usw. – lassen sich von ihrer Position in Gesellschaft und Staat nicht trennen. Wer keine Macht hat, wird den Krieg nicht proben. (…)
Greifen wir nun in die Geschichte, wo Frauen die Herrschaft errangen, und das Bild sich dreht. Fangen wir an mit Deborah, der israelitischen Heerführerin. «Es gebrach an Regiment in Israel, bis dass ich, Deborah, aufkam, eine Mutter Israels.» (Richter 5,7) Unter ihrer Führung siegte ihr Volk im Befreiungskrieg gegen seine kanaanitischen Unterdrücker. Frieden lässt sich nicht oft ohne Waffen schaffen.
Boudicea sammelte 60 n. Chr. ein 100 000-Mann-Heer gegen die Römer, die Britannia unterjocht hatten. Sie schlug sie und brannte Londinum (London) nieder. Die Frau griff zur Gewalt, weil es das nationale Interesse so gebot.
Ein Sprung nach vorn. Isabella von Spanien vereinte ab 1492 mit ihrem Mann Ferdinand die iberische Halbinsel und verjagte die muslimischen Eroberer. Ihr Motto im Wappen: «Er wiegt so viel wie sie.» Unter ihrer Herrschaft entstand ein riesiges Imperium in Lateinamerika. Mit anderen Worten: Kolonialismus ist nicht allein Männersache, wie es im Katechismus des Korrekten heisst.
Johanna von Orleans war eine Kriegsherrin. Und Elizabeth I. (Königin von 1558 bis 1603) entsandte ein Heer in die Niederlande, um die protestantischen Brüder (und die Insel) gegen die ausgreifenden Spanier zu schützen – klassische Gleichgewichtspolitik. Sie erfand den englischen Kolonialismus und besiegte die Armada des spanischen Erbfeindes. Sie liess ihre katholische Rivalin Maria Stuart köpfen. Die «Jungfrau-Königin» deklamierte in ihrer berühmtesten Rede: «Ich weiss, ich habe den Körper einer schwachen, zarten Frau, doch das Herz und den Willen eines Königs.» Auch wer Röcke trägt, gehorcht auf dem Thron der Staatsräson.
Maria Theresia von Österreich führte ständig Krieg. Katharina die Grosse (Kaiserin von 1762 bis 1796) war eine Vorzeige-Imperialistin. Sie verleibte sich die Krim ein, dann in den Polnischen Teilungen (mit Habsburg und Preussen) das grösste Stück der Beute. Sie kolonisierte Noworossija rings um das Schwarze und das Asow-Meer. Die Frau «friedfertig» zu nennen, hiesse, sie zu beleidigen.
Nun in die Neuzeit. Golda Meir, die erste Regierungschefin Israels, führte ihren Staat 1973 in den Jom-Kippur-Krieg, als Ägypten und Syrien das Land zu überrollen drohten. Diese Frau war robuster als manche ihrer Generäle. Staatsräson und Erinnerung vereinten sich in der weiblichen Seele zur Gewaltbereitschaft: «Israel ist die stärkste Garantie gegen einen neuen Holocaust.»
Indira Gandhi marschierte 1971 gegen Pakistan. Das dortige Regime verlor West-Pakistan, heute Bangladesh; seitdem ist Indien die Vormacht in Südasien. Unter der weiblichen Ägide entstand die indische Atombombe. Nicht schlecht für eine friedensbeseelte Frau.
Margaret Thatcher, die «Iron Lady», täuschte die Welt mit ihrer eleganten Garderobe – keine Hosen, stets onduliertes Haar. Als Argentinien 1981 die Falklands eroberte, entsandte sie die Flotte und triumphierte über 12 000 Kilometer hinweg. Manche Männer im Kabinett waren nicht ganz so mutig. Auch nicht George Bush, der 1990 zögerte, Saddam aus Kuwait zu vertreiben. Legendär ist ihr Anruf beim Präsidenten: «Du wirst doch nicht wackeln, George!»
(…)
Was lehrt dieser kurze Ausschnitt aus der Geschichte? Machtpolitik kommt von Macht, nicht aus dem Hormonhaushalt. Auf dem Thron handeln Frauen nicht anders als Männer.

Wie man sieht, setzten Frauen auf dem Posten des Machthabers Krieg als Gewaltmittel ebenso ein wie Männer. Und bei männlichen wie weiblichen Machthabern ist zudem etwas anderes gleich – beide nutzen lediglich Männerleben für ihre Kriegführung.

Medien und das Framing der Berichterstattung

Wichtige Bündnispartner der humanitären Hilfsorganisationen sind natürlich auch die Medien. Sie beeinflussen mit ihrer Medienberichterstattung die öffentliche Meinung und den Handlungsdruck auf die Regierungen.

Und, wie Carpenter darlegt:

Netzwerkaktivisten sind jedoch eindeutig der Meinung, dass eine erfolgreiche Lobbyarbeit von der Betonung abhängt, dass „Frauen und Kinder“ die Nutznießer des zivilen Schutzes sind (Cohen, 2001:183). Auf die Frage, ob zivile Männer und Jungen als „gefährdete Gruppe“ hervorgehoben werden sollten, antworteten Teilnehmer des IKRK-Seminars über den Schutz besonderer Kategorien von Zivilpersonen: „Ich glaube nicht, dass das eine gute Strategie ist. Ich würde das nicht tun“ und „Wenn Sie ein Programm für ‚gefährdete Männer‘ vorschlagen, wird niemand es finanzieren“.[16]

Das Ganze ist natürlich ein Teufelskreis. Über männliche Opfer wird kaum oder gar nicht berichtet. Damit werden diese marginalisiert und weil diese marginalisiert werden, wird auch zukünftig immer weniger über sie berichtet.

Braumann (1993:150) argumentiert, dass eine überzeugende Nothilfegeschichte eine „Szenerie“ beinhalten muss, die der Reaktionsfähigkeit westlicher Zuschauer entspricht: „Bilder, nicht Worte … ein isolierter Aufruhr . … eine Persönlichkeit oder ein Freiwilliger einer humanitären Organisation, um das Opfer zu ‚authentifizieren'“. Die Rollen, die den Frauen in diesen Mediendramen zugeschrieben werden, sind archetypisch: die hungernde Witwe, das zerzauste Vergewaltigungsopfer, die Flüchtlingskolonnen älterer Frauen in Ker Chiefs. Nach Moeller (1998:234) zeigte die Fernsehberichterstattung über Ruanda „die Toten, vorzugsweise in großen Haufen, und die hohläugigen Überlebenden, vorzugsweise Frauen und Kinder, obwohl auch Männer und Kinder oder nur hagere Männer allein gezeigt wurden“. Häufiger werden Männer als Gewalttäter dargestellt: die umherziehenden Banden von Warlords, die Hilfskonvois plündern, oder diejenigen mit den Macheten und leichten Waffen. Ein Reporter der Washington Post beschrieb die westliche Reaktion auf Ruanda, wo einige Hutu-Frauen die Gewalt unterstützt hatten und männliche Tutsi, darunter auch Säuglinge, unverhältnismäßig häufig abgeschlachtet wurden und schrieb: „Frauen und Kinder wurden von Macheten schwingenden Gangstern, die sich am Blutvergießen erfreuten, in Stücke gehackt … (zitiert in Moeller 1998:222). Solche geschlechtsspezifischen Archetypen sind nicht überraschend: Wie Braumann (1993:150) in seiner Liste von Kriterien für die Konstruktion von „internationalen Ereignissen“ argumentiert, ist eine wichtige Voraussetzung für die Erweckung von Sympathie die Konstruktion eines Opfers, das „für westliche Zuschauer spontan akzeptabel ist. Die Akzeptanz wird vor allem durch den „100%igen Opferstatus“ bestimmt: Das symbolische Opfer muss als völlig handlungsunfähig dargestellt werden; es muss sowohl unfähig sein, sich selbst zu helfen, als auch ein eindeutiger Nichtteilnehmer an den politischen Ereignissen, aus denen sein Elend resultiert (Braumann, 1993:154). Kurz gesagt, das Opfer muss eindeutig „unschuldig“ sein. Aufgrund tief verwurzelter geschlechtsspezifischer Annahmen und weil erwachsene Männer und Jungen in jeder Gesellschaft als „potenzielle Teilnehmer“ angesehen werden können, gehen Journalisten davon aus, dass Beweise für männliche Opfer weniger Sympathie hervorrufen; Frauen eignen sich besser als symbolische Opfer, vor allem in Kriegszeiten, gerade weil sie – entweder als Zuschauer oder als Mütter hilfloser Kinder – als unschuldig angesehen werden können.[17]

Verbreitung falscher Zahlen

Die Fokussierung auf „Frauen und Kinder“ lässt offenbar auch die Hemmungen fallen, falsche Zahlen zu verbreiten. Carpenter schreibt dazu:

„Frauen in der Zivilbevölkerung sind die Hauptopfer der modernen Kriegsführung“, heißt es in der Halbzeitüberprüfung der Consolidated Inter-Agency Appeals aus dem Jahr 2000, die vom Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte veröffentlicht wurde (OHCHR, 2000:2). (…) Simon Chesterman (2001:2) schreibt: „In den Konflikten der 1990er Jahre machten Zivilisten bis zu 90 Prozent oder mehr der Getöteten aus, wobei ein hoher Anteil Frauen und Kinder waren. Auf der Tagung des Sicherheitsrats im Jahr 2001 erklärte der pakistanische Delegierte: „Die Gewalt gegen Zivilisten hat alarmierende Ausmaße angenommen und richtet sich in den meisten Fällen gegen Frauen, Kinder und andere gefährdete Gruppen“ (UN Doc. S/PV . 4312, Wiederaufnahme 1: 21).
Die verfügbaren Daten zeigen jedoch, dass zivile Männer und ältere Jungen am ehesten direkt in Kriegen oder Bürgerkriegen getötet werden (Jones, 2000; Goldstein, 2001); (…) Diese Darstellungen werden der Öffentlichkeit gegenüber von den Leitern der Schutzorganisationen strategisch wiederholt, selbst wenn die statistischen Abteilungen dieser Organisationen empirische Daten produzieren, die den öffentlichen Erklärungen widersprechen.
Im selben Jahr, in dem das IKRK einen Bericht veröffentlichte, in dem es angab, dass nur 35% der seit 1991 behandelten Waffenverletzungen Frauen, Kinder unter 16 Jahren und Männer über 60 Jahren betrafen (IKRK, 1999b), erklärte der Präsident des IKRK vor dem Sicherheitsrat „Das IKRK ist heute mit 20 offenen Konflikten in der ganzen Welt konfrontiert, in denen die Zivilbevölkerung in vielen Fällen das erste und wichtigste Ziel ist. Frauen, Kinder, ältere Menschen, Kranke, Flüchtlinge und Binnenvertriebene werden in großer Zahl angegriffen und methodisch aus ihren Häusern vertrieben“.[18]

Auch die Öffentlichkeitsarbeit der humanitären Organisationen und die Medien haben angebliche Flüchtlingszahlen verbreitet, um an das moralische Empfinden zu appellieren (Crisp, 2000). Den offiziellen UNHCR-Statistiken zufolge ist die oft wiederholte Aussage „80 % der weltweiten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder“ jedoch oft schlichtweg falsch oder bestenfalls bedeutungslos. Frauen mögen in einigen Lagern überrepräsentiert sein, aber unter den Asylbewerbern in West- und Mitteleuropa sind sie unterrepräsentiert (UNHCR, 2000a).[19]

Außerdem werden nicht die Gründe aufgeführt, weshalb weniger Männer unter den Flüchtlingen sind. Sie dürfen gar nicht fliehen, weil sie zurückgehalten werden, um zwangsrekrutiert werden zu können:

Die Wehrpflicht ist oft ein Problem. Offiziell durften im vergangenen Jahr keine Flüchtlinge die afghanische Grenze nach Pakistan überqueren, nur „gefährdete“ Gruppen, nur Frauen und Kinder. Tatsächlich aber waren die Männer vielleicht am meisten gefährdet, und die Frauen selbst waren am meisten um die Männer besorgt, die zu dieser Zeit Gefahr liefen, von den Taliban eingezogen zu werden. UNHCR-Beamter, Abteilung für Bewertung und Politik, August 2002[20]

Auch beim aktuellen Ukraine-Krieg durften Frauen und Kinder fliehen. Wie Harald Neuber auf Heise online darlegt, hat die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Ausreisesperre für Männer zwischen 18 und 60 Jahren erlassen und es gab sogar schon vor dem russischen Angriff auf das osteuropäische Land Berichte über Zwangsrekrutierungen in der Ukraine. Gleichzeit wollte die FDP-Bundestagsfraktion, Soldaten der russischen Armee über ein bevorzugtes Asylverfahren zur Fahnenflucht bewegen, aber ukrainische Kriegsdienstverweigerer dabei auszuschließen.

Laut Amy Maguire[21], Professorin für Menschenrechte und internationales Recht, garantiere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte die Gedanken-, Gewissens- und Religions- oder Glaubensfreiheit. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat bestätigt, dass sich dieses Recht aus dem Schutz der Konvention ableitet. Das bedeutet, dieses Zurückhalten von Männern von der Flucht, um sie später zwangsrekrutieren zu können, ist nicht völkerrechtskonform.

Der oben erwähnte Beamte [der Abteilung für Bevölkerungsdaten des UNHCR] sagte Carpenter in einem persönlichen Interview: „Die Fakten werden oft nicht beachtet, weil die Botschaft wichtiger ist.“[22]

Der UNHCR-Bericht 2000 widerlegte sogar die Behauptung, dass es mehr weibliche als männliche Flüchtlinge gibt.[23]

„Woher die Zahlen kommen, ist nicht wichtig“, antwortete ein Moderator auf einem vom IKRK gesponserten Schulungsseminar über humanitäres Recht für Hochschullehrer auf meine Frage. Wichtig ist, was sie über die Situation der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung aussagen.[24]

Hilfsorganisationen übernehmen die einseitigen Bilder weiblicher Opfer

Wie haben die Akteure des Zivilschutznetzes angesichts ihrer Verflechtung mit den globalen Medien auf diese Tendenz zur Vereinfachung und Verzerrung reagiert? Im Allgemeinen haben sie sich auch dafür entschieden, diese vereinfachenden Rahmen zu schaffen (Ignatieff, 1998:194). Was die Öffentlichkeit der Geberländer betrifft, so besteht das Ziel nicht darin, über komplexe Realitäten aufzuklären, sondern öffentliche Sympathie, Spenden und (vielleicht) politischen Willen für multilaterale Interventionen zu erzeugen (Shiras, 1996:97). Nach Hammock und Charny (1996:130) „verlassen sich die Medien weiterhin auf stereotype Bilder, so wie die Hilfsorganisationen weiterhin das Bild der Hilflosigkeit und Verzweiflung unter den Nutznießern der Arbeit aufrechterhalten“. Die Bürokratien der großen Geberländer geben den Katastrophenhelfern sogar Richtlinien an die Hand, wie sie den Medien berichten sollen: “Keep it simple. Vereinfachen Sie die wichtigsten Punkte und fassen Sie sie zusammen … denken Sie daran, dass das Publikum die breite Öffentlichkeit ist“ (OFDA, 1994:I-4). Es überrascht nicht, dass diese vereinfachten Darstellungen oft geschlechtsspezifische Essentialismen enthalten, die sowohl auf das Erzählrepertoire der Journalisten als auch auf das Massenpublikum abgestimmt sind. Ein UNICEF-Beamter drückte es so aus: „Es liegt im Interesse vieler Menschen, [die Assoziation von Frauen und Kindern mit Zivilisten] aufrechtzuerhalten. Denken Sie an die Medien, die viele unserer Visionen und Bilder von solchen Situationen schaffen. Sie wollen eine Geschichte, und die Geschichte handelt von der Beziehung zwischen Gut und Böse, von bösen Männern mit Waffen und guten, unschuldigen Frauen und Kindern, die leiden, verhungern und vergewaltigt werden. Das ist eine Wahnsinnsgeschichte. Man will sie nicht verkomplizieren.“[25]

Fazit: Ein politisch gewollter und forcierter Gender Bias

Die Einordnung von Zivilisten als „Frauen und Kinder“ und Nichtzivilisten als Männer im wehrfähigen Alter ist nicht mit den Genfer Konventionen vereinbar. Trotzdem ist sie mittlerweile die Norm in Kriegen. Sie macht erwachsene zivile Männer und heranwachsende Jungen unsichtbar und führt zu einem enormen Gender Bias.

Die Wurzeln liegen den beiden Ursexismen, den archaischen Rollenbildern von Männern und Frauen – Männer als Kämpfer und Frauen als von den Männern versorgte und beschützte Kinderbetreuerinnen.

Durch den Begriff „unschuldige Frauen und Kinder“ als Synonym für „unschuldige Zivilisten“ im internationalen Diskurs werden Frauen als Betroffene von Konflikten essenzialisiert und Männer als Betroffene unsichtbar gemacht. Wir haben gezeigt, dass dieser Gender Bias von Politik, Medien, Hilfsorganisationen und dem internationalen Frauennetzwerk ganz bewusst gefördert wird, sogar unter der bewussten Verwendung falscher Zahlen.

Das untergräbt ein zentrales humanitäres Prinzip, nämlich die Unparteilichkeit, die von Menschenrechtsorganisationen und humanitären Organisationen verlangt, dass sie Schutzmaßnahmen nicht auf der Grundlage von Rasse, nationaler oder ethnischer Herkunft, Sprache oder Geschlecht durchführen dürfen. Eine unparteiische humanitäre Aktion erfordert den gleichen Schutz aller Opfer auf der Grundlage ihrer Bedürftigkeit, nicht aufgrund Ihres Geschlechts.

Über ein Vierteljahrhundert später, nachdem die Afghanistan-Politik der Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte nach 59 toten männlichen Soldaten im September 2021 am Flughafen in Kabul in Rauch aufging, stellte das Auswärtiges Amt zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen des Women’s Peace and Humanitarian Funds 2 Mio. Euro zur Verfügung. Und dies, obwohl, so das Neue Deutschland, „Menschen, die in irgendeiner Form mit westlichen Institutionen und Organisationen oder Militärs zusammengearbeitet haben – und das waren mehrheitlich Männer – akut die am meisten gefährdeten sind. Zudem sind nicht nur Gewalttäter, sondern auch Gewaltopfer in der großen Mehrheit männlich.“ [26]

Feministische Außenpolitik nennt sich diese Form der rein frauenspezifischen Ausrichtung außenpolitischer Aktivitäten.

Ungleichbehandlung Flüchtlinge

Viele Hilfsorganisationen kritisieren zwar die die Ungleichbehandlung[27] von aktuellen Ukraineflüchtlingen und Flüchtlingen aus anderen Ländern, wie z. B. Syrien oder Afghanistan ab 2015. All diese Kritiken haben aber einen Fehler gemeinsam. Sie kritisieren die Ungleichbehandlung verschiedener Ethnien, verschweigen aber die geschlechterspezifische Dimension.

Die Mehrheit der Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan ist männlich. So wurde die Mehrheit der Asylerstanträge im Jahr 2016 mit 65,7 % von männlichen Antragstellern gestellt.[28]

Laut einer Ende März 2022 erhobenen Umfrage des Bundesinnenministeriums sind ukrainische Flüchtlinge überwiegend Frauen, nämlich rund 84 Prozent. Grund für diesen hohen Anteil ist unter anderem das in der Ukraine geltende Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren.[29]

Vom „Nur Frauen und Kinder“ zum „Nur Frauen und Mädchen“

Mittlerweile wird aus dem „women and children only“ von Srebrenica sogar ein „women and girls only“.

Im Juni 2013 ermordete die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram 42 Jungen bei einem Anschlag auf eine Schule. Im September 2013 attackierte Boko Haram gezielt die Schlafsäle der jungen Männer im College of Agriculture in Gujiba, Nigeria und ermordete 44 von ihnen. Im Februar 2014 wurden 59 Jungen einer Internatsschule von Boko Haram-Terroristen erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt. Die Mädchen der Schule ließen die Terroristen frei. Im gleichen Monat überfiel Boko Haram das Dorf Izghe, ermordete dort über mehrere Stunden die männliche Bevölkerung, auch Jungen oder Babys. Von den 106 Toten waren 105 männlich. Eine Frau war darunter, die versucht hatte, ihren Enkel vor den Massenmördern zu schützen. Im Mai und Juni 2014 ermordete Boko Haram in verschiedenen Dörfern im Nordosten Nigerias Männer und Jungen, indem dem sie sie zusammentrieb und dann das Feuer auf sie eröffnete. Man geht von etwa 400 bis 500 Toten aus.

Ein Aufschrei der Weltgemeinschaft blieb aus. Erst als Boko Haram am 14. April 2014 in der nordnigerianischen Stadt Chibok dreihundert Schülerinnen entführte, gab es weltweite Kampagnen „Bring back our Girls“. Die männlichen Opfer von Boko Haram hat man ignoriert.[30]

Das trifft auch auf andere Bereiche des Vökerrechts zu, wie z. B. die Kinderarbeit. Der aktuelle Bericht „Child Labour: Global estimates 2020, trends and the road forward“ zeigt, dass die Kinderarbeit von Mädchen von 2016 zu 2020 von 8,4 auf 7,8 Prozent gefallen ist, während der Anteil der Kinderarbeit von Jungen im gleichen Zeitraum von 10,7 auf 11,2 Prozent gestiegen ist. Die weltweite Kinderschutzpolitik führt durch die Marginalisierung von männlichen Opfern von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung nicht zur Beseitigung von Kinderarbeit, sondern lediglich dazu, kinderarbeitende Mädchen durch kinderarbeitende Jungen zu ersetzen.

Obwohl gut 90 Prozent der Minderjährigen in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln 2020 Jungen waren, wollte die Bundesregierung ihre „humanitäre Hilfe“ vorrangig an das Geschlecht der Betroffenen knüpfen und vorrangig Mädchen aufnehmen.[31]

Die Kinderhilfsorganisation PLAN wirbt heute mit Sprüchen wie „Mädchen brauchen Ihre Unterstützung“.

Ist unsere Jungenfeindlichkeit schon so normal und so groß, dass wir tatsächlich lieber spenden, wenn wir wissen, dass Jungen nicht davon profitieren?

SOS Kinderdörfer gehen bei ihren Spendenaufrufen noch weiter. Dort heißt es z. B.:

In vielen Ländern und Regionen Afrikas und Südasiens hätten sie nicht Lesen und Schreiben gelernt – weil Mädchen im Haushalt helfen müssen, während ihre Brüder zur Schule gehen dürfen.[32]

Hier wird sogar aktiv Wut auf Jungen erzeugt, damit man solidarisch für Mädchen spendet. Das Leid von Mädchen und das Leid von Jungen werden hier gegeneinander ausgespielt.

Dabei besuchen laut UNICEF-Report 2017 „A Familiar Face: Violence in the lives of children and adolescents“ weltweit ebenso viele Jungen keine Grund- oder Sekundarschule wie Mädchen, nämlich über 60 Millionen.[33]

Der aktuelle Bericht[34] der Internationalen Arbeitsschutzorganisation (ILO) zur Kinderarbeit aus 2021 zeigt, dass Anfang 2020 weltweit etwa 97 Millionen Jungen und 63 Millionen Mädchen Kinderarbeit verrichteten, das sind 11,2 Prozent aller Jungen und 7,8 Prozent aller Mädchen. Laut genanntem Bericht ist der Anteil der Jungen, die wegen Kinderarbeit nicht zur Schule gehen, höher als der der Mädchen (35 Prozent gegenüber 32,8 Prozent). Das bedeutet, dass die unsichtbar gemachten Brüder der Mädchen vermutlich ebenso nicht in die Schule gehen, sondern ebenfalls Kinderarbeit leisten.

Auch sieht der o.g. UNICEF-Report aus 2017 für eine solche Teilung der Menschenrechte keine sachlichen Gründe. Denn danach sterben 36 von 100.000 Jungen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren durch kollektive Gewalt im Mittleren Osten und Nordafrika (im Vergleich zu 24 Mädchen), in Lateinamerika werden durchschnittlich 38 von 100.000 Jungen getötet (im Vergleich zu 5 Mädchen).

Die Hilfsorganisationen machen auch unsichtbar, dass es laut weltweiter Studie der Economist Intelligence Unit mit Unterstützung der World Childhood Foundation, der Oak Foundation und der Carlson Family Foundation,[35]

  • sexueller Missbrauch von Jungen in vielen Ländern durch die Gesetze „kaum thematisiert“ wird,

  • knapp die Hälfte der Länder keine Gesetze zum Schutz für Jungen hatte. In vielen Fällen waren die Gesetze spezifisch für Mädchen und erkannten Jungen nicht als Opfer an,

  • nur 6 von 60 untersuchten Ländern überhaupt Prävalenzdaten über Jungen bezüglich sexueller Ausbeutung von Kindern führen.

Das Unsichtbarmachen von männlichen Gewaltopfern

Das Bild des ausschließlich weiblichen Gewaltopfers kann man nur aufrechterhalten, wenn man männliche Gewaltopfer systematisch marginalisiert und unsichtbar macht. Das gilt auch für die Opfer des Massakers von Srebrenica.

Die UN rettete Frauen und Kinder aus Srebrenica, während sie 8.000 Jungen und Männer ihren Schlächtern auslieferte. Das Geschlecht war eines der wesentlichen Kriterien von UN und Mördern für Rettung oder Ermordung. Die Heinrich-Böll-Stiftung bestreitet einen geschlechterspezifischen Zusammenhang und verharmlost die Verbrechen, indem sie behauptet, dass es sich bei diesem Menschenrechtsverbrechen um „ein empirisch nicht nachgewiesener vermeintlicher Missstand zu Lasten von Jungen und Männern“ handeln würde.[36]

Nur ein Jahr vor dieser Marginalisierung der ermordeten Männer mahnte die gleiche Heinrich-Böll-Stiftung noch, diese Toten nicht zu vergessen, sondern an diese zu erinnern.[37]

Man sieht die Bilder der Frauen und Kinder und sie weinen und sind erbärmlich und traurig und alles andere, aber sie sind auch am Leben, es waren die Männer, die getötet wurden. -UNICEF-Beamter, Oktober 2002[38]

Quellen

 

[1] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005) 49, 295–334

[2] https://www.achgut.com/artikel/die_neue_partnerschaftlichkeit_halt_die_klappe, Abruf 18.6.22

[3] „Gleichheit als umkämpftes Terrain? Wie antifeministische Männerrechtler emanzipatorische Begriffe umdeuten“, Thomas Gesterkamp, Ruhr-Universität Bochum, 25. Juni 2010, S. 8

[4] https://fsi-ev.de/verwendung-von-steuergeldern/; Abruf 18.6.22

[5] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005) 49, 322f.

[6] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005) 49, S. 323 Fußnote 50

[7] Videobotschaft vom 15.3.2022; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2517394, Abruf 10.7.22

[8] Deutsche Umweltministerin Lemke in ihrer Werbung bei der UN für eine „feministische Umweltpolitik“; https://www.welt.de/wirtschaft/plus237785139/Umweltministerin-Was-ist-feministische-Umweltpolitik-Frau-Lemke.html; Abruf 10.7.22

[9] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005) 49, S.324

[10] Persönliches interview Carpenter, UNHCR Official, Evaluation and Policy Unit, August 2002.

[11] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.321 in Fußnote 47

[12] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.321

[13] https://manndat.de/geschlechterpolitik/un-frauenforum-2021-zwischen-opfertum-und-ressentiment.html; Abruf 19.6.2

[14] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.324

[15] Josef Joffe „Das Zauberwort von der feministischen Aussenpolitik macht die Runde. Die Wahrheit ist: Machtpolitik hat kein Geschlecht“; NZZ, 04.06.2022

[16] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.320

[17] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.316

[18] U.N. Doc. S/PV/3977.

[19] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005) 49, S.319

[20] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.325

[21] Why banning men from leaving Ukraine violates their human rights (theconversation.com); Abruf 18.6.22

[22] Persönliches Interview von Charli Carpenter im September 2002 in Genf.

[23] State of the World’s Refugees. Genf: UNHCR.

[24] Training Seminar on Humanitarian Law for University Teachers, University of Geneva Graduate Institute of International Studies, September 2002, Genf.

[25] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), 49, S.316f.

[26] Jana Frielinghaus: „Der Mann als Gefährder“, 18.08.2021; https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155712.alice-schwarzer-der-mann-als-gefaehrder.html

[27] Medizinische Ungleichbehandlung von Geflüchteten beenden (aerzteblatt.de); Abruf 25.6.22

[28] „Das Bundesamt in Zahlen 2016 – Asyl, Migration und Integration“, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referat 02 – Statistik, August 2017, S.21)

[29] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1300552/umfrage/gefluechtete-aus-der-ukraine-nach-geschlecht/; Abruf 22.6.22

[30] https://manndat.de/gewalt-gegen-maenner/der-grosse-teppich-der-heinrich-boell-stiftung.html; Abruf 25.6.22

[31] https://manndat.de/jungen/bundesregierung-wollte-fluechtlingsjungen-benachteiligen.html; Abruf 19.6.22

[32] https://www.sos-kinderdoerfer.de/informieren/wie-wir-helfen/bildung/schule; Abruf 25.6.22

[33] UNICEF-Report: A FAMILIAR FACE Violence in the lives of children and adolescent (ISBN: 978-92-806-4919-2) vom November 2017

[34] ILO and UNICEF: “Child Labour: Global estimates 2020, trends and the road forward“ (Child Labour: Global estimates 2020, trends and the road forward;, 10 Juni 2021; ILO ISBN: 978-92-2-034878-9 (print); 978-92-2-034879-6 (web PDF)[ISBN])

[35] Weltweite Studie der Economist Intelligence Unit mit Unterstützung der World Childhood Foundation, der Oak Foundation und der Carlson Family Foundation, veröffentlicht unter „Out of the shadows: SHINING LIGHT ON THE RESPONSE TO CHILD SEXUAL ABUSE AND EXPLOITATION”

[36] Dorothee Beck, Thomas Gesterkamp, Andreas Kemper, Barbara Stiegler, Henning van Bargen, E-PAPER „Antifeminismus auf dem Weg durch die Institutionen“ Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung, Oktober 2021

[37] https://www.boell.de/de/2020/07/13/25-jahre-genozid-von-srebrenica-nicht-leugnen-erinnern; Abruf 26.6.22

[38] R. Charli Carpenter: ‘‘Women, Children and Other Vulnerable Groups’’: Gender, Strategic Frames and the Protection of Civilians as a Transnational Issue; International Studies Quarterly (2005), S.325

Beitragsbildquelle: Friedhof-adobe-stock-von-marketanovakova-

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