Der Kentler-Skandal – Die Rückantwort des Bundesjugendministeriums
Das Bundesjugendministerium hat uns mittlerweile eine Antwort zu unserer offenen Anfrage vom 24.11.2020 zum Kentler-Skandal geschickt.
Der Hintergrund
Beim „Kentler-Experiment“ wurden in Berlin seit dem Ende der 1960er Jahre bis 2001 Jungen von Jugendämtern an vorbestrafte Pädophile vermittelt, wo diese dann missbraucht wurden. Der Pädagoge Helmut Kentler gehörte zu den Befürwortern einer „emanzipatorischen“ Jugendarbeit und setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein, weil er es für heilsam hielt, wenn „schwer erziehbare“ Jungen bei vorbestraften Pädophilen untergebracht würden. Ein Gutachten eines Forschungsteams der Universität Hildesheim hat bestätigt, dass es sich bei der Vermittlung an die von Kentler empfohlenen Pflegestellen um „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“ handelte. Die Verantwortung für die Verbrechen liege „eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr“.
Laut Wolfgang Schröer von der Uni Hildesheim, der das Gutachten führend betreute, handelte es sich bei dem „Kentler-Experiment“ um ein „Netzwerk von Akteuren“, das geduldet worden sei. Zeitzeugen hätten bestätigt, dass das „Modell“ in der Senatsverwaltung bekannt gewesen und mitunter auch in Bezirksjugendämtern auf Akzeptanz gestoßen sei. Und es gebe zudem „deutliche Hinweise“ auf bundesweite Zusammenhänge. Das Gutachten empfiehlt deshalb, auch eine bundesweite Aufklärung in Gang zu setzen.
Anlass unserer Anfrage
Die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks (SPD) hat auf eine schriftliche Frage von MdB Beatrix von Storch (AfD) an die Bundesregierung (6/373), ob diese Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des „Kentler-Experiments“ plane, initiiere oder unterstütze, eine negative Antwort erteilt: „Die Bundesregierung plant, initiiert oder unterstützt derzeit keine Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des ‚Kentler-Experimentes‘.“
Deshalb haben wir einen offenen Brief an die Bundesjugendministerin Giffey geschrieben. Unsere Fragen vom 24.11.2020 (https://manndat.de/geschlechterpolitik/der-kentler-skandal.html) in diesem Zusammenhang lauteten (Hervorhebung nicht in der Originalanfrage, sondern lediglich zum Kenntlichmachen der Fragen):
- Bei den Missbrauchsopfern handelt sich u. W. ausschließlich um Jungen. In der von Ihrem Ministerium gerade veröffentlichten Publikation „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer in Deutschland – Ein Dossier zur partnerschaftlichen Gleichstellungspolitik“ wird unter dem Arbeitsziel „Jungen und Männer werden in ihrer Verletzlichkeit ernst(er) genommen“ als Maßnahme explizit die „Nachsorge/Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“ genannt. Zudem wollten Sie doch mit Ihrer Initiative „Stärker als Gewalt“ die Sensibilisierung und Aufklärung sexualisierter Gewalt vorantreiben. In der Praxis weigert sich aber Ihr Ministerium, die Aufklärung beim Kentler-Skandal zu unterstützen. Wie bringen Sie die Untätigkeit Ihres Ministeriums bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch bei Jungen als Missbrauchsopfer mit den vorgenannten Versprechen und Ihrem geschlechterpolitischen Ansatz des Gender Mainstreaming in Kohärenz?
- Die „emanzipatorische“ Jugendarbeit, deren Anhänger Kentler war, ist eine der Grundlagen für die Jungenpolitik des BMFSFJ, das z. B. noch 2011 in seiner Dokumentation des Fachforums „Anerkennung außerschulischer Bildung“ durch Vertreter des Deutschen Jugendinstituts (DJI) explizit auf Helmut Kentler verwies. Wird auf Basis dieses Missbrauchsskandals die Jungenpolitik Ihres Ministeriums kritisch reflektiert und, wenn ja, sollen dabei auch Empathiedefizite gegenüber Jungen eruiert werden?
Die Antwort
Im Namen von Frau Ministerin Giffey antwortete Anna Maria Lemcke, Referentin im Referat KSR-3, „Kinderschutz, Prävention sexueller Gewalt, Stiftung Frühe Hilfen“ mit Schreiben (E-Mail) vom 5.1.2021 wie folgt:
„vielen Dank für Ihr Schreiben an Bundesministerin Giffey vom 24.11.2020.
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert zahlreiche Maßnahmen und Initiativen, um diesen Schutz weiter zu verbessern und Betroffene sexualisierter Gewalt bestmöglich zu unterstützen. Die Bedarfe von männlichen Betroffenen, die häufig besonders stigmatisiert sind und für die vergleichsweise wenige Beratungs- und Unterstützungsangebote existieren, werden dabei durchgängig berücksichtigt.
Auch die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Vergangenheit hat für die Bundesregierung hohe Priorität. So wurde im Jahr 2016 die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eingesetzt und ihre Laufzeit durch einen Kabinettbeschluss vom Dezember 2018 bis Ende 2023 verlängert. Eines der Themen, mit denen sich die Kommission aktuell beschäftigt, ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Rahmen der sogenannten Pädosexuellenbewegung. Für das Frühjahr 2021 ist dazu ein digitales Symposium geplant.
Die weitere Aufarbeitung des sogenannten „Kentler-Experiments“, insbesondere im Hinblick auf mögliche bundesweite Unterstützungsnetzwerke, wird derzeit durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie des Landes Berlin vorbereitet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend begrüßt dies ausdrücklich.
Die erneute Beauftragung eines Forschungsvorhabens durch das Land Berlin ist für das erste Quartal 2021 vorgesehen. Die Berliner Senatsverwaltung steht in Bezug auf das Vorhaben in engem Austausch mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und mit der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und erfährt nach eigenem Bekunden von beiden Seiten wertvolle Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen“
Wie ist die Antwort zu werten?
Die Dauer der Antwort, über zweieinhalb Monate nach unserer Anfrage, deutet darauf hin, dass hier keine pauschale Rückantwort erfolgt ist, sondern der Inhalt intensiv mit den Verantwortlichen im Ministerium abgestimmt wurde.
Positiv ist anzumerken, dass erkannt wird, dass die männlichen Betroffenen häufig besonders stigmatisiert werden, aber vergleichsweise wenige Beratungs- und Unterstützungsangebote existieren.
Positiv ist weiterhin die Auskunft, dass die Aufarbeitung des sogenannten „Kentler-Experiments“, insbesondere im Hinblick auf mögliche bundesweite Unterstützungsnetzwerke, derzeit durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie des Landes Berlin vorbereitet werde.
Auf unsere Anfrage, ob auf Basis dieses Missbrauchsskandals die Jungenpolitik des Ministeriums kritisch reflektiert und, wenn ja, ob dabei auch Empathiedefizite gegenüber Jungen eruiert werden sollen, wird weder eingegangen noch geantwortet. Wir gehen deshalb davon aus, dass dies derzeit außer Frage steht.
Interessant ist aber die Antwort zur Unterstützung der Aufarbeitung des Kentler-Skandals durch die Bundesregierung. Die Parlamentarischen Staatssekretärin Caren Marks (SPD) hatte auf die schriftliche Frage von MdB Beatrix von Storch (AfD) an die Bundesregierung geantwortet, dass diese keine Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des „Kentler-Experimentes“ unterstütze.
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) ist aber ein Amt der Bundesregierung. Und die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert.
Wie Frau Lemcke in ihrer Antwort darlegt, erfährt die Berliner Senatsverwaltung in Bezug auf eine erneute Beauftragung eines Forschungsvorhabens zum Kentler-Experiment von beiden Einrichtungen wertvolle Unterstützung.
Da wir davon ausgehen, dass weder Frau Lemcke noch Frau Marks diesbezüglich falsch informierte, ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung ihre Meinung geändert hat.
Wir freuen uns, dass wir dabei mithelfen konnten.
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Lesermeinungen
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Papier ist geduldig, gerade in Berlin. Ohne Tatsachen fehlt der Glaube.
>Ohne Tatsachen fehlt der Glaube.
Eine verständliche Skepsis. Genderpolitik hat Männern schon viel versprochen und nahezu nichts gehalten.
Überraschenderweise wird die Aufklärungsarbeit zu diesem Thema von ganz unerwarteter Seite unterstützt:
https://www.emma.de/artikel/der-fall-kentler-neue-studie-deckt-netzwerk-auf-337803
Hallo Frank,
ja, das ist klar. Der EMMA geht es vorrangig um die direkten Täter, die „mächtige Männer“ waren. Uns geht es auch darum, vorrangig aber um die Wahrnung der Gewalt gegen Jungen und wie diese durch Behörden unterstützt wird.
Ja, und zuverlässig erwähnt die Emma, dass es nur männliche Täter sind. Zuverlässig erwähnt sie nicht, dass es nur männliche Opfer gab. („… jungen Männern und Kindern.. „) ist der einzige Hinweis auf das Geschlecht, was Mädchen aber nicht ausdrücklich ausschließt.
Obligatorisch vermengt die Emma natürliche Macht („Mächtige Männer/ mitunter mächtige Männer“)
Und natürlich vermengt sie es mit anderen Fällen (Lügde, Münter), die aber so garnichts damit zu tun haben.
Typisch Emma eben.
> ist der einzige Hinweis auf das Geschlecht, was Mädchen aber nicht ausdrücklich ausschließt
Bei Hinweisen auf etwas ist es unüblich, Gott und die Welt als Nichtbeteiligte zu erwähnen, sinnlos obendrein. Der Leser soll Mädchen mit einschließen, gleichzeitig die Lüge verdunkeln, dafür sind die 4 Worte so gewählt.
“ Die erneute Beauftragung eines Forschungsvorhabens durch das Land Berlin ist für das erste Quartal 2021 vorgesehen.“
Dies müsste ja demnach bereits passiert sein, ich kann dazu in öffentlich verfügbaren Quellen leider nichts finden.
Ist Ihnen Näheres dazu bekannt?
Hallo,
das ist richtig. Da werden wir mal das Land Berlin anschreiben, ob da was geschehen ist.