Der Kentler-Skandal

von Manndat

Die Beschäftigung mit dem sexuellem Missbrauch der katholischen und evangelischen Kirche und der Grünen Partei von Jungen hat zu Debatten um Verstrickungen geführt. Weniger bekannt ist der in staatlicher Verantwortung stehende Missbrauchsskandal im Rahmen des sogenannte „Kentler-Experiments“. Das ist überraschend, handelt es sich doch um einen der größten Missbrauchsskandale seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb wollen wir im Rahmen unserer Initiative „Unsichtbarmachen männlicher Gewaltopfer sichtbar machen“ darauf näher eingehen und wollen mit einem offenen Brief an die oberste für Jungen zuständige Ministerin in Deutschland schließen.

Das Kentler-Experiment

Beim „Kentler-Experiment“ wurden in Berlin seit dem Ende der 1960er Jahre bis 2001 Jungen von Jugendämtern an vorbestrafte Pädophile vermittelt, wo diese dann missbraucht wurden. Helmut Kentler gehörte zu den Befürwortern einer „emanzipatorischen“ Jugendarbeit und setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein, weil er es für heilsam hielt, wenn „schwer erziehbare“ Jungen bei vorbestraften Pädophilen untergebracht würden. Laut EuroPROFEM – The European Men Profeminist Network – ist emanzipatorische Jungenarbeit von Männlichkeits- und Patriarchatskritik gekennzeichnet.

Die Aufarbeitung beginnt erst ab 2015

Die Berliner Senatsverwaltung gab 2015 nach öffentlichem Druck bei der Politikwissenschaftlerin Teresa Nentwig vom Institut für Demokratieforschung in Göttingen eine Studie über das Experiment in Auftrag. Betroffene, die sich 2017 an die zuständige Senatorin wandten, zeigten sich jedoch laut „Spiegel“, 7/2018, S. 24, vom Senat enttäuscht.

Teresa Nentwig hatte 2017/18 auch in Niedersachsen Kentlers Wirken, der sich auch in Hannover mit verhaltensauffälligen Jugendlichen befasst hatte, erforscht. (Jutta Rinas: Pädophilie-Befürworter lehrte an Uni. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 12. Januar 2018, S. 15)

Missbrauchsopfer sind enttäuscht

Zwei Missbrauchsopfer hatten 2019 das Land Berlin auf Schadensersatz verklagt. Die Missbrauchsopfer hatten einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt, da sie auf Sozialleistungen angewiesen sind. Die Prozesskostenhilfe hatte der Senat allerdings mit der Begründung abgelehnt, die Klage sei aufgrund der Verjährung aussichtslos. Die Entschädigungen, die man jetzt zahlen wolle, zahle man laut Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Im September 2019 wurde auch das letzte der Ermittlungsverfahren eingestellt.

Verantwortung der Exekutive

2020 hat ein Gutachten eines Forschungsteams der Universität Hildesheim Mitte bestätigt, dass es sich bei der Vermittlung an die von Kentler empfohlenen Pflegestellen um „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“ handelte. Die Verantwortung für die Verbrechen liege „eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr“.

Laut Wolfgang Schröer von der Uni Hildesheim, der das Gutachten führend betreute, handelte es sich bei dem „Kentler-Experiment“ um ein „Netzwerk von Akteuren“, das geduldet worden sei. Zeitzeugen hätten bestätigt, dass das „Modell“ in der Senatsverwaltung bekannt gewesen und mitunter auch in Bezirksjugendämtern auf Akzeptanz gestoßen sei. Und es gebe zudem „deutliche Hinweise“ auf bundesweite Zusammenhänge. Das Gutachten empfiehlt deshalb, auch eine bundesweite Aufklärung in Gang zu setzen.

Die höchste für Jungen zuständige Ministerin in Deutschland, Bundesjugendministerin Franziska Giffey (SPD), hat auf eine schriftliche Frage von MdB Beatrix von Storch (AfD) an die Bundesregierung, ob diese Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des „Kentler-Experiments“ plane, initiiere oder unterstütze, durch die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks (SPD) eine abschlägige Antwort erteilt: „Die Bundesregierung plant, initiiert oder unterstützt derzeit keine Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des sog. ‚Kentler-Experimentes‘.“

Das überrascht, denn 2018 forderte die Bundesjugendministerin Giffey bezüglich des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche: „Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Aufarbeitung in der Kirche“, und 2019 erwartete sie, „dass die Kirchen konsequent weiterarbeiten – an der Aufarbeitung der Fälle, der Entschädigung der Opfer und der Frage, wie die Täter zur Verantwortung gezogen werden“.

Das führt unweigerlich zu einigen Fragen, die Journalisten und Missbrauchsbeauftragte offenbar nicht zu stellen wagen. Deshalb möchten wir im Rahmen unserer Initiative „Unsichtbarmachen männlicher Gewaltopfer sichtbar machen“ in einem offenen Brief an die für Jungen zuständige Ministerin diesen Fragen nachgehen.

Offener Brief an Jugendministerin Giffey vom 24.11.2020

Sehr geehrte Frau Ministerin,

beim „Kentler-Experiment“ wurden in Berlin seit dem Ende der 1960er Jahre bis 2001 Jungen von Jugendämtern an vorbestrafte Pädophile vermittelt, wo diese dann missbraucht wurden. Der Pädagoge Helmut Kentler gehörte zu den Befürwortern einer „emanzipatorischen“ Jugendarbeit und setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein, weil er es für heilsam hielt, wenn „schwer erziehbare“ Jungen bei vorbestraften Pädophilen untergebracht würden. Ein Gutachten eines Forschungsteams der Universität Hildesheim hat bestätigt, dass es sich bei der Vermittlung an die von Kentler empfohlenen Pflegestellen um „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“ handelte. Die Verantwortung für die Verbrechen liege „eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr“.

Laut Wolfgang Schröer von der Uni Hildesheim, der das Gutachten führend betreute, handelte es sich bei dem „Kentler-Experiment“ um ein „Netzwerk von Akteuren“, das geduldet worden sei. Zeitzeugen hätten bestätigt, dass das „Modell“ in der Senatsverwaltung bekannt gewesen und mitunter auch in Bezirksjugendämtern auf Akzeptanz gestoßen sei. Und es gebe zudem „deutliche Hinweise“ auf bundesweite Zusammenhänge. Das Gutachten empfiehlt deshalb, auch eine bundesweite Aufklärung in Gang zu setzen.

Wie wir erfahren haben, hat Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks (SPD) auf eine schriftliche Frage von MdB Beatrix von Storch (AfD) an die Bundesregierung (6/373), ob diese Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des „Kentler-Experiments“ plane, initiiere oder unterstütze, jedoch eine negative Antwort erteilt: „Die Bundesregierung plant, initiiert oder unterstützt derzeit keine Studien bzw. Projekte zur Aufklärung des sog. ‚Kentler-Experimentes‘.“

Das überrascht, denn 2018 forderten Sie bezüglich des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche „Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Aufarbeitung in der Kirche“ und 2019 erwarteten Sie, „dass die Kirchen konsequent weiterarbeiten – an der Aufarbeitung der Fälle, der Entschädigung der Opfer und der Frage, wie die Täter zur Verantwortung gezogen werden“.

Dass die höchste in Deutschland für Jungen zuständige Ministerin bei der Aufklärung eines der größten Kindermissbrauchsskandale der Nachkriegsgeschichte untätig bleibt, wirft einige Fragen auf, denen wir im Rahmen unserer Initiative „Unsichtbarmachen männlicher Gewaltopfer sichtbar machen“ nachgehen und deshalb an Sie als oberste für Jungen zuständige Ministerin stellen möchten:

  1. Bei den Missbrauchsopfern handelt sich u. W. ausschließlich um Jungen. In der von Ihrem Ministerium gerade veröffentlichten Publikation „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer in Deutschland – Ein Dossier zur partnerschaftlichen Gleichstellungspolitik“ wird unter dem Arbeitsziel „Jungen und Männer werden in ihrer Verletzlichkeit ernst(er) genommen“ als Maßnahme explizit die „Nachsorge/Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“ genannt. Zudem wollten Sie doch mit Ihrer Initiative „Stärker als Gewalt“ die Sensibilisierung und Aufklärung sexualisierter Gewalt vorantreiben. In der Praxis weigert sich aber Ihr Ministerium, die Aufklärung beim Kentler-Skandal zu unterstützen. Wie bringen Sie die Untätigkeit Ihres Ministeriums bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch bei Jungen als Missbrauchsopfern mit den vorgenannten Versprechen und Ihrem geschlechterpolitischen Ansatz des Gender Mainstreaming in Kohärenz?
  2. Die „emanzipatorische“ Jugendarbeit, deren Anhänger Kentler war, ist eine der Grundlagen für die Jungenpolitik des BMFSFJ, das z. B. noch 2011 in seiner Dokumentation des Fachforums „Anerkennung außerschulischer Bildung“ durch Vertreter des Deutschen Jugendinstituts (DJI) explizit auf Helmut Kentler verwies. Wird auf Basis dieses Missbrauchsskandals die Jungenpolitik Ihres Ministeriums kritisch reflektiert und, wenn ja, sollen dabei auch Empathiedefizite gegenüber Jungen eruiert werden?

Über eine Rückantwort würden wir uns freuen.

Bild: shutterstock, 770223718

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Lesermeinungen

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