Internationaler Männertag 19. November 23
Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Klein, Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis (Köln), Experte für Männerpsychologie, Geschlechtsrollen und Förderung der psychischen Gesundheit bei Jungen und Männern (Internationaler Männertag vom 19. November 2023).
Suizide bei Männern: die verborgene Epidemie
Jährlich begehen mindestens 425.000 Männer weltweit Suizid. In Deutschland sind es mehr als 6.000 Männer jährlich. Ein Großteil dieser Suizide geschieht aus Verzweiflung, Einsamkeit und im Kontext einer Depression. Oft werden depressive Gefühle bei Männern nicht ernst genommen. „Stell Dich nicht so an!“, „Sei nicht so empfindlich!“, „Lass Dich nicht so hängen!“ oder ähnliche Äußerungen sind dann zu hören. Was diese Männer jedoch bräuchten, wäre ein tieferes Verständnis, oft auch eine Psychotherapie. Aber auch die betroffenen Männer selbst nehmen ihre depressiven Stimmungen oft nicht ernst genug, schämen sich, mit anderen darüber zu sprechen oder ziehen sich mehr und mehr zurück. Besonders nach einer nicht einvernehmlichen Trennung steigt das Suizidrisiko bei Männern deutlich an. Es ist bis zu sechsmal höher als bei Frauen nach einer Trennung.
Internationaler Männertag am 19. November: Die hohe Suizidrate bei Männern senken!
Es gibt aber auch emotionale und affektive Probleme anderer Art, die Männern zusetzen: Sorgen, Kummer, Ängste oder andere intensive Gefühle können Männer bedrängen und in suizidale Krisen bringen. Eine Botschaft an Männer und unter Männern sollte lauten: Lasst uns mehr über diese Gefühle sprechen und sie miteinander teilen! (siehe z. B. hier). Deshalb hat auch der Internationale Männertag, der jedes Jahr am 19. November begangen wird, in diesem Jahr das Thema „Männer und Suizid“ zum Leitthema gemacht mit dem Ziel, mehr Bewusstsein bei Männern, Frauen und Fachkräften für das Thema zu erlangen und die verborgene Epidemie der Suizide von Männern in die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu bringen.
Depression und Suizid bei Männern: In Medien und Politik nicht präsent
Die Depressionsforschung hat zu lange die männerspezifischen Formen dieser Erkrankung übersehen. Dass sich Depression neben den allgemeinen Symptomen wie negativem Denken, Antriebslosigkeit und Verzweiflung besonders bei Männern auch in Gereiztheit, Aggressivität, Konzentrationsproblemen, Rückzug und Vereinsamung äußern kann, ist zu lange negiert worden (vgl. hier). Die besonders hohe Suizidquote von Männern – dreimal mehr Männer als Frauen begehen einen Suizid – war bisher für Politik und Gesellschaft nicht Anlass genug, sich dem Problem zu stellen.
Suizide bei Männern – auch ein Problem für Frauen
Die hohe Suizidquote bei Männern betrifft natürlich auch Frauen, als Müttern, Partnerinnen, Schwestern und Töchter. Der plötzliche Selbstmord eines sehr nahestehenden Menschen erzeugt tiefe Spuren von Trauer, Verletzung und oft auch Schuld- und Verlassenheitsgefühlen. Hinterbliebene Frauen brauchen daher zeitnahe Hilfen zur Bewältigung ihres Schmerzes – und oft auch ihrer Traumatisierung. Wenn Frauen den Eindruck haben, dass ein ihnen nahestehender Mann (Partner, Sohn usw.) zunehmend unerreichbar und in extremer Weise verschlossen wird, lassen Sie sich beraten und versuchen Sie, ihn zu motivieren, sich Hilfe zu holen.
Hintergründe der hohen Suizidquote bei Männern
In einer australischen Studie zu Männersuizid wurden 251 suizidale Männer nach ihren Gefühlen und Motiven befragt. Mit 74% tauchten am häufigsten die Wörter „wertlos“ oder „nutzlos“ auf. Diese Männer haben ein tiefes existentielles Gefühl der Sinn- und Wertlosigkeit ihres Lebens. Dies hängt oft damit zusammen, dass sie den eigenen Anforderungen an Partnerschaft, Familie, aber auch Arbeitswelt nicht gerecht zu werden glauben. Aber allzu oft werden genau diese überzogenen Erwartungen auch an sie gestellt. Solange sie funktionieren, werden sie toleriert und irgendwie akzeptiert. Wenn sie dies nicht mehr tun, fallen sie schnell durch ein unsichtbares Raster ins Bodenlose. Von Suizidgefahr besonders betroffen sind Männer ohne Erfolg bei Frauen und in der Arbeitswelt. Um die Suizidgefahr abzuwenden, brauchen Männer frühzeitige Ansprache und Hilfen. Besonders wichtig sind die Förderung des Selbstwertgefühls und eines positiven Lebenssinns.
Abwertung und Nicht-Akzeptanz als gesellschaftliche Grundstimmung
Oft fühlen sich Männer heutzutage nicht mehr respektiert und ernst genommen. In der Medienwelt werden sie immer wieder verunglimpft, alleine schon, weil sie Männer sind oder ein vermeintliches toxisches Verhalten zeigen. Männlichkeit wird automatisch negativ bewertet, so dass viele Männer den Schluss ziehen müssen, sie seien nicht wertvoll, es sei denn sie passten sich dem Veränderungsdruck an. Dies wollen aber viele einfach nicht. All dies erzeugt für Männer ein Klima der Nicht-Akzeptanz und der Abwertung ihres Mannseins. Sie empfinden sich nicht akzeptiert und respektlos behandelt.
Das traditionelle Männerbild hat sich verändert. Dies bietet Chancen und Risiken. Aber gerade männliche Kinder und Jugendliche erleben das Männerbild nur noch als negativ und haben keine positiven Identifikationschancen. Männer bilden schon jetzt ein Bildungsprekariat (10% weniger Jungen als Mädchen erreichen in Deutschland das Abitur!). Diese Tendenz setzt sich ungebremst fort. Der US-amerikanische Comedian Chris Rock formulierte die Situation der Männer heutzutage sinngemäß so: „Frauen, Kinder und Hunde werden bedingungslos geliebt und gewertschätzt, Männer nur, wenn sie für die Genannten sorgen!“.
Prävention und Hilfen
Ein Großteil der vollendeten Suizide aus dem Gefühl der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit ließe sich verhindern. Eine Studie aus England des Männerexperten Dr. John Barry hat gezeigt, dass über die Hälfte der Männer, die später Suizid begangen haben, vorher auf der Suche nach Hilfe waren, diese aber nicht bekommen haben. Oft weil die Berater und Therapeuten die Suizidgefahr nicht erkannt oder nicht ernst genug genommen haben. Auch eine proaktive Ansprache von Suzidalität ist zu oft unterblieben. Es geht darum, den vereinsamten, verzweifelten Männern, die sich wert- und nutzlos fühlen zu helfen, wieder ins Leben zu finden. Dies sollte dann ein anderes Leben als ihr bisheriges sein.
Was ist zu tun?
Um die hohe Suizidquote bei Männern zu senken, muss auf allen gesellschaftlichen Ebenen ein Umdenken geschehen. Wenn Sie daran mitwirken wollen, setzen Sie doch den einen oder anderen Punkt der folgenden Hinweise um:
Reflektieren Sie Ihr eigenes Männerbild! Überfordern Sie sich oder haben Sie genug Wertschätzung und Mitgefühl mit sich? Können Sie anderen Männern darin ein Vorbild sein?
Reden Sie mit anderen Männern, gerade solchen, die wenig Respekt und Wertschätzung erfahren! Manchmal genügen schon ein wenig Solidarität und Empathie, um zu helfen.
Informieren Sie andere -Männer und Frauen – über die verborgene Epidemie von Suiziden bei Männern! Die meisten Menschen wissen nichts davon. Ein erhöhtes Wissen um die Probleme und Hintergründe in der Öffentlichkeit kann helfen, Suizide zu verhindern.
Wenn Sie eine Fachkraft in Prävention, Beratung oder Therapie sind, gehen Sie mit dem Thema proaktiv um, wenn es Hinweise auf Gefährdung gibt, oder verweisen Sie an Kriseninterventionszentren! Sprechen Sie (junge) Männer darauf an, ob sie ein Problem mit Depressivität, negativen Gefühlen in Bezug auf sich selbst haben! Gefühle von Wert- und Nutzlosigkeit sind ernste Warnzeichen. Achten Sie insbesondere darauf, ob sich Jungen und Männer in Schleifen negativer Gedanken befinden, die mit der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens zu tun haben!
Weiterführendes:
Vater eines Sohnes, der sich suizidiert hat
Vaterlosigkeit und suizidale Tendenzen
Robert-Enke-Stiftung
Internationaler Männertag
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.