Der Fernfahrerberuf als Männerausbeutung
Fernfahrer – Lange Arbeitszeiten, wenig Vereinbarkeit von Familie und Beruf, schlechte Bezahlung trotz verantwortungsvollem Job, fehlende Gesundheitsversorgung, schlechte Arbeitsbedingungen – laut frauenpolitischem Dogma müsste dies ein typischer Frauenberuf sein. Ist es aber nicht. Der Beruf des Fernfahrers ist ein typischer Männerberuf. Im Jahr 2020 betrug die Quote der weiblichen Berufskraftfahrer in Deutschland laut Statista „Frauenanteil bei den Berufskraftfahrern in Deutschland 2020“ vom Februar 2022 lediglich rund 2 Prozent.
Die Angst vor der Wahrheit
Erinnern Sie sich noch, als vor wenigen Monaten die Medien, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen, kübelweise Häme wegen der dortigen Lieferengpässe über Großbritannien ausgossen? Die taz schrieb vom Brexit Blues (Abruf 16.3.22), die Framing-Truppe der ARD (Abruf 16.3.22) fragte amüsiert und selbstgefällig nach der Lust auf Laster. Mittlerweile gibt es Lieferengpässe (Abruf 16.3.2) auch bei uns.
Damals war es der böse Brexit, heute ist es der böse Russe. Beides ist so nicht richtig. Brexit und Ukraine-Krieg zeigen bei den Lieferengpässen nur die Ursachen, die ganz woanders liegen, nämlich im Gender Empathy Gap zuungunsten der Männer.
Warum die Lieferengpässe?
Die Lieferengpässe entstehen vorrangig durch einen Mangel an Fernfahrern und dieser entsteht wiederum dadurch, dass unter den Fernfahrern ein sehr hoher Anteil ausländischer Fahrer ist. Das wirkte sich schon früh auf den Fernfahrermarkt in Großbritannien wegen der strengeren Einwanderungsregeln aufgrund des Brexits aus. Und nun fehlen aufgrund des Ukraine-Krieges auch in der EU die Lkw-Fahrer aus der Ukraine, weil diese, wie fast alle Männer dort, für diesen Krieg zwangsverpflichtet wurden. Allein in Deutschland droht nach Bericht des mdr (Abruf 16.3.2022) der Wegfall von 104.000 ukrainischen Lkw-Fahrern.
Aber warum gibt es so viele ausländische Fernfahrer?
Prekarisierung des Fernfahrerberufes
Das liegt an der Prekarisierung des Fernfahrerberufes. Der Durchschnittsverdienst bei Lkw-Fahrern lag laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 bei 14,21 Euro die Stunde. Der durchschnittliche Stundenverdienst für Fachkräfte lag im gleichen Jahr dagegen bei 19,97 Euro brutto, für Angelernte bei 16,02 Euro. Im Monat bekamen Lkw-Fahrer durchschnittlich 2.623 Euro brutto, Beschäftigte mit vergleichbarer Ausbildung und Berufserfahrung dagegen 3.286 Euro. (Quelle: ZDF, 16.3.22) Und schlechte Arbeitsbedingungen bei schlechter Bezahlung sind bei uns Magnete für Leute, die in ärmeren Ländern noch schlechter verdienen würden.
Und schließlich kommen wir damit zu der eigentlichen Ursachenfrage: Warum sind die Arbeitsbedingungen so schlecht und die Gehälter so gering?
Frauen schützt man, Männer benutzt man
Verdi ist eine Gewerkschaft, die unter anderem für Erzieherberufe und Fernfahrerberufe zuständig ist. Gibt man in eine bekannte Suchmaschine (Abruf 16.3.2022) die Begriffe „Verdi Erzieherin“ ein, erhält man 406.000 Ergebnisse. Gibt man die Begriffe „Verdi Fernfahrer“ ein, erhält man lediglich 14.500. (Stand 16.3.22) Das ist ein Verhältnis von 28 zu 1. Diese Vernachlässigung von Fernfahrern ist sachlich nicht gerechtfertigt, denn Berufskraftfahrer im Güterverkehr ist eine der größten Berufsgruppen überhaupt. 2020 gab es laut Institut der Deutschen Wirtschaft (Abruf 16.3.22) 562.526 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Berufskraftfahrer im Güterverkehr. 2021 gab es laut Destatis (Abruf 16.3.2) bundesweit dagegen „nur“ 452.750 Erzieherinnen.
Woher also dieses geringe Interesse an Kraftfahrern?
Das liegt daran, dass fast 100 Prozent der Kraftfahrer Männer sind, aber fast 100 Prozent der Erzieher Frauen. Und um das Wohlergehen der Frauen kümmert man sich, um das Wohlergehen der Männer nicht. Das ist der Gender Empathy Gap. Männer interessieren Politik und Gesellschaft nur insoweit, als diese für ihre Interessen benutzt werden können. Deshalb kommen Männer, in diesem Falle als Kraftfahrer, erst in den Blick, wenn diese nicht so funktionieren, wie sie sollen. Und sie funktionieren nicht so wie sie sollen, wenn sie nicht mehr in dem gewünschten Umfang als Fernfahrer zur Verfügung stehen.
Geld für ein altes Segelschiff, aber kein Geld für Fernfahrergesundheit
2013 plante man, ein Fernfahrergesundheitszentrum in Kassel zu errichten. MANNdat hat sich dabei engagiert. Siehe unseren Bericht dazu „MANNdat bei der Verdi-Veranstaltung zur Fernfahrergesundheit“:
„Berufskraftfahrer haben ein Vielfaches und im Vergleich zur sonstigen arbeitenden Bevölkerung signifikant erhöhtes Erkrankungs-, Verletzungs- und Sterblichkeitsrisiko. Sie weisen ein signifikant höheres Risiko für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als der Durchschnitt auf, werden häufiger krankgeschrieben und werden mindestens 1,4fach häufiger erwerbsunfähig. LKW- Fahrer haben wenig Bewegung während der Lenkzeiten und kommen oft nur zu einer unregelmäßigen Nahrungsaufnahme. In einer Studie der Hochschule Furtwangen gaben alle befragten Fahrer an, dass es nicht möglich sei, auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu achten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie eine um das Doppelte erhöhte Überrepräsentanz bei Adipositas aufweisen.
Eine Ursache für diesen Gesundheitszustand der Berufskraftfahrer, gerade im Gütertransportgewerbe, sind die hohen spezifischen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind. Für Fernfahrer sind dabei die Belastungen am höchsten. Die wichtigsten sind:
- Psychomentale Stressoren durch Zeitdruck, Wartezeiten in der Logistikkette und die Anforderung an eine erhöhte Aufmerksamkeit durch die immer stärkere Verkehrsdichte und ein schlechtes Berufsbild der Berufskraftfahrer in der Öffentlichkeit;
- Psychosoziale Faktoren durch Isolation am Arbeitsplatz und in den Ruhepausen, Abwesenheit von der Familie und dem Bekannten- und Freundeskreis, verbunden mit unzulänglichen Rahmenbedingungen während der vorgeschriebenen Ruhezeiten auf Autobahnen;
- Umweltfaktoren wie Autolärm, Hitze oder Abgase während der Schlafpausen auf Autobahnen und schließlich
- Körperliche Belastungen durch Lastentransport und Bewegungsmangel während der Fahrtätigkeit.
In der schon erwähnten Studie der Hochschule Furtwangen gaben über 63% der befragten Berufskraftfahrer an, dass sie mehr als 50 Stunden in der Woche arbeiten. Noch ein Drittel aller Befragten gab an, mehr als 60 Stunden pro Woche zu arbeiten.“
Aus dem Fernfahrergesundheitszentrum ist nichts geworden. Dafür hat man kein Geld ausgegeben. Die Fernfahrer suchen Trost im Alkohol.
Als die mit 135 Millionen Euro sanierte Gorch Fock wieder in See stach, meinte die damalige Quotenfrau auf dem Verteidigungsministerposten Kramp-Karrenbauer (CDU), Deutschland sei ein reiches Land, „das können wir uns und das sollten wir uns auch leisten.“ Eine bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen für Fernfahrer könnten wir uns auch leisten, aber das will die Politik nicht. Auch daran, für wen man sich etwas leisten will und für wen nicht, zeigt sich der Gender Empathy Gap.
Die Zeche für den Wohlstand zahlt der Mann
Die politisch Verantwortlichen verhalten sich deshalb so, wie man es erwartet, wenn man Männer nur als Gebrauchsartikel sieht. Das sah man bei den Corona-Lockdowns 2020.
Anstatt die Arbeitsbedingungen und Gehälter zu verbessern und sich um die Gesundheit der Fernfahrer zu sorgen, um damit die Attraktivität des Berufes zu erhöhen, wurden die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer wegen Corona 2020 auf doppelte Weise verschlechtert. So wurden die Rastplätze wegen Corona geschlossen. Die Fernfahrer konnten sich damit nicht mehr regelmäßig in der Woche duschen oder was Warmes zum Essen kaufen. Gleichzeitig haben die Verkehrsministerien in ganz Europa das geltende EU-Recht, die „Sozialvorschriften im Straßenverkehr“, schon 2020 für Corona aufgeweicht.
Laut Eurotransport.de lockerte Großbritannien für besonders wichtige Transporte (Lebensmittel, persönliche Hygiene, medizinische Produkte) Regelungen zur Lenk- und Ruhezeit. Belgien, Bulgarien, Polen, Niederlande, Irland und Österreich erhöhten die Lenkzeit. Dänemark setzte die Regeln zur wöchentlichen Ruhezeit aus. Norwegen vereinfachte die Regeln zur Lenk- und Ruhezeit radikal. Und Deutschland erhöhte die Lenkzeit und verkürzte die Ruhe Zeit für die Beförderung von Waren des täglichen Bedarfes, insbesondere Lebens- und Futtermittel, zwischen Produktions-, Lager-, und Verkaufsstätten, Güter zur medizinischen Versorgung sowie zur Eingrenzung, Bekämpfung und Bewältigung der SARS-CoV-2-Pandemie und Treibstoffen.
Während diese Lockerungen darauf abzielten, die Versorgungsprobleme auf dem Markt zu minimieren, wurde der Druck auf die Fernfahrer erhöht. Sie mussten länger arbeiten und bekamen weniger Ruhezeit. Wir halten das für Männerausbeutung.
Aber das Beste kommt noch. Eurotransport.de weist noch darauf hin:
„Achtung: Diese Flexibilisierung entbindet allerdings die Fahrer nicht von ihrer ständigen Verantwortung aus der Straßenverkehrsverordnung, ein Fahrzeug weiterhin sicher zu lenken. Trotz dieser befristeten Ausnahme sind sie jederzeit für ihr Handeln voll verantwortlich, sollte es aus Übermüdung zu einem Unfall kommen!“
Das heißt, wenn es dann zu einem Unfall kommen würde, weil die Sozialvorschriften für die Lkw-Fahrer verschlechtert werden, wird den Lkw-Fahren die ganze Schuld zugeschoben und nicht etwa den dafür politisch verantwortlichen Männerbenutzern. Die Zeche zahlt der Fernfahrer.
Unsere Gesellschaft macht es Politikern leicht, männerfeindlich zu sein
In den Anfangszeiten von Corona gab es in den Medien regemäßig Meldungen, dass es die Frauen wären, die in der Krise die Gesellschaft am Laufen halten würden. Von Männern, wie den Lkw-Fahrern, war nicht die Rede. Zu dieser Zeit gab es wegen Grenzschließungen über Tage hinweg kilometerlange Schlangen von Lastzügen mit den zugehörigen prekären Situationen, ohne Toiletten, ohne reguläre Möglichkeit, sich Essen und Trinken zu beschaffen. Betroffen waren die Leute wegen den leeren Regalen. Die Fahrer waren ihnen egal. In einer solchen Gesellschaft hat es die Politik leicht, männliche Opfer von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung zu marginalisieren.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.
Lesermeinungen
Schreiben Sie einen Kommentar
Bitte beachten Sie, dass Kommentare mindestens 5 und höchstens 1500 Zeichen haben dürfen.
Zitate können mit <blockquote> ... </blockquote> gekennzeichnet werden.
Achtung: Wenn Sie einen Kommentar von einem Smartphone verschicken, wird der Text manchmal von der Autofill-Funktion des Smartphones durch die Adresse ersetzt. Wenn Sie den Kommentar absenden, können wir den originalen Text nicht wiederherstellen.
Gut, dass es endlich mal gesagt wird. Zu erwähnen wäre noch der grenzenlose Hass, der gegen Fahrer gepredigt wird. Feministen hassen Lastwagen und Männer als Fahrer, weil Brummis stark sind und Nicht-Feministen hassen die Fahrer, weil sie wegen den Brummis kurz mal von 200km/h auf 80 km/h abbremsen müssen. Fahrer kriegen es von allen Seiten. Die Polizei tobt sich auch aus: Die Fahrer sind für die Polizei schlimmer als Schwerverbrecher. Hohe Bußgelder, radikale Vorgehensweise bei Kontrollen, […]
Zu hoch dürfte der Monatslohn angegeben sein. Bei über 60 Stunden wöchentlich würde ich den Lohn bei 8-10 Euro/Stunde schätzen. Besonders kleine Unternehmer, die als Sub-Unternehmer der Großen ackern, zahlen schlecht. Große Speditionen besitzen selten eigene Laste, alles Sub und Preiskampf ohne Gnade.
[ Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke. Die Redaktion ]
Ich habe schon immer großen Respekt vor den Fernfahrern und freue mich sehr über diesen tollen, aufschlussreichen Bericht.
Weiter so, Manndat !
Danke für diesen Beitrag!
Sehr guter Beitrag, der den unverstellten Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse richtet.
Wie weit hier Realität und Vorstellung auseinander klaffen, zeigen Sendungen wie „Trucker Babes“ auf Kabel Eins, in der Frauen der „Männerdomäne“ so richtig zeigen, wie das alles hinhaut. Zwei Prozent sind das also in Wirklichkeit nur (nicht dass das ernsthaft überraschen könnte), und das obwohl die Werbesendung zu diesem Traumberuf für Frauen seit fast fünf Jahren läuft.
„The sun always shines on TV“, ach ja …
Ja, Sendungen wie Trucker Babies sind da krasse Ironie.
Und da kommt so ein Spinner daher, dass Männer der Gesellschaft so viel kosten, weil sie so viel mehr Verkehrsunfälle produzieren. Und dieser Typ wird noch nicht mal belächelt oder gebührend ignoriert, sondern macht cash und wird in Fernsehshows eingeladen…
„Zwei Prozent sind das also in Wirklichkeit nur (nicht dass das ernsthaft überraschen könnte), und das obwohl die Werbesendung zu diesem Traumberuf für Frauen seit fast fünf Jahren läuft.“ Wenn du Trucker Babes geschaut hast, müsstest du das eigentlich wissen. Wird immer am anfang der Sendung gesagt, Nur dass Kabel 1 von 4% spricht ;)
So unrealistisch sehe ich die Sendung dennoch nicht, mit weiblichen Fahrerinnen wird viel besser umgegangen und die meisten (Männer) freuen sich, wenn sie mal eine Frau sehen und nicht nur Männer, sondern auch mal was hübsches zum Gucken.
Sehr guter Beitrag!
Vielen Dank für diesen hervorragenden Beitrag.
Sensibilisiert für ein Thema, das ich so nicht auf dem Schirm hatte.