Interview mit einer Gleichstellungsbeauftragten
Gleichstellungsbeauftragte kümmern sich um Frauen und Mädchen. Für die Probleme von Jungen und Männern interessieren sie sich meistens nicht. So die landläufige, leider nur allzu oft zutreffende Meinung in der Bevölkerung über Gleichstellungsbeauftragte. Monika Dittmer, Gleichstellungsbeauftragte der niedersächsischen Stadt Goslar, ist die große Ausnahme: Sie steht für Dialogbereitschaft zwischen den Geschlechtern und hat für die Probleme von Jungen und Männern ein offenes Ohr. MANNdat hat sie interviewt und zu ihrer Motivation und ihren Ansichten befragt. Lesen Sie hier den ersten Teil unseres Interviews mit ihr.
MANNdat im Gespräch mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Goslar, Monika Dittmer
TEIL 1
Thema: Gleichstellungspolitik- Frauenpolitik und Männerpolitik?
Feminismus ist out und das altbekannte Denken in Kategorien des „Geschlechterkriegs“ passé. Es bedarf einer Geschlechterpolitik, die von gegenseitigem Respekt und von Dialogbereitschaft geprägt ist.
Eine der modernen Gleichstellungsbeauftragten, die für diese Dialogbereitschaft steht und für die Probleme von Jungen und Männern ein offenes Ohr hat, ist Monika Dittmer, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar und Leiterin einer Kindertagesstätte. In einem Interview mit Bruno Köhler stellte sich Frau Dittmer unseren Fragen.
Bruno Köhler (MANNdat): Sehr geehrte Frau Dittmer, erstmal vielen Dank für die Bereitschaft zu diesem Dialog. Bei Gleichstellungsbeauftragten stoßen wir mit unseren Anliegen i.d.R. entweder auf Unverständnis oder man sagt uns, dass man sich um Jungen oder gar Männer nicht auch noch kümmern könne. Was ist Ihre Motivation, bewusst neue Wege zu gehen?
Monika Dittmer: Herr Köhler, sie sprechen von Dialog und das finde ich gut. Es ist an der Zeit, sich als emanzipierte, starke Frau auch männerkooperativ zu verhalten. Wir beide sprechen hier auf Augenhöhe miteinander. Die Gesellschaft ist im Wandel und mit ihr auch das, was wir unter Gleichstellungspolitik, Frauen- und Männerpolitik verstehen.
Meine Motivation? Ich bin frauenbewegt sozialisiert. Eine Bewegung, das Wort gibt es vor, ist in Bewegung. Wenn sie erstarrt, wird sie wohl eine Ideologie geworden sein. Frauenbewegung und Feminismus haben sich aus meiner Sicht voneinander entfernt. Nicht jede Frau ist frauenbewegt, nicht jede Feministin. Dennoch dominiert die feministische Idee scheinbar die ganze Frauenpolitik. Ich sage scheinbar, weil meine Berufserfahrungen mit Kolleginnen und Frauen vor Ort durchaus widersprüchlich sind. Es gibt Frauen, die sich klar von der feministischen Haltung distanzieren, weil sie sie überholt und überzogen finden.
Es fehlt der feministischen Seite an geschlechtsübergreifender Wertschätzung.
Als starke selbstbewusste Frau kann ich Kritik von Männern aushalten, ich bin auch in der Lage, Argumente geschlechtersensibel abzuwägen. Ich nehme Widersprüche wahr, wenn ich mich im Kreise von Gleichstellungsbeauftragten aufhalte und ihren Aussagen und Argumenten lausche. Mir kommt es so vor, als würde hier fast schon künstlich etwas aufrechterhalten, nur weil es nun einmal da ist. Ich bin der Meinung, wir brauchen einen neuen Arbeitsansatz in Gleichstellungsarbeit. Es kann nicht mehr der Auftrag von Gleichstellungsbeauftragten sein, ausschließlich frauenpolitische Ziele zu verfolgen. Die Situation von Frauen ist ja auch nicht mehr die von vor 30 oder 50 Jahren.
Die neue Gleichstellungsarbeit hält frauenpolitische und männerpolitische Ziele in der Balance. Das ist eine Aufwertung der Gleichstellungsarbeit und zieht konsequenterweise auch die Mitarbeit eines Gleichstellungsbeauftragten nach sich. Es heißt doch im Artikel 3 GG: „Männer und Frauen“. Davor sollten wir keine Angst haben, sondern es als eine Chance begreifen.
Bruno Köhler: Schade, dass viele Gleichstellungspolitikerinnen und -politiker diese Stelle des Grundgesetzes offensichtlich überlesen haben. Gleichstellungsämter sind in der Regel männersterile Zonen. Das hängt größtenteils daran, dass Gleichstellungsregelungen Männer oft aus dieser Arbeit einfach ausschließen. Was wäre hier notwendig?
Monika Dittmer: Sie haben ja ein tolles Wort gefunden: männersteril, das macht mich nachdenklich.
Ja, ich kenne Gleichstellungsbeauftragte, die Männer einfach ausblenden und in deren Büro sich nur der Hausmeister mal verirrt, weil er eine Glühbirne wechseln muss. Aber es sind auch viele Gleichstellungsbeauftragte unterwegs, die sich punktuell für männliche Anliegen geöffnet haben. Es gibt allerdings auch Kolleginnen, die seit 10 oder mehr Jahren auf einer solchen Stelle sitzen und denen es schwer fällt, alte Zöpfe abzuschneiden.
Dass eine Gleichstellungsbeauftragte nur eine Frau sein kann, halte ich für fragwürdig, auch wenn dies gesetzlich noch so formuliert ist. Gesetze müssen sich den Lebensrealitäten anpassen. Das Arbeitsgericht in Erfurt urteilte, ein Mann könne kein Gleichstellungsbeauftragter sein, da er sich in Frauen nicht hineinversetzen könnte. Ich kenne Männer, die viel Empathie für Frauen aufbringen und ich kenne Frauen, die viel Empathie für Männer aufbringen können. Dieser Arbeitsplatz könnte mal „gegendert“ werden. Ein gemischtes Doppel hätte doch durchaus seinen Reiz.
Wir Frauen haben Männer weitgehend ausgeschlossen, als wir unsere Rechte definierten. Diese Möglichkeit dürfen wir Männern nun nicht verweigern. Jungenarbeit ist Männersache, Männerbefreiung, Männeremanzipation ebenfalls. Das heißt für mich konsequenterweise Männer in die Gleichstellungsarbeit mit einzubeziehen, wenn wir es mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau wirklich ernst meinen.
Es könnten z.B. Genderteams gebildet werden. In vielen Arbeitsfeldern ist so ein Modell positiv eingefügt, etwa in der Mediation, oder im Rahmen der Bildung von Kindern.
Bruno Köhler: Die schwarz-gelbe Koalition hat ja eine neue Geschlechterpolitik für Jungen und Männer verkündet. Wo wären nach Ihrer Auffassung die wichtigsten Ansatzpunkte für eine Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer?
Monika Dittmer: Wer Gleichstellung konsequent weiterdenkt, der hilft auch Männern, wenn sie diskriminiert werden. Diskriminierung ist nicht weiblich, sondern menschlich. Wer denkt, Frauen könnten Männer nicht diskriminieren, belügt sich selbst.
Es gibt aus meiner Sicht mehrere Ansätze:
Die Debatte um das Thema „Häusliche Gewalt“ sollte gendergerecht aufbereitet werden. Derzeitig wird die Täterin wenig, das weibliche Opfer viel beachtet. Dem gegenüber wird das männliche Opfer wenig, aber der Täter viel beachtet. Da ist doch keine Balance in dieser Debatte und Betrachtungsweise. Der Aktionsplan der Bundesregierung „gegen Gewalt gegen Frauen“ blendet Männer als Opfer und Frauen als Täter aus. Darf man das kritisieren?
Ein weiterer Ansatz ist die Männerbewegung. Sie verdient genauso viel Aufmerksamkeit, wie es die Frauenbewegung vor Jahren hatte. Damals haben auch Männer die fordernden Frauen unterstützt. Warum sollten heute nicht auch Frauen für Männer tätig werden. Wir haben doch immer gesagt: nun macht mal, Jungs. Ich finde es heuchlerisch, sich als Frau nun abzuwenden. Ich werde Männer unterstützen, wenn sie mir von Benachteiligungen und Belastungen aus ihrem Lebensalltag berichten, warum auch nicht?
Ein dritter Ansatz ist im Bereich Bildung von Kindern. Der demografische Wandel macht jedes Kind, egal welchen Geschlechts, zu einem Juwel für unsere Gesellschaft. Wir brauchen gut gebildete Jungen und Mädchen nicht nur auf dem Arbeitsmarkt.
Mädchen sind gut ausgebildet. Toll! Dieses Recht steht aber auch einem Jungen zu. Es wäre nicht geschlechtersensibel, sich für die Mädchen zu freuen und die Jungs einfach im Stich zu lassen. Die Berufsbiografien sind unterschiedlich, das gilt es zur Kenntnis zu nehmen. Dieses Thema greift ja der neue Gleichstellungsbericht der Bundesregierung auf. Ich bin gespannt.
Und, wie bereits gesagt, ein Wandel in der Gleichstellungspolitik. Wir dürfen unter dieses Dach mit ruhigem Gewissen und Seite an Seite Frauenpolitik und Männerpolitik gleichberechtigt nebeneinander stellen. Ich finde, das fühlt sich gut und nachhaltig an.
Bruno Köhler: Sie befürworten also Männer, die ebenso wie Frauen ihre Rechte einfordern. Derzeit läuft eine Diffamierungskampagne gegen Personen und Einrichtungen, die Chancengleichheit für Jungen im Bildungswesen, Gleichberechtigung für Väter im Familienrecht oder die Beseitigung der Zwangsdienste für Männer fordern, indem man sie in die „rechte Ecke“ schiebt, um sich ihren sachlichen Argumenten nicht stellen zu müssen. Wie schätzen Sie den geschlechterpolitischen Diskurs ein?
Monika Dittmer: Mich hat diese Expertise sehr verärgert. Ich bin eine andere Diskussionskultur gewöhnt. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aussprechen lassen und bis zum Ende zuhören, über das Gesagte nachdenken, Kompromisse schließen, auch mal seine Meinung ändern können. Wir leben, Gott sei Dank, in einem freiheitlich demokratischen Land. Der Austausch von Meinungen und Argumenten auf allen möglichen Ebenen ist ein wesentliches Merkmal der Demokratie. Wo leben wir denn, dass eine andere Meinung nicht auszuhalten ist.
Wer die konsequente Weiterentwicklung der Geschlechterpolitik in die „rechte Ecke“ schieben will, hat wohl keine eigenen guten Argumente mehr auf Lager. Aber Achtung: Wer mit Dreck wirft, sollte sich seine eigenen Hände mal genauer anschauen!
Mein erster Eindruck aufgrund meiner Recherchen und Kontakte ist, dass es viele zutiefst betroffene Männer gibt. Ihre Ressourcen werden durch die einseitig frauenfördernde Gleichstellungsarbeit kaputtgemacht. Ihnen fehlen dadurch die Kraft und die Mittel, eine Männerbewegung voranzubringen.
Neue Ideen brauchen immer Zeit, um sich gegen alte, bequeme Denkweisen durchzusetzen. Aber ich bin überzeugt, dass die Zeit für eine Öffnung der Geschlechterpolitik gekommen ist. Der Dialog wird siegen.
Bruno Köhler: Mit dieser Zuversicht auf eine künftige zivilisiertere Diskussionskultur wollen wir das Gespräch für heute schließen. Vielen Dank. Wir freuen uns auf die Fortsetzung des Dialogs. Das nächste Mal wollen wir uns über Jungenförderung im Vorschulalter unterhalten.
Zur Person: Monika Dittmer besuchte die Fachoberschule Verwaltung und Rechtspflege, studierte an der FH Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Sie war in vielen sozialen Arbeitsfeldern tätig, von der Drogenarbeit über die Krankenhaussozialarbeit und die Müttergenesung bis hin zur Gleichstellungsarbeit.
Frau Dittmer war etliche Jahre auch als Pflegemutter tätig und lebte zeitweise mit bis zu neun Kindern unter einem Dach. Drei Töchter, ein Sohn, zwei Schwiegersöhne und ein Enkelkind motivieren sie, sich den aktuellen Fragen zur Gleichstellung von Mann und Frau ohne feministische Scheuklappen zu stellen.
Kontakt:
www.goslar.de/rathaus/gleichstellung.html
E-Mail: Gleichstellungsbeauftragte@goslar.de
Interessant auch ihr Blog unter
geschlechterdemokratie.wordpress.com
Stellungnahme von MANNdat bezüglich unserer Interviewpartner
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