Großer Bildungsrückstand bei jungen Männern in Skandinavien und OECD-weit
Die neue Regierung Finnlands besteht seit kurzem fast zu zwei Dritteln aus Frauen, in fast allen skandinavischen Staaten sind die Ministerpräsidenten weiblich – die hohe Priorität, die die Gleichberechtigung dort genieße, sei dafür ursächlich. MANNdat wollte wissen, inwieweit sich diese hohe Priorität der Gleichberechtigung auch im Bildungswesen auswirkt, zeigt sich doch in Deutschland – mit dem angeblich größeren allgemeinen Gender Gap –, dass die Jungen in der Schule zunehmend gegenüber den Mädchen zurückfallen. Das Ergebnis war ernüchternd – der Gender Education Gap ist zum Großteil in Skandinavien und in weiten Teilen der OECD zuungunsten junger Männer deutlich größer als in Deutschland.
Frauen an der politischen Spitze Skandinaviens
Viele Medien, wie etwa die Süddeutsche, waren angetan von der Überzahl relativ junger Frauen in der neuen Regierung Finnlands. In Finnland würden nun Frauen die Politik dominieren. Wie sowieso im Norden die Frauen an der Macht seien. „Eine 34-Jährige als Premierministerin – das ist kein Zufall. Skandinavien steht in Sachen Gleichberechtigung viel besser da als der Rest Europas.“
Regierung Finnland: 7 Männer, 12 Frauen: Frauenanteil 63,2 Prozent, Männeranteil: 36,8 Prozent Bundesregierung: 9 Männer, 7 Frauen: Frauenanteil 43,8 Prozent, Männeranteil: 56,3 Prozent
Schauen wir uns an, wie die Länder Skandinaviens Gleichberechtigung bei den Bildungschancen für Männer und Frauen umgesetzt haben. Den Bildungsergebnissen kommt bei der Beurteilung von Gleichberechtigung ein besonderer Rang zu, denn „ohne gute Bildung gibt es keinen Aufstieg“ (Angela Merkel 2008).
Die Bildungsabschlüsse im Norden
Die OECD gibt jährlich eine Studie „Bildung auf einen Blick“ („Education at a Glance“) heraus. Diese Studien weisen aus, dass OECD-weit das Niveau der Bildungsabschlüsse bei den Männern im Durchschnitt deutlich niedriger liegt als bei den Frauen, vor allem in den glorifizierten nordischen Ländern Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark.
Diese Bildungsungleichgewichte machen wir anhand einiger selbsterstellter Diagramme deutlich. Grundlage sind die allgemein zugänglichen Daten des OECD-Berichtes 2019. Da es sich um eine länderübergreifende Betrachtung handelt, werden die allgemeinen Bezeichnungen des OECD-Berichtes Sekundarbereich II und Tertiärbereich für die Bildungsbereiche beibehalten: Der Sekundarbereich II umfasst in Deutschland die gymnasiale Oberstufe, die berufliche Vollzeitschule und das duale Ausbildungssystem, der Tertiärbereich umfasst im Wesentlichen Unis und Fachhochschulen.
„Ein Abschluss im Sekundarbereich II ist für Jugendliche ein wichtiger Schritt für einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Für Menschen ohne diesen Abschluss besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, erwerbslos zu sein […] und ein geringeres Einkommen zu haben […], als für Menschen mit einem solchen (oder höheren) Abschluss.“ (Bildung auf einen Blick 2019, S. 35).
„Die Beschäftigungsquoten von Absolventen des Tertiärbereichs sind rund 9 Prozentpunkte höher als die derjenigen, die nur über einen Abschluss im Sekundarbereich II verfügen, und auch ihre Erwerbseinkommen sind im Durschnitt 57 % höher. Absolventen des Tertiärbereichs haben auch eher eine gute Gesundheit, leben umweltbewusst oder nehmen am öffentlichen Leben teil.“ (Bildung auf einen Blick 2019, S. 11).
Demgemäß stellen die Diagramme, nach Geschlecht aufgeschlüsselt und in verschiedenen Sortierungen, die Quoten 25- bis 34-jähriger Männer und Frauen ohne einen Abschluss im Sekundarbereich II dar als auch die mit einem Abschluss im Tertiärbereich. Aufgenommen sind 26 europäische Länder sowie Kanada und die USA.
Skandinavien im Vergleich zu Deutschland
Kein Abschluss im Sekundarbereich II
Die nordischen Länder weisen im Vergleich zu Deutschland einen größeren Anteil Männer ohne Abschluss im Sek. II auf (Ausnahme: Finnland). Der Männeranteil Anteil (ohne Finnland) liegt um 29 bis 70 Prozent (Island) über dem der Frauen, im Gegensatz zu 12 Prozent in Deutschland. Der Geschlechterunterschied ist somit knapp 2,5- bis knapp 6-mal größer als in Deutschland!
Diagramm D.1: Anteil 25- bis 34-Jähriger ohne Abschluss Sek. II nach Geschlecht, nur Skandinavien und Deutschland, absteigend sortiert nach Anteil der 25- bis 34-jährigen Männer ohne Abschluss Sek. II. Die Länder mit dem geringeren Bildungserfolg für Männer stehen somit vorne:
Abschluss im Tertiärbereich
Die nordischen Länder weisen im Vergleich zu Deutschland einen weitaus höheren Anteil Frauen mit Abschluss im Tertiärbereich auf, auffallend ist das gleichmäßige, hohe Niveau von ca. 56 Prozent. Der Anteil Männer mit Abschluss im Tertiärbereich ist zwar ebenfalls größer als in Deutschland, der Frauenanteil liegt aber durchweg um 36 bis 48 Prozent über dem der Männer, im Gegensatz zu 8 Prozent in Deutschland. Der Geschlechterunterschied ist somit 4,5- bis 6-mal größer als in Deutschland!
Diagramm D.2: Anteil 25- bis 34-Jähriger mit Abschluss im Tertiärbereich nach Geschlecht, nur Skandinavien und Deutschland, absteigend sortiert nach Anteil der 25- bis 34-jährigen Männer mit Abschluss Tertiärbereich. Die Länder mit dem größeren Bildungserfolg für Männer stehen somit vorne:
Das Education Gap ist in Skandinavien also entschieden größer; die Bildungschancen sind nicht angeglichen, sondern Männer fallen deutlich stärker zurück als in Deutschland.
Skandinavien, Deutschland und weitere 22 OECD-Länder
Kein Abschluss im Sekundarbereich II
Erweitert man den Blick auf die OECD, sieht man anhand Diagramm D.3, dass die nordischen Länder beim Anteil Männer ohne Abschluss Sek. II in der Sortierung relativ weit vorne liegen, also bei den Männern vergleichsweise schlecht dastehen. Deutschland liegt etwa in der Mitte, Finnland stellt sich etwas besser.
Abschluss im Tertiärbereich
Ähnlich weit vorne liegen die nordischen Länder in Diagramm D.4 beim Anteil Frauen mit Abschluss im Tertiärbereich, Frauen sind dort also vergleichsweise erfolgreich. Ein vergleichsweise großer Bildungserfolg für Frauen geht so einher mit einem vergleichsweise geringen Bildungserfolg für Männer. Beim Anteil Frauen mit hohem Bildungsabschluss liegt Deutschland hinten.
Bei dem Anteil Männer mit Abschluss im Tertiärbereich (Diagramm D.5) liegen die nordischen Länder nur eher im Mittelfeld, Deutschland allerdings noch deutlich dahinter.
Finnland fällt insgesamt etwas heraus: Der Anteil Männer mit geringerem Bildungsabschluss ist dort kleiner und die Frauen mit hohem Bildungsabschluss erreichen nicht den hohen Wert der anderen nordischen Länder. Andererseits ist der Anteil Männer mit hohem Bildungsabschluss dort ebenfalls nicht so groß.
Diagramm D.5: Darstellung wie D.4, aber Sortierung nach Männer Tertiärbereich:
Der Geschlechterunterschied beim Abschluss im Tertiärbereich
Die OECD-weite Rangfolge im Geschlechterunterschied beim Abschluss im Tertiärbereich (Diagramm D.6) zeigt den gravierenden Vorsprung junger Frauen. Er reicht in Lettland und Slowenien knapp an 80 Prozent heran, um so viel ist der Anteil der Frauen dort größer als der der Männer. Die nordischen Länder liegen etwa in der Mitte, Finnland weiter vorne – der Geschlechterunterschied ist dort größer. In Deutschland sind dabei Männer und Frauen am wenigsten ungleich verteilt (der Frauenanteil ist um 8 Prozent größer als der der Männer).
Diagramm D.6: Bildungsvorteil junger Frauen in den OECD-Ländern: Vorsprung des Anteils 25- bis 34-jähriger Frauen mit einem Abschluss im Tertiärbereich bezogen auf den der Männer, in Prozent:
Es lässt sich also feststellen, dass in den skandinavischen Ländern bei den Bildungsabschlüssen Männer gegenüber Frauen deutlich benachteiligt sind und von gleichen Bildungschancen nicht die Rede sein kann.
Die Veränderungen zwischen 2008 und 2018
Bei den Veränderungen über die letzten 10 Jahre (Diagramme D.7 und D.8 über Hyperlink) ist die positive Entwicklung bei den Männern in Skandinavien (abgesehen von Island) im Vergleich zu den anderen betrachteten OECD-Ländern unterdurchschnittlich. Im Durchschnitt aller betrachteten OECD-Länder haben sich die Anteile der Männer bei den Bildungsabschlüssen weniger gut entwickelt als die der Frauen – gemäß MANNdat-Auswertung haben sich die geringen Bildungsabschlüsse bei den Männern um 13 Prozent verringert im Vergleich zu 20 Prozent bei den Frauen, bei den höheren Bildungsabschlüssen bei den Männern um 30 Prozent erhöht im Vergleich zu 34 Prozent bei den Frauen.
Diagramm D.7: Veränderung 2008 bis 2018 Männer: Anteile 25- bis 34-jähriger Männer ohne Abschluss Sek. II bzw. mit Abschluss Tertiärbereich 2008 und 2018, absteigend sortiert nach Anteil der 25- bis 34-jährigen Männer ohne Abschluss Sek. II:
Lesebeispiel: In Dänemark lag 2018 der Anteil der jüngeren Männer ohne einen Abschluss im Sekundarbereich II bei 20 Prozent, 2008 lag er 3 Prozentpunkte höher. 2008 lag der Anteil der jüngeren Männer mit einem Abschluss im Tertiärbereich bei 32 Prozent, 2018 lag er 7 Prozentpunkte höher.
Diagramm D.8: Veränderung 2008 bis 2018 Frauen, analog D.7. Zur leichteren Bezugnahme auf D.7 ist die Sortierung ebenfalls absteigend nach Anteil der 25- bis 34-jährigen Männer ohne Abschluss Sek. II.
Die Schere hat sich also zuungunsten der Männer weiter geöffnet.
Und Deutschland?
Die Diagramme weisen aus, dass der Gender Education Gap in Deutschland stellenweise geringer ist als in anderen Ländern. Ist aber ernsthaft anzunehmen, dass sich die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland in eine andere Richtung entwickeln wird als sonst in Europa? Dabei sind heute solche Bildungsungleichheiten deutschlandweit schon genauso vorhanden, etwa Beispiel Niedersachsen: In Niedersachsen gehen von 100 Jungen nur 28 aufs Gymnasium, bei den Mädchen dagegen 38. Jungen dominieren bei der Sonderschule, Hauptschule und bei den Sitzenbleibern (61 Prozent der Sitzenbleiber). Von 100 Studenten, die eine Fachhochschulprüfung versieben, sind 68 männlich, vor 15 Jahren waren es 57 Prozent (Christian Pfeiffer in der SR2-Sendung „Fragen an den Autor“ am 5.2.2020, Minute 5:10). Dieses Missverhältnis ist in anderen OECD-Staaten ausgeprägter, wodurch es in den Diagrammen deutlicher zur Geltung kommt.
Die massiven Schieflagen in der Bildung werden von den politisch Verantwortlichen einfach mehr oder weniger hingenommen – auch mit der Vorstellung im Hinterkopf, dass sie ja einer „Gender-Balance“ zugutekämen –, wenn denn überhaupt hingeschaut wird. Mehr als pflichtgemäße Lippenbekenntnisse ist nicht zu erkennen. Das Bewusstsein über diesen Gender Education Gap ist selbst bei Experten oft kaum entwickelt, wie man etwa am 10.11.2019 anhand der SR2-Sendung „Fragen an der Autor“ gut feststellen konnte: Dort war Jürgen Kaube, Herausgeber und Bildungsexperte der FAZ, mit seinem Buch „Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder?“ zu Gast, und ein Hörer hatte ihn gefragt: „Ist die Schule zu blöd für unsere Jungen?“ Die Antwort des Bildungsexperten machte deutlich, dass zumindest er keinerlei Wissen über die Ursachen des Bildungsrückstandes der Jungen in der Schule vorzuweisen hatte.
Jürgen Kaube sagte immerhin: „Aber es ist richtig, wenn es systematisch so ist, dass die Jungs zurückbleiben, dann müssten die genau dieselbe Aufmerksamkeit bekommen wie sie die Mädchen […] hatten.“
Es ist unabdingbar, dass die Jungen dieselbe Aufmerksamkeit bekommen müssen wie sie die Mädchen hatten und immer noch haben!
Bild: pixelio.de, von Simone-Peter
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Lesermeinungen
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Der letzte Satz erinnert mich an Kinder: „Ich will dasselbe haben, was der Jonas hat!“. Kommt man damit weiter? Offensichtlich nicht.
Da sich das Ungleichgewicht auch durch Beendigung von Bevorzugung reduzieren läßt, sollte man vielleicht mal über einen Sprachwechsel nachdenken. Nicht „Ich will mehr!“, das kann man schließlich immer verweigern, sondern „Die da dürfen nicht mehr ständig mehr bekommen!“, das pauschal abzulehnen nicht mehr so einfach ist.
Das führt auch zu dem Problem, dass es für viele Ausbildungsberufe die von Mädchen und Frauen eher gemieden werden, Gas u. Wasserinstallateur, Dachdecker, Bauschlosser usw kaum noch geeignete Bewerber gibt. Hinzu kommt, dass Jungen öfter eine psychiatrische Diagnose bekommen, was sie in ihrer Berufswahl einschränkt. Sie können dann kein Beamter mehr werden und sind auch bei vielen helfenden Berufen ausgeschlossen. Sie werden dann auch von keiner privaten Krankenkasse mehr angenommen. Einmal gibt es eine Kovarianz zwischen den Lehrerinnen und der unfairen Benotung von Jungen. Zu anderen scheint es auch eine Kovarianz zwischen den Anteil von Politikerinnen und der Benachteildigung zu geben. Mein Fazit: Der Feminismus führt einen Krieg gegen Jungen und Männer.
Ist mir jetzt nicht klar: je weniger Jungen hohe Bildungsabschlüsse erreichen, desto mehr Nachfrage entsteht doch von Jungen für diese Berufe, oder?
Ist doch praktisch aus Feministinnensicht: Für die handwerklichen Dienstleistungsberufe sind dann schön genug Männer da, während immer mehr Frauen die Ausbildung haben für gut bezahlte Jobs, die sie in die Lage versetzen, diese Männer zu beauftragen und bezahlen zu können für Tätigkeiten, die dreckig und schweißtreibend und gefährlich sind, für die sie keine Lust haben oder die ihnen nicht liegen, wie bauen, reparieren, Gartenarbeiten,…
Die niedrigen Ausbildungsgänge sind zunehmend für die Männer.