IGLU-Studie 2016 bestätigt Versagen von Bildungspolitik

von Manndat

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Wer kümmert sich um die Jungen im Bildungssystem?

Im Rahmen unserer Reihe zu Schulleistungsstudien, in der wir schon die PISA-Studie vorgestellt hatten, möchten wir hier aus aktuellem Anlass auf die IGLU-Schulleistungsstudien näher eingehen.

Was die Pressemitteilung 131/2017 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit seiner Pressemeldung vom 5.12.2017 zumindest in der Überschrift „Stabile Ergebnisse bei zunehmenden Herausforderungen – Lesen muss gestärkt werden“ verharmlost, nämlich nichts anderes als die Bestätigung des Versagens der bildungspolitisch Verantwortlichen durch die Ergebnisse der neuesten IGLU-Studie, wäre eigentlich ein handfester Skandal, hätten wir uns an dieses Versagen deutscher Bildungspolitik nicht schon längst gewöhnt.

Was ist die IGLU-Studie?

Seit dem Jahr 2001 führt die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) die international-vergleichende Schulleistungsuntersuchung Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) in einem Abstand von 5 Jahren durch. PIRLS ist in Deutschland besser als Internationale Grundschul-Leseuntersuchung (IGLU) bekannt. Deutschland beteiligt sich auf Beschluss der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2016 zum vierten Mal an der Untersuchung (IGLU 2001, 2006, 2011 und 2016). Im Zentrum von IGLU steht der internationale Vergleich von Leseleistungen, lesebezogenen Einstellungen und Leseverhalten von Grundschulkindern am Ende der 4. Jahrgangsstufe.
Quelle: Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU; 6.12.2017

Wie bei PISA werden die Leseleistungen mit einem Punktesystem gemessen, wobei die Punktzahlen von IGLU-Studie und PISA-Studie direkt vergleichbar sind.

Zentrale Ergebnisse der IGLU-Studie 2016

Laut der Handreichung zur Pressekonferenz zu IGLU 2016 der Technischen Universität Dortmund, Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie, Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS), gibt es u. a. folgende zentrale Befunde:

  • Im Vergleich von 2001 zu 2016 lassen sich keine signifikanten Ver­änderungen in den Schülerleistungen für Deutschland sowie weiteren 11 von insgesamt 27 betrachteten Trend-Teilnehmern beobachten. (S. 10)
  • In Deutschland fallen die Leistungen 2016 deutlich heterogener aus als im Jahr 2001. Die Standardabweichung vergrößert sich von 67 auf 78 Punkte. (S. 10)
  • 2016 erreichen 18,9 Prozent der Schüler in Deutschland nicht die Kompetenzstufe III. Diese Kinder verfügen über ein nicht ausreichendes Leistungsniveau im Lesen. Es ist davon auszugehen, dass sie mit erheblichen Schwierigkeiten beim Lernen in allen Fächern in der Sekundarstufe I konfrontiert sein werden. (S. 14)
  • Für die Gesamtskala Lesen lassen sich in Deutschland signifikante Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen feststellen. (S.18)
  • Die geschlechtsspezifischen Differenzen haben 2016 dieselbe Größenordnung wie 2001. (S.18)
  • Mädchen zeigen beim literarischen Lesen im Mittel deutliche Vorteile gegenüber Jungen (18 Punkte), während Unterschiede beim informierenden Lesen mit 5 Punkten nur minimal sind. (S. 18)
  • Mädchen zeigen sich etwas motivierter als Jungen. In 2016 sind die befragten Kinder im Vergleich zu 2001 jedoch insgesamt etwas weniger motiviert. Dies ist insbesondere bei leseschwachen Kindern der Fall. (S. 16)

Die Empfehlungen, die die IGLU-Studie 2016 an die Bildungspolitik und das Bildungswesen gibt, sind die gleichen wir vor 16 Jahren, wie z. B.

  • gezielte Unterstützung für leseschwache Schülerverstärkter Einsatz von Sachtexten im Leseunterricht und gezielte Förderung von wissensbasierten Verstehensleistungen
  • Herstellung von Chancengerechtigkeit für Schüler unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sozialen Herkunft, ihrem Migrationsstatus oder anderen Merkmalen
  • verstärkte Implementation von Leseförderung in der Sekundarstufe I

Auch, dass Lesemotivation der wichtige Schlüssel zur Leseförderung ist und deshalb im Unterricht die Lesemotivation gesteigert werden muss, ist ein uralter Hut aus PISA 2000. Und die Tatsache, dass schon bei PISA 2000 festgestellt wurde, dass die geschlechterspezifischen Unterschiede der Leseleistungen bei Sachtexten deutlich geringer ist als bei literarischen Texten, wurde in den Schulen nie ernsthaft als Basis für Lesekompetenzsteigerung umgesetzt. Im Gegenteil. Fragt man heute Lehrkräfte zu diesem Thema, wissen sie dies in der Regel nicht.

Es stimmt deshalb nicht, wenn Dr. Susanne Eisenmann, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, behauptet: „Wir haben bisher nicht die richtigen Antworten gefunden.“

Hohle Phrasendrescherei statt effektiver Bildungspolitik

Richtige Antworten gab es schon 2001, als mit dem Versagen der deutschen Bildungslandschaft durch die Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie der Begriff Lesekompetenz in unsere Gesellschaft überhaupt Einzug fand. Allein die Politik hat sich um diese richtigen Antworten wenig geschert. Die IGLU-Studie 2016 zeigt, dass sich seit gut 15 Jahren nichts Wesentliches geändert hat. Deshalb klingt es wie hohle Phrasendrescherei, wenn Susanne Eisenmann die Erkenntnisse und Vorhaben von vor gut 15 Jahren wiederkäut:

Lesen ist eine grundlegende Kulturtechnik und der Schlüssel zum Bildungserfolg. Dementsprechend werden wir das Lesen innerhalb der Schule und über alle Fächer hinweg weiter stärken. Zugleich gilt es, in der Schule Anregungen zu setzen, dem Lesen auch in Freizeit und Elternhaus wieder einen höheren Stellenwert zu verleihen. Schulen sollten Eltern dabei unterstützen, ihren Kindern Lesegelegenheiten zu bieten.

Oder wenn Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen die üblichen Allgemeinplätze wiedergibt:

Besonders wichtig ist, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, vor allem im Grundschulbereich. Wir müssen die Lehrkräfte so gut wie möglich ausbilden und auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen vorbereiten. Der Unterricht ist heute anspruchsvoller als früher, weil die Vielfalt in den Grundschulen größer geworden ist. Außerdem müssen die Eltern konsequent einbezogen werden. Nur so können sie ihre Kinder wirksam unterstützen.

Mit hohlem Gerede wird man das Problem nicht lösen können. Das hat die IGLU-Studie 2016 deutlich gemacht.

Was bedeutet dies im Hinblick auf die Bildungssituation von Jungen?

Wenn die bildungspolitisch Verantwortlichen sich damit zufrieden geben, dass in einem Land, in dem Bildung der wichtigste volkswirtschaftliche Faktor darstellt, diese seit 15 Jahren einfach stehen bleibt, während uns andere Nationen reihenweise überholen, dann muss man an der Kompetenz dieser bildungspolitisch Verantwortlichen natürlich zweifeln. Aber uns geht es natürlich vorrangig um die Bildungssituation von Jungen.

Die geschlechterspezifischen Unterschiede im Lesen bei der IGLU-Studie sind verhältnismäßig gering. Eine Differenz von 49 Punkten bedeuten einen Vorsprung bzw. Rückstand von einem Schuljahr. Elf Punkte entsprechen deshalb einem Lesekompetenzrückstand der Jungen zu den Mädchen von etwa ein Viertel Schuljahr. Aber selbst diesen geringen Rückstand hat man nicht beseitigen können.

Die Bildungspolitik war nicht fähig, den Gender Reading Gap abzubauen.

Genderpolitisches Totalversagen: Die Bildungspolitik war nicht fähig, den Gender Reading Gap abzubauen. Datenquellen: https://www.waxmann.com/fileadmin/media/zusatztexte/2828Volltext.pdf und http://www.ifs.tu-dortmund.de/downloads/IGLU_2016_Pressekonferenz_Handreichung.pdf

Gender Reading Gap nimmt nach Grundschule eklatant zu

Wichtig wird die IGLU-Studie vor allem im Vergleich mit der PISA-Studie. Die IGLU-Studie wird mit Viertklässlern durchgeführt, also mit Kindern etwa im Altern von 10 Jahren. Die PISA-Studie dagegen wird mit 15-jährigen Kindern durchgeführt. Die PISA-Studien zeigen aber, dass die geschlechterspezifischen Unterschiede mittlerweile etwa ein ganzes Schuljahr betragen. Das bedeutet, dass sich die geschlechterspezifischen Lesekompetenzunterschiede nach der Grundschule eklatant vervielfachen. Leseförderung nach der Grundschule ist und bleibt ein extrem vernachlässigtes Thema. Schon in der ersten PISA-Studie 2000 haben wir Jungenleseförderung als große bildungspolitische Herausforderung genannt.

Bildungswesen als Spielball fachfremder Lobbyinteressen

Anstatt sich aber den bildungspolitischen Herausforderungen zu stellen und die damaligen Empfehlungen ernst zu nehmen, wurden die Ergebnisse von den politisch Verantwortlichen instrumentalisiert, um andere politische Programme durchzusetzen. Beispiele sind hier die Genderpolitik oder speziell die Frauenförderpolitik. Ganztagsschulen wurden als eines der Heilmittel für bessere Bildungsleistungen verkauft, obwohl die Auswertung der Schulleistungsstudien KEINE Hinweise ergab, dass die Einführung von Ganztagsschulen einen positiven Einfluss auf die Verringerung der Chancenungleichheit durch familiäre (soziale) Hintergründe oder einen positiven Einfluss auf das Bildungsniveau insgesamt hat (L. Wössmann „Letzte Chance für Schulen“, S. 146ff). Die Ganztagsschule ist also primär KEINE Bildungsfördermaßnahme. Sie ist vorrangig eine Maßnahme zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf! Und dass die Schule insgesamt gesehen jungenfeindlich ist, ist heute hinlänglich bekannt.

Die Konsequenzen dieses politischen Versagens der letzten Jahrzehnte sind heute unübersehbar. Ingenieurskunst aus Deutschland taugt immer öfter als Witzelieferant. Flughäfen als Dauerbaustellen, ein Superschiff, das zum Problemschiff wurde, ein Sturmgewehr, das bestenfalls für ein laues Lüftchen etwas taugt, ein Superschnellzug, der sich als lahme Ente entpuppt, Tunnelbohrungen, die zum Verkehrschaos führen.

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