EU-Männerbericht – Teil 2 Arbeitslosigkeit – Gleichstellung nur für Frauen
Geschlechterpolitik muss, wenn sie ihrem Namen gerecht werden will, auch die Benachteiligungen von Jungen, Vätern und Männern beseitigen. Um die EU und deren Mitgliedsländer bei ihrer Geschlechterpolitik dabei zu unterstützen, werden wir die Frauenberichte der EU um einen Männerbericht ergänzen, der insbesondere die deutschsprachigen Länder Schweiz, Österreich und Deutschland beleuchtet. Der Bericht besteht aus mehreren Teilen. Im zweiten Teil geht es um Arbeitslosigkeit.
Zum Bericht Teil 1: Zwangsdienste
Arbeitslosigkeit als gesamtgesellschaftliches Problem
Die gesamtwirtschaftlichen Folgen von Arbeitslosigkeit sind u.a. Verlust von Kaufkraft, Steuern und Sozialabgaben. Außerdem entstehen Kosten zur Behebung bzw. Linderung der Auswirkungen auf individueller Ebene. (Definition aus Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Bundesrepublik Deutschland)
Definition Arbeitslosenquote
Arbeitslosenquote = Zahl der registrierten Arbeitslosen / Zahl der Erwerbspersonen
Geschlechterpolitisches
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hatte in ihrem Bildungsprogramm für nachhaltige Entwicklung „Transfer-21“ die Arbeitslosenquote als Maßstab für die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern herangezogen. Auf der Homepage zu dem Programm hieß es:
Die Differenz zwischen Frauen- und Männerarbeitslosigkeit ist ein Indikator für die Gleichbehandlung der Geschlechter. Dieser Indikator wurde gewählt, weil im Rahmen der Agenda21 auch Chancengleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern im Nachhaltigkeitsbegriff enthalten sind.
Seit die Männerarbeitslosigkeit höher als die weibliche ist, wird dieser Indikator nicht mehr für Chancengleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern angewendet.
Die ehemalige deutsche Bundesarbeitsministerin und heutige Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen kommentierte 2009:
Von 227.000 Menschen, die im vergangenen Krisenjahr ihren Job verloren, waren nur 10.000 Frauen. Arbeit wird weiblicher, bunter, älter.
Gleichstellung als Einbahnstraße nur für Frauen
In Deutschland ist nach § 1 Sozialgesetzbuch Band III (SGB III) die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Prinzip der Arbeitsförderung zu verfolgen. Konkret umgesetzt wird das in Absatz 2 Ziffer 4: Die Leistungen der Arbeitsförderung sollen insbesondere die berufliche Situation von Frauen verbessern, indem sie auf die Beseitigung bestehender Nachteile sowie auf die Überwindung eines geschlechtsspezifisch geprägten Ausbildungs- und Arbeitsmarktes hinwirken und Frauen mindestens entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen und ihrer relativen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit gefördert werden.
Wir haben hier ein gängiges Prinzip von Gleichstellung: Sie gilt nur für Frauen. Obwohl in Deutschland mittlerweile Männer von höherer Arbeitslosigkeit betroffen sind, gilt dieser Gleichstellungsanspruch für Männer nicht.
Nachfolgende Graphik zeigt die Entwicklung des Gender Gap in der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, Westdeutschland und Gesamtdeutschland seit der Wiedervereinigung.
Datenquelle: Datenquelle: Deutschland in Zahlen: Arbeitslose nach Geschlecht – Anzahl; Datenstand: 28.12.2019; www.deutschlandinzahlen.de; Abrufdatum: 04.12.2020
Das gilt nicht nur für Deutschland. So schreibt Klaus Podirsky über Österreich:
Männer führen in jeder Altersgruppe die Arbeitslosenstatistik an – bei den jungen Männern zu 64%, bei alten zu 74%. Männer sind bedeutend gefährdeter bezüglich Obdachlosigkeit, Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Dennoch stellen sie für das österreichische Arbeitsmarktservice – und das ganz offiziell und seit Jahrzehnten – nicht die förderprivilegierte Zielgruppe dar. Als diese gelten vielmehr ‚Frauen aller Altersgruppen‘ sowie alle ‚über 50Jährigen‘.
Das kollektive Bewusstsein meint wohl auch da: Männer müssen sich selbst zu helfen wissen. (Quelle: Klaus Podirsky: „Der Eisberg des Gender Gap“, BoD, Norderstedt, 2021, S. 187)
Die Daten
Die Daten Datenquelle: „Arbeitslosenquoten nach Geschlecht, Alter und Bildungsabschluss (%)“ von Eurostat.
In der EU ist die Frauenarbeitslosenquote geringfügig höher als die Männerarbeitslosenquote. In Deutschland und in Österreich ist die Männerarbeitslosenquote höher als die Frauenarbeitslosenquote. Das gilt auch für Finnland als feministisches Musterland. Trotzdem haben in Deutschland laut SGB III nur Frauen einen Anspruch auf Gleichstellung, Männer jedoch nicht. In der Schweiz ist die Frauenarbeitslosenquote höher als die Männerarbeitslosenquote. Die größten Unterschiede gibt es in Griechenland, zuungunsten von Frauen.
Im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit insgesamt zeigt sich speziell für die Jugendlichen ein ganz anderes Bild. Die Jugendarbeitslosenquote der Männer ist geringfügig höher als die der Frauen. Das gilt auch für die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz. In allen drei Ländern sind die Unterschiede deutlich höher als im EU-Durchschnitt. In Island ist die Jugendarbeitslosenquote von Männern fast doppelt so hoch wie die von Frauen. Gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit bedarf es arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern.
Quellen:
https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Indikatoren/Gesellschaft/Arbeitslosigkeit/arbeitslosigkeit.html;jsessionid=6492A6874E97833E3EC954CF8DFC785D, Abruf 2.5.2021
https://web.archive.org/web/20130603123525/http://www.transfer-21.lernnetz.de/kernschulen/kern_rd/Projekte/Frauenarbeitslosigkeit.php; nur noch im Webarchiv verfügbar
http://web.archive.org/web/20130815054443/http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Interview/2009/12/2009-12-20-interview-von-der-leyen-fas.html; nur noch im Webarchiv verfügbar
Deutschland in Zahlen: Arbeitslose nach Geschlecht – Anzahl; Datenstand: 28.12.2019; www.deutschlandinzahlen.de; Abrufdatum: 04.12.2020
Klaus Podirsky: „Der Eisberg des Gender Gap“, BoD, Norderstedt, 2021, S. 187)
„Arbeitslosenquoten nach Geschlecht, Alter und Bildungsabschluss (%)“ von Eurostat.
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>Was bringt es einem Kohlekumpel oder Stahlwerkler, der zwar eine Arbeit hat, aber seine Gesundheit ruiniert, wenn Frauchen das Geld ausgibt?
>Ist er nicht schlechter gestellt als eine Frau, die wenig Einkommen hat (Hartz 4 womöglich), deswegen nicht jeden Tag shoppen kann, aber länger und gesünder lebt?
… Dass Männer eher verheizt werden als Frauen ist auch ein Gender Gap. Das kommt auch noch in einem andren Berichtsteil.
>Und Gleichstellung kann man von diesen Zahlen erst recht nicht ablesen.
…Nicht nur, aber teilweise schon. Insbesondere wenn es zur Beseitigung eines Gender Gaps zuungunsten von Frauen spezielle Förderprogramme gibt, aber umgekehrt nicht, wie o.g. in SGB III.
Vielen Dank für die Herausarbeitung.
Wieder mal eine Doppelmoral bei einem „Gleichstellungsindikator“. Wer hätte das gedacht!
Ich verstehe die Aufregung bei der Arbeitslosigkeit nicht so ganz, denn Arbeit ist doch nicht das Entscheidende. Viel entscheidender ist doch, wer das Geld verprassen kann.
Was bringt es einem Kohlekumpel oder Stahlwerkler, der zwar eine Arbeit hat, aber seine Gesundheit ruiniert, wenn Frauchen das Geld ausgibt?
Ist er nicht schlechter gestellt als eine Frau, die wenig Einkommen hat (Hartz 4 womöglich), deswegen nicht jeden Tag shoppen kann, aber länger und gesünder lebt?
Solange 94% der tödlichen Arbeitsunfälle Männer betreffen, solange 80% allen Einkommens von Frauen ausgeben wird, solange das Sozialsystem (Kranken, Pflege, Rente) ein riesiges Umverteilungssystem von Mann zur Frau ist, sind mir die schwankenden Arbeitslosenzahlen nachrangig. Und Gleichstellung kann man von diesen Zahlen erst recht nicht ablesen. Nur von den einseitig sexistischen Staatseingriffen, bei der die Männer wieder mal den Kürzeren ziehen.