Kinder ohne Gesichter

von Manndat

Studie zur Ungleichbehandlung
von männlichen und weiblichen jugendlichen Gewaltopfern
am Beispiel der Terrorakte von Boko Haram
durch den Deutschen Bundestag

Zusammenfassung

Von Juni 2013 bis Juni 2014 ermordete die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram männliche Schüler bei verschiedenen Anschlägen auf Bildungseinrichtungen in ihrem Land.

All diese Verbrechen hat der Deutsche Bundestag lediglich stillschweigend zur Kenntnis genommen. Erst als Boko Haram im April 2014 Schulmädchen entführte, kam es zu einer Aktuellen Stunde im Bundestag, die jedoch nicht alle Gewaltverbrechen von Boko Haram, sondern in ihrem Titel lediglich die Entführung der Mädchen thematisierte.

Warum gab es erst eine Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag, als Mädchen Opfer der Verbrechen von Boko Haram wurden und nicht schon, als „lediglich“ Jungen den Verbrechen zum Opfer fielen? Und warum haben die Politiker selbst dann lediglich die Entführung der Mädchen in der Aktuellen Stunde konkret benannt, jedoch kein einziges der Verbrechen gegen Jungen? Von jeder Bundestagsfraktion haben wir je einen Abgeordneten ausgewählt, um uns seine unterschiedliche Reaktion auf weibliche und männliche jugendliche Gewaltopfer am Beispiel der Aktuellen Stunde zu der Entführung der Mädchen durch Boko Haram näher zu erklären.

Das Ergebnis, zu dem wir kommen, ist verblüffend: Niemand konnte darlegen, warum hier männlichen und weiblichen jugendlichen Gewaltopfern so unterschiedliche Empathie entgegengebracht wird. Obwohl die ungleiche Betrachtung von Mädchen und Jungen als Gewaltopfer eindeutig und unzweifelhaft belegt werden kann – hier lediglich die stillschweigende Zurkenntnisnahme, dort die konkrete Thematisierung im Rahmen einer „Aktuelle Stunde“ im Bundestag – wiesen stattdessen die politisch Verantwortlichen diese Kritik zurück und warfen den Anfragenden „Unterstellung“ vor.

Die Gleichstellungspolitik ist offenbar dermaßen einseitig auf Mädchen fixiert, dass sich die Empathie für Jungen bei den politisch Verantwortlichen anscheinend so verringert hat, dass eine Marginalisierung von Jungen als Gewaltopfer politisch schon als alltäglich und selbstverständlich empfunden wird. Sie ist offensichtlich schon so „normal“, dass die damit verbundene Ungleichbehandlung von Mädchen und Jungen den politisch Verantwortlichen gar nicht mehr bewusst ist. Ein Effekt, den schon Immanuel Kant als „normative Kraft des Faktischen“ bezeichnete und im 19. Jahrhundert vom Rechtswissenschaftler Georg Jelinek in seinen rechtswissenschaftlichen Arbeiten wieder aufgriff. Ein bestimmtes Handeln, also hier die Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen jugendlichen Gewaltopfern, wird als völlig „normal“ empfunden, weil dies alltägliche Praxis ist. Und weil alle dies tun, so empfindet man, wird es schon seine Rechtfertigung haben und wird somit aufgrund seiner Normalität als moralisch gerechtfertigt wahrgenommen. Stattdessen findet man es irritierend und aggressiv, wenn jemand diese „normale“, alltägliche Ungleichbehandlung kritisiert.

Mit der ungleichen Wahrnehmung von männlichen und weiblichen jugendlichen Gewaltopfern ist die Politik an ihrem selbstgesetzten Ziel, Jungen und Mädchen, Frauen und Männer gleichberechtigt zu berücksichtigen, erneut gescheitert.

Hinweis: Die Studie wurde im Benehmen mit den darin genannten Politikern veröffentlicht.

Der Hintergrund

Im Juni 2013 ermordete die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram 42 Jungen bei einem Anschlag auf eine Schule. Im September 2013 attackierte Boko Haram gezielt die Schlafsäle der jungen Männer im College of Agriculture in Gujiba, Nigeria und ermordete 44 von ihnen. Im Februar 2014 wurden 59 Jungen einer Internatsschule von Boko Haram-Terroristen erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt. Die Mädchen der Schule ließen die Terroristen frei. Im gleichen Monat überfiel Boko Haram das Dorf Izghe, ermordete dort über mehrere Stunden die männliche Bevölkerung, auch Jungen oder Babys. Von den 106 Toten waren 105 männlich. Eine Frau war darunter, die versucht hatte, ihren Enkel vor den Massenmördern zu schützen. Im Mai und Juni 2014 ermordete Boko Haram in verschiedenen Dörfern im Nordosten Nigerias Männer und Jungen, indem sie sie zusammen trieb und dann das Feuer auf sie eröffnete. Man geht von etwa 400 bis 500 Toten aus.

All diese Verbrechen hat der Deutsche Bundestag lediglich stillschweigend zur Kenntnis genommen. Erst als Boko Haram im April 2014 eine Schule in Chibok überfiel und 276 Mädchen entführte, kam es zu einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Mit dem Titel „Freilassung der von Boko Haram entführten Schulmädchen in Nigeria“ thematisierte die Aktuelle Stunde jedoch nicht alle Gewaltverbrechen von Boko Haram sondern lediglich die Entführung der Mädchen.

Das Ermorden von über 700 Kindern ist nicht weniger verwerflich als das Entführen von 276 Kindern. Damit bleibt als einziger Unterschied zwischen den vom Bundestag thematisierten und nicht thematisierten Verbrechen lediglich das Geschlecht der Gewaltopfer.

Warum gab es erst eine Aktuelle Stunde in Deutschen Bundestag, als Mädchen Opfer der Verbrechen von Boko Haram wurden und nicht schon, als „lediglich“ Jungen den Verbrechen zum Opfer fielen? Und warum haben die Politiker selbst dann lediglich die Entführung der Mädchen in der Aktuellen Stunde konkret benannt, jedoch kein einziges der Verbrechen gegen Jungen? Von jeder Bundestagsfraktion haben wir nachfolgend je einen Abgeordneten ausgewählt, die unsere Kritik an der unterschiedlichen Behandlung von weiblichen und männlichen jugendlichen Gewaltopfern in der Aktuellen Stunde näher darlegen soll.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Sabine Weiss echauffierte sich:

„Das Verbrechen der Entführung von mehr als 200 nigerianischen Mädchen ist so ungeheuerlich, dass es sprachlos macht, sprachlos vor der Menschenverachtung der Täter von Boko Haram, sprachlos vor der Grausamkeit, Kinder für ihre Ziele zu instrumentalisieren“

Frau Weiss ging in ihrer Rede nicht konkret auf die Gewaltverbrechen an den Schuljungen ein.

Kathrin Vogler (DIE LINKE) meinte:

„Durch diese Entführung haben die gewaltsamen Konflikte in Nigeria erstmals große internationale Aufmerksamkeit erhalten; sie haben sozusagen 200 Gesichter bekommen. Wir können uns einfühlen in die Angst dieser Jugendlichen, in die Verzweiflung ihrer Eltern oder in die Wut all der Menschen in Nigeria“.

Die internationale Presse hat aber, wie wir noch zeigen werden, auch schon die Gewaltverbrechen an den Schuljungen zur Kenntnis genommen. Frau Vogler ging auf diese Verbrechen jedoch ebenfalls nicht konkret ein.

Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen betonte:

„Für die Geiselnahme von Hunderten Schülerinnen gibt es keine Rechtfertigung in der Religion.“

Zweifellos gibt es aber auch für die Ermordung von Hunderten von Schülern keine Rechtfertigung. Diese Verbrechen hat Herr Özdemir nicht konkret erwähnt.

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Edelgard Bulmahn von der SPD, meinte:

„Die Entführung von über 270 Mädchen aus einer Schule in Chibok im Norden Nigerias ist aber auch eine Tat, die ein gezieltes Statement gegen die Bildung und damit auch gegen bessere Lebenschancen von Mädchen und jungen Frauen sein soll.“

Zwar erwähnte Frau Bulmahn in ihrer Rede auch, Boko Haram würde schon seit Jahren „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begehen. Die ermordeten Schuljungen hat Frau Bulmahn jedoch nicht konkret genannt.

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