Was der Bildungsbericht verschweigt – Teil 3: IQB-Bildungstrends
In unserem offenen Brief vom 23. Juli 2020 an die Verantwortlichen des Bildungsberichtes haben wir kritisiert, dass die Bildungsprobleme von Jungen zum wiederholten Male im Bildungsbericht unsichtbar gemacht werden. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, ab sofort regelmäßig eine eigene Dokumentationsreihe zur Bildungssituation von Jungen mit dem Titel „Was der Bildungsbericht verschweigt“ zu veröffentlichen. Hier Teil 3 – Die Ergebnisse der IQB-Studien aus 2016 und 2018.
(Zu Teil 2: PISA 2018)
Was ist IQB?
„Kernanliegen des IQB sind die Weiterentwicklung, Operationalisierung, Normierung und Überprüfung von Bildungsstandards. … Ziel des IQB-Bildungstrends ist es festzustellen, inwieweit Schülerinnen und Schüler in Deutschland Bildungsstandards erreichen und wo Steuerungsbedarf besteht.“ (Quelle: https://www.iqb.hu-berlin.de)
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Bezug auf die Bildungssituation von Jungen
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ist ein wissenschaftliches Institut, das die Länder in der Bundesrepublik Deutschland bei der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im allgemeinbildenden Schulsystem unterstützt.
IQB-Bildungstrend 2016 „Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich“ (Petra Stanat, Stefan Schipolowski, Camilla Rjosk, Sebastian Weirich, Nicole Haag (Hrsg.); Waxmann 2017; Münster · New York; vgl. ab S. 208f.):
- Jungen verfügen gegen Ende der 4.Jahrgangsstufe im Mittel über schlechtere Kompetenzen als Mädchen, wobei die Unterschiede in der Orthografie am größten sind. Die Ergebnisse auf Länderebene ähneln dabei den Ergebnissen für Deutschland insgesamt.
- Diese geschlechtsbezogenen Disparitäten zeigen sich sowohl in den unteren als auch in den oberen Kompetenzbereichen.
- Besonders in den Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ist ein signifikanter Rückstand der Jungen in allen Deutsch-Kompetenzbereichen Lesen, Zuhören und Orthografie zu beobachten.
- Zum Vergleich mit den Ergebnissen zu 2011 sind die Nachteile der Jungen im Fach Deutsch insgesamt gleichgeblieben.
- „Neben der Entwicklung kognitiver Kompetenzen besteht ein weiteres Ziel des schulischen Unterrichts darin, bestimmte motivationale Aspekte wie das fachbezogene Selbstkonzept und das fachliche Interesse der Kinder zu fördern. Sowohl Jungen als auch Mädchen geben im Durchschnitt ein hohes Interesse für die Fächer Deutsch und Mathematik an. Zudem schätzt eine große Mehrheit in beiden Teilpopulationen die eigenen Kompetenzen in diesen Fächern als hoch ein. Dennoch zeigen sich auch in diesen Einschätzungen im Mittel Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, die in dieselbe Richtung weisen wie die geschlechtsbezogenen Disparitäten in den untersuchten Kompetenzen.“ (S.209)
IQB-Bildungstrend 2018 „Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich“ (Petra Stanat, Stefan Schipolowski, Nicole Mahler, Sebastian Weirich, Sofie Henschel (Hrsg.); Waxmann 2019; Münster · New York; vgl. ab S.258ff.):
- In Mathematik: höhere Kompetenzwerte für Jungen, wobei die Unterschiede mittlerweile gering sind
- Naturwissenschaften: Deutliche Kompetenznachteile für Jungen
- Entwicklung von 2012 bis 2018: Vor allem Kompetenzrückgänge zuungunsten der Jungen
- Fachbezogenen Selbstkonzepte und Interessen: Ungünstige Entwicklungen bei Jungen
Detailliertere Aussagen aus dem Bericht zum IQB-Bildungstrend 2018
(Hervorhebungen in Fett von uns.)
Mathematik
- Jungen erzielen im Fach Mathematik im Mittel höhere Kompetenzwerte als Mädchen, wobei der Geschlechterunterschied in Deutschland insgesamt kleiner geworden ist und der Unterschied zwischen den Kompetenzmittelwerten relativ klein ausfällt und in den Kompetenzbereichen Raum und Form und Funktionaler Zusammenhang statistisch nicht signifikant ist.
- Auf Länderebene sind bei den Mittelwertsunterschieden zwischen Jungen und Mädchen im Fach Mathematik nur in zwei Ländern (Baden-Württemberg und Thüringen) signifikante Disparitäten zugunsten der Jungen
Naturwissenschaften
- Jungen erreichen in den naturwissenschaftlichen Fächern, insbesondere im Fach Biologie, aber auch im Fach Chemie sowie im Bereich Erkenntnisgewinnung im Fach Physik im Durchschnitt ein signifikant geringeres Kompetenzniveau als Mädchen.
- Besonders im Fach Biologie fallen die Kompetenzverteilungen der Jungen schlechter aus als die der Mädchen. Insbesondere der Anteil der Jugendlichen, die in Biologie mindestens die Regelstandards erreichen, ist in der Teilpopulation der Jungen geringer als in der Teilpopulation der Mädchen.
- Im Fach Biologie sind übereinstimmend mit den Befunden für Deutschland insgesamt in fast allen Ländern für beide untersuchten Kompetenzbereiche signifikante Kompetenznachteile der Jungen zu verzeichnen.
- Im Fach Chemie ergeben sich in der Hälfte der Länder (Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) signifikante Geschlechterunterschiede, wobei die Kompetenzmittelwerte der Jungen in diesen Ländern wiederum signifikant niedriger ausfallen als die der Mädchen.
- Im Fach Physik schließlich zeigen sich in fünf Ländern (Berlin, Brandenburg, Hamburg, im Saarland und in Thüringen) signifikante geschlechtsbezogene Disparitäten. Auch diese fallen durchgehend zuungunsten der Jungen
Entwicklung von 2012 bis 2018
- In Deutschland insgesamt sind die geschlechtsbezogenen Disparitäten im Fach Mathematik seit dem Jahr 2012 zu 2018 signifikant zurückgegangen. Dies ist auch in mehreren Ländern (Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Holstein) der Fall, wobei die Veränderungen in Brandenburg und Schleswig-Holstein primär auf Kompetenzrückgängen bei den Jungen, in Nordrhein-Westfalen hauptsächlich auf Kompetenzzuwächsen bei den Mädchen beruhen.
- In den naturwissenschaftlichen Fächern sind signifikante Veränderungen in den geschlechtsbezogenen Disparitäten nur auf Länderebene und lediglich für Brandenburg und Thüringen zu verzeichnen. Diese Trends sind hauptsächlich auf ungünstige Entwicklungen in den von Jungen erreichten Kompetenzen zurückzuführen.
- In vier Ländern (Baden- Württemberg, Bayern, Bremen und Hamburg) sind keine signifikanten Veränderungen in den untersuchten Fächern und Kompetenzbereichen zu verzeichnen.
- In einem Land (Nordrhein-Westfalen) ergeben sich vereinzelt signifikant positive Trends für die Mädchen.
- In den übrigen Ländern zeigt sich in mindestens einem Kompetenzbereich ein signifikanter Kompetenzrückgang für Jungen und/oder Mädchen. Insbesondere im Fach Mathematik, aber auch in nahezu allen untersuchten naturwissenschaftlichen Fächern und Kompetenzbereichen sind dabei für Jungen häufiger signifikant ungünstige Entwicklungen zu verzeichnen als für Mädchen.
- In vier Ländern (Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) fallen die von Jungen im Durchschnitt erreichten Kompetenzen in allen untersuchten Fächern und Kompetenzbereichen im Jahr 2018 signifikant geringer aus als im Jahr 2012. Ein ähnlich konsistenter Rückgang der erreichten Kompetenzen in allen untersuchten Kompetenzbereichen ist für Mädchen in keinem Land zu verzeichnen.
Fachbezogenen Selbstkonzepte und Interessen
- Bei den Mädchen haben sich ihre fachbezogenen Selbstkonzepte und Interessen zwischen den Jahren 2012 und 2018 teilweise positiv entwickelt, die von ihnen erreichten Kompetenzen sind jedoch von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht signifikant angestiegen.
- Bei den Jungen sind bei ihren fachbezogenen Selbstkonzepten und Interessen ungünstige Entwicklungen zu verzeichnen. In einigen Ländern erreichen sie im Jahr 2018 deutlich geringere Kompetenzmittelwerte als im Jahr 2012 und auch ihre fachbezogenen Selbstkonzepte und Interessen haben in diesem Zeitraum abgenommen.
Weiterlesen in Teil 4: Ausländische Jungen
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Lesermeinungen
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Vielen Dank für diesen Artikel. Eltern, auch Mütter (!) sind immer wieder verzweifelt, wenn ihr Filius Schwierigkeiten in der Schule hat. Alle Eltern denken dann immer individuell, aber dass ihre Söhne strukturell benachteiligt sind, erkennt niemand … Rund zwei Drittel am Gymnasium des neunten Jahrgangs sind Schülerinnen. Die Jungen haben es entweder nicht auf das Gymnasium geschafft oder sind sitzen geblieben. Wie viel Leid auf Seiten der Jungen …
@Matematiker
Ja, aber die Jungs bleiben nur dann erfolgreich, wenn sie sich an die Männerfeindlichkeit anpassen. Das sieht man an den Politikern, die heftiger draufhauen als ihre weiblichen Kollegen, in der Hoffnung, von diesen besser gewertschätzt zu werden.
@Bruno
Man muss sich der Männerfeindlichkeit nicht anpassen, sondern einfach trotzdem weiter machen (Stoizismus, als gute alte Männereigenschaft ist hier von Vorteil).
Microsoft, Google etc sind alle von Männern gegründet worden. Zur Gründungszeit wollte nie eine Frau zu den CEOs gehören. Jetzt, wo die Unternehmen gross sind, da wollen plötzlich alle beteiligt werden (Diversity & Inclusion). Damit 1 Gründung erfolgreich ist, mindestens 10 andere dafür scheitern müssen, dass wird natürlich immer unter dem Tisch fallen gelassen, da soll keine D & I herrschen.
Ich glaube nicht, dass der Unternehmergeist der Männer so schnell gebrochen wird, daher wird es erstmal dabei bleiben.
Dein zweiter Punkt spricht den „weißen Ritter“ an, und da gebe ich Recht, dass das eine abträgliche männliche Eigenschaft ist, die es abzustellen gilt. Die Frage ist: Wie?
Ob sie stärker drauf hauen als die weiblichen Kollegen, das weiß ich jetzt nicht, aber sicherlich opfern sie auch ihre „Artgenossen“, nur um bei den Weiblichen zu punkten. Nicht schön anzusehen.
Passt doch alles wie der Arsch auf den Nachtopf.
So wie in jeder Anrede „Schülerinnen und Schüler“ Schüler, Mitarbeiter, Bürger hinten angestellt werden, werden Jungen bei allem auch hinten angestellt. Oder gar nicht. Die Jungs sollen später nur noch die einfachen dreckigen Jobs erledigen, die keine Frauen machen wollen und brauchen. Dafür braucht es nicht viel Rechtschreibung und Mathematik. (Ablaufroutinen kann man anlernen). Während die Frauen immer mehr die begehrten Berufe und Posten besetzen und die Gutverdiener werden. Tja und Geld + Schönheit, Sexappeal kann jeder Kerl neben einer Frau nur abstinken.
Gruß
+ nicht vergessen:
Frauen wollen jobs, die nicht schmutzig, körperlich anstrengend, dem work/life balance konträr sind, keine Schichtarbeitszeit, nicht dem Wetter ausgesetzt sind, nicht gesundheitsgefährdend sind, nicht einem Lebensrisiko unterliegen, nicht weit weg sind, die nicht stinken, die nicht unsicher sind (Beamtenjobs?) Sie wollen dabei keine Risiken aufnehmen (z.B. keine Unternehmen gründen, oder ungewisse, schwierige Entscheidungen treffen), aber sie wollen trotzdem CEO von großen Firmen spielen, und wenn sie wieder den Job nicht bekommen haben, ist es nicht so, dass sie nicht ausreichend qualifiziert wären oder der Posten so stark umkämpft ist, sondern weil Männer Männer bevorzugen und daher Frauen unterdrücken.
Daher diskriminieren wir die Jungs schon in der Schule, um dem entgegenzuwirken.
Das schöne daran ist, dass die Jungs trotzdem die erfolgreichen bleiben (für die Willenstarken sind die Diskriminierungen nur ein weiterer challenge) und daher das Feindbild Patriarchat weiter bestehen bleibt. Denn nichts ist schlimmer, als ein Feinbild, das nicht mehr existiert. Denn dann kann nicht mehr weiter agitieren.