Was der Bildungsbericht verschweigt – Teil 10: Jungenfeindliche Vorurteile
In unserem offenen Brief vom 23. Juli 2020 an die Verantwortlichen des Bildungsberichtes haben wir kritisiert, dass die Bildungsprobleme von Jungen zum wiederholten Male im Bildungsbericht unsichtbar gemacht werden. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, ab sofort regelmäßig eine eigene Dokumentationsreihe zur Bildungssituation von Jungen mit dem Titel „Was der Bildungsbericht verschweigt“ zu veröffentlichen. Hier Teil 10 – Jungenfeindliche Vorurteile.
Arne Hoffmann hat eine Studie entdeckt (und in seinem Blog Genderama zum Thema gemacht), die belegt, dass schon Mädchen von frühster Jugend an der Überzeugung sind, dass sie die besseren Schüler seien. Und umgekehrt verinnerlichen Jungen ab acht Jahren, dass sie die schlechteren Schüler seien. Der Beitrag stammt schon aus 2010 und wurde von der Universität Kent durchgeführt. Wir haben mal nachgeforscht und gefunden, dass diese Geschlechterstereotype bis 2013 weiter erforscht wurden und zusammen fünf Studien ausmachen, die zeigen, dass geschlechterspezifische Stereotypisierung von Jungen als die schlechteren Schüler aufgrund einer selbsterfüllenden Prophezeiung mitverantwortlich sind, Jungen zu Bildungsverlierern zu machen. Die Studien stammen von Bonny Hartley und teilweise Robbie Sutton.
Direkten Zugriff auf alle Studien hatten wir nicht. Aus den Abstracts, Diskussionen und sonstigen Informationen (Quellen siehe unten) können wir hier aber einen sehr umfassenden Überblick über die fünf Studien geben.
Um was geht es?
In den Arbeiten wird untersucht, ob die Stereotypisierung zu den relativ schlechten schulischen Leistungen von Jungen beiträgt, wobei sich negative Erwartungen in Bezug auf Geschlecht und Leistung selbst erfüllen.
Studie 1
In Studie 1 (n = 238) wurde untersucht, in welchem Alter Grundschulkinder das Stereotyp erwerben, dass Jungen im Vergleich zu Mädchen ein schlechteres Verhalten und schlechtere Leistungen in der Schule aufweisen, und dass auch Erwachsene dieses Stereotyp bestätigen.
– Die Kinder waren zwischen 4-5 Jahren (Grundstufe) und 9-10 Jahren (bis zur 5. Klasse) alt.
– Den Kindern wurden A4-Karten gezeigt, die verschiedene Bildgeschichten darstellten.
– Die Hälfte zeigte ein Kind (ohne Geschlecht) mit gutem Verhalten und guten Leistungen, die andere Hälfte ein Kind mit schlechtem Verhalten und schlechten Leistungen.
– Auf der Rückseite jeder Karte waren eine männliche und eine weibliche Silhouette in schwarzer Farbe auf weißem Hintergrund abgebildet.
– Die Kinder wählten eine der beiden Silhouetten aus und entschieden sich damit für die „richtige“.
– Die Kinder wurden auch gefragt, was die Erwachsenen denken (Ziel 2).
Die Ergebnisse zeigten, dass Mädchen im Alter von 4 Jahren und Jungen im Alter von 7 Jahren glaubten, dass Jungen in der Schule schlechter sind als Mädchen.
Bezüglich o. g. Ziel 2 wurde auch festgestellt, dass Mädchen im Alter von 4 Jahren und Jungen im Alter von 7 Jahren glaubten, dass Erwachsene glaubten, dass Jungen in der Schule schlechter sind als Mädchen.
Studie 2
In Studie 2 (n = 121) wurde festgestellt, dass eine der für Kinder wichtigsten Bevölkerungsgruppen – Lehrer – ähnliche Stereotypen über die akademische Unterlegenheit männlicher Jugendlicher vertreten und der Meinung sind, dass Kinder diese Überzeugung teilen.
Studie 3
In Studie 3 (n = 123) wurde festgestellt, dass dieses Stereotyp, das Männer als minderwertige Schüler darstellt, auch in der breiteren Bevölkerung außerhalb des spezifischen Schulkontexts vertreten wird. Konkret bestätigten Universitätsstudenten Stereotype, die weibliche Universitätsstudenten als akademisch überlegen gegenüber männlichen Studenten darstellen, sowie Metastereotype, dass Dozenten diese Überzeugung teilen. In ähnlicher Weise hielten sie Schülerinnen für die besseren Schüler und glaubten, dass Schüler Mädchen als die besseren Schüler wahrnehmen. In dieser Studie wurde auch untersucht, wie sexistische Ideologien die Wahrnehmung der akademischen Überlegenheit von Männern und Frauen beeinflussen können. In meinem zweiten empirischen Kapitel wird untersucht, wie sich diese geschlechtsspezifischen akademischen Stereotypen auf die Testleistungen von Grundschulkindern auswirken können.
Studie 4
In Studie 4 (n = 162, in einem Beitrag wird von 160 Teilnehmern geschrieben) wurde getestet, ob Jungen anfällig für Stereotypisierungen sind, indem untersucht wurde, ob eine Botschaft, die dieses kulturelle Stereotyp kolportiert, ihre Leistung beeinflusst.
– Der Test enthielt für die Hälfte der Kinder andere Anweisungen.
– Die Hälfte der Kinder las, dass „Mädchen im Test besser abschneiden als Jungen“ (stereotype Bedrohung).
– Die andere Hälfte der Kinder las „Wir wollen nur sehen, wie du in diesem Test abschneidest“.
– Die Leistungen der Kinder wurden in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen erfasst.
Wurden Kinder (im Alter von 7-8 Jahren) darüber informiert, dass Jungen in der Schule tendenziell schlechter abschneiden als Mädchen, so beeinträchtigte dies die Leistungen der Jungen bei Lese-, Schreib- und Mathetests im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die diese Information nicht erhalten hatte. Die Leistungen der Mädchen blieben unbeeinflusst.
Studie 5
In Studie 5 wurde untersucht, ob es möglich ist, Stereotypen über die akademische Unterlegenheit von Jungen aufzuheben, indem Kinder im Alter von 6-9 Jahren (n~ 184) darüber informiert wurden, dass von Jungen und Mädchen gleich gute Leistungen erwartet werden.
– Die Kinder bekamen einen Test zum Rechnen und Lesen.
– Unterschiedliche Anweisungen:
– Die Hälfte der Kinder las: „Wir untersuchen, wie gut die Kinder in diesem Test abschneiden, und wir erwarten, dass Jungen und Mädchen gleich gut abschneiden“.
– Die andere Hälfte las: „Wir schauen uns an, wie gut die Kinder in diesem Test abschneiden, und wir wollen einfach sehen, wie ihr abschneidet.
Wurden die Jungen und Mädchen darüber informiert, dass gleich gute Leistungen erwartet werden, verbesserte dies die Leistungen der Jungen und hatte keinen Einfluss auf die der Mädchen.
Fazit
Zusammengenommen belegen diese Studien die wichtige Rolle, die Stereotypisierung bei den schlechten schulischen Leistungen von Jungen spielen kann. Die Ergebnisse erweitern die pädagogische Literatur über die Ursachen und Lösungen für die Leistungsschwäche von Jungen und die sozialpsychologische Literatur.
Quellen:
Hartley, B. L., & Sutton, R. M. (2013). A stereotype threat account of boys‘ academic underachievement. Child Development, 84(5), 1716–1733. https://doi.org/10.1111/cdev.12079
Frank Gasking: „A stereotype threat account of boys’ academic underachievement“, 15 Februar 2020, https://research.kent.ac.uk/stop/a-stereotype-threat-account-of-boys-academic-underachievement/, Abruf 5.7.2023
„A Stereotype Threat Account of Boys’ Academic Underachievement“; Poster summary on A Stereotype Threat Account of Boys’ Academic Underachievement study,, https://www.studocu.com/en-gb/document/bournemouth-university/educational-psychology-and-special-educational-needs/a-stereotype-threat-account-of-boys-academic-underachievement/1659552, Abruf 5.7.2023
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