Jungen bleiben die Stiefkinder deutscher Bildungspolitik

von Dr. Bruno Köhler


Zwölf Jahre nach der ersten PISA-Studie, die das geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen aufgezeigt hat, haben wir nachgefragt, was die Bildungsministerien heute im Bereich Jungenleseförderung machen. Es geht hierbei mehr als nur um die Frage nach dem Engagement der politisch Verantwortlichen für Jungen. Es geht um die Glaubwürdigkeit von Geschlechterpolitik. Ist die Politik bereit, sich für die Gleichstellung von Jungen ebenso einzusetzen wie für die Gleichstellung von Mädchen? Nun, soweit sei vorweggenommen, sie ist es nicht. Lesen Sie die ernüchternden Ergebnisse.

Stand der Jungenleseförderung in den Bundesländern

November 2012

Jungenbildungsförderung, das zeigen alle Schulleistungsstudien, ist eine wichtige bildungspolitische Herausforderung. Die männlichen Schulabbrecherquoten sind deutlich höher als die weiblichen. Der Anteil von Jungen an den Abiturienten ist deutlich geringer als der Anteil der Mädchen.


*= Bundesdurchschnitt

Trotz dieser Zahlen werden in den Bildungsstatistiken von Bund und Ländern im Bereich Bildung geschlechterspezifisch bis heute ausschließlich Mädchen- und Frauendaten geführt, nicht jedoch Jungendaten. Jungenleseförderung ist nur ein Teilaspekt einer längst notwendigen Jungenbildungsförderung. Sie ist aber ein sehr wichtiger Anhaltspunkt, da es bei keiner schulischen Kompetenz so große geschlechterspezifische Unterschiede gibt wie in der Lesekompetenz. Die Lesekompetenz von Jungen ist deutlich schlechter als die der Mädchen.


Die Anfrage

Ende August wurden die Bildungsministerien der 16 Länder angeschrieben, mit der Bitte, uns mitzuteilen, ob es in ihrem Land Jungenleseförderprojekte gibt und wenn ja, wohin sich interessierte Bürger wenden könnten, um mehr darüber zu erfahren. Bei fehlenden Antworten wurden die zuständigen Ministerien nochmals im September angeschrieben. Die Originalanfrage kann unter Anlage1 nachgelesen werden.

Gleichzeitig wurde versucht, über Internetrecherche, insbesondere über den Bundesbildungsserver, sich über Jungenleseförderprojekte in Deutschland zu informieren.

 
Die Ergebnisse

Bundesweit konnten vier Jungenleseförderprojekte, die vom Bund oder von den Ländern unterstützt werden, gefunden werden:

Kicken & Lesen (Baden-Württemberg Stiftung und VfB Stuttgart 1893 e.V.): Für die Teilnahme am Projekt können sich Vereine, kirchliche Träger, freie Träger der Jugendarbeit, Bibliotheken und andere Institutionen in Baden-Württemberg bewerben.

Kicken & Lesen Hessen: wie oben, nur in Hessen.

Jungen lesen, aber anders: Anregungen zur Förderung der Lesemotivation von Jungen in Schule und Familie; Sachsen kooperiert hier mit der Stiftung Lesen.

Boys & Books: Leseempfehlungen für Jungen (Universität Köln)

Qualität der Auskunft der Bildungsministerien zur Jungenleseförderung

Von 16 angeschriebenen Bildungsministerien in den verschiedenen Ländern haben lediglich acht geantwortet (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein).

Acht Ministerien waren trotz zweimaliger Anfrage zu keiner Auskunft auf unsere Anfrage zu Jungenleseförderprojekten in ihrem Bundesland bereit (Bayern, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Unabhängig von der Einstellung zur Jungenleseförderung ist ein solches Verhalten gegenüber sachlichen Bürgeranfragen äußerst fragwürdig.

Auf nur zwei der vier Jungenleseförderprojekte wurden wir durch Information von den Bildungsministerien (Sachsen und Baden-Württemberg) hingewiesen. Zudem wurden wir von Rheinland-Pfalz und nicht von NRW (das uns nicht antwortete) auf das neue Projekt an der Universität Köln „Boys & Books“ aufmerksam gemacht.

Das hessische Kultusministerium antwortete, dass es kein Jungenleseförderprojekt in Hessen gäbe, obwohl dort schon 2011 das Projekt Kicken & Lesen von der „hessenstiftung – familie hat Zukunft“ jährlich ausgeschrieben wird. Die „hessenstiftung – familie hat zukunft“ ist eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, die von der Hessischen Landesregierung ins Leben gerufen wurde.

Alle Ministerien, die geantwortet haben, führten zusätzlich noch Lesefördermaßnahmen auf, die jedoch nicht rein jungenspezifisch sind. Diese sind in Anlage 2 aufgelistet.

Vergleich zu spezifischer Mädchenbildungsförderung


*= Projekte der Bundesregierung

Bundesweit stehen derzeit 94 MINT-Mädchenförderprogrammen lediglich vier Jungenleseförderprogramme gegenüber.

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