Männergesundheit – (k)ein Thema?

von Dr. Bruno Köhler

Männer und „Frauenkrankheiten“

Als „Frauenkrankheiten“ bzw. „Männerkrankheiten“ werden nicht nur Krankheiten bezeichnet, die ausschließlich bei einem Geschlecht auftreten können, sondern auch solche, die vermehrt bei einem Geschlecht auftreten. Dies hat zur Folge, dass dasjenige Geschlecht, das seltener betroffen ist, in seiner geschlechterspezifischen Eigenheit bei den Symptomen oder Verläufen weniger oder fast gar keine Beachtung findet. Im Bereich der Frauengesundheit bei „Männerkrankheiten“ wird dieser Man­gel in letzter Zeit, nicht zuletzt durch die Frauengesundheitsberichterstattung, verstärkt thematisiert. Oft gibt es hier spezielle Projekte oder Maßnahmen, um gezielt die Frauengesundheit in diesen Be­reichen zu fördern, wie z.B. beim Herzinfarkt. Im umgekehrten Falle, bei der Betrachtung der Männergesundheit bei „Frauenkrankheiten“, gibt es dies i.d.R. nicht. Beispiele für solche „Frauenkrankheiten“, die auch Männer treffen können: [11, 12, 13]

Migräne
2 Millionen Männer (das sind sechs bis acht Prozent aller Männer) leiden an Migräne – nur 37 Pro­zent davon sind in Behandlung.

Schlaffes Bindegewebe
Obwohl 80 Prozent aller Männer früher oder später an einer Krankheit als Folge einer angeborenen oder erworbenen Bindegewebsschwäche leiden, gilt sie als „Frauenkrankheit“. Jeder zehnte Mann erkrankt an Blasenschwäche, jeder siebte leidet unter chronischen Rückenschmerzen, jeder vierte hat Krampfadern. [14]

Osteoporose („Knochenschwund“)
Insgesamt sind in Deutschland etwa 900.000 Männer von dieser Krankheit betroffen, die Knochen schon unter geringen Belastungen brechen lässt. „Witwenbuckel“ nennt der Volksmund die Krüm­mung der Wirbelsäule, wie sie durch Osteoporose entsteht. Als dieses Wort entstand, gab es nicht sehr viele alte Männer und deshalb auch kaum einen, dessen Wirbelsäule durch Osteoporose zu­sammengesunken war. Die Situation sieht heute anders aus, wird aber trotzdem kaum wahrgenom­men. Dies liegt nicht zuletzt am weiterhin geringeren Durchschnittsalter der Männer (ca. 6 Jahre ge­ringere Lebenserwartung).

Magersucht und andere Essstörungen
Etwa 90.000 Männer leiden nach Meinung von Ernährungsexperten an Essstörungen, Tendenz stei­gend. Der Anteil der männlichen Magersüchtigen wird bei fünf bis zehn Prozent vermutet. Die Krank­heit wird bei Jungen und jungen Männern selten oder spät erkannt. Während Frauen beim Abnehmen vor allem auf Diät und Erbrechen setzen, neigen Männer zu exzessivem Ausdauer-und Krafttraining. Das heißt, hinter manchem Waschbrettbauch verbirgt sich eine psychische Erkrankung. 15 bis 20 Prozent der männlichen Magersüchtigen sterben an dieser Krankheit.

Depressionen
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 4,4 Prozent der Männer an einer Depression, und die Zahl der Betroffenen Männer wächst seit Jahren. Der heute immer noch vorhandene Erwartungsdruck an Männer, der fatalerweise gerade auch von der Geschlechterpolitik forciert wird, gesteht Männern nicht zu, zu klagen. Zwangsdienstleistender, Vollzeitvater, Ernährer, Sündenbock für alles Schlechte und natürlich alles gleichzeitig und ohne dass ihm das Recht zu klagen zugestanden wird – so will die Geschlechterpolitik den „neuen Mann“. Dass dies nur schief gehen kann, ist jedem klar – außer der Gesundheitspolitik. Hinzu kommt, dass die Symptome bei Männern manchmal anders ausfallen kön­nen als bei Frauen. So äußern sich Depressionen bei Männern nicht selten in aggressivem Verhalten.

Blasenentzündung
Männer erleiden Blasenentzündungen zwar seltener als Frauen, aber wenn sie bei Männern auftre­ten, sind sie unangenehmer als bei Frauen. Bei Männern schaffen es die Erreger nämlich wegen der längeren Harnröhre selten bis zur Blase. Geschieht es doch, ist die Erkrankung genau wegen dieser langen Harnröhre besonders unangenehm. Symptome sind brennender Schmerz beim Wasserlas­sen, ständiger Harndrang und leichtes Fieber. Da Männer mit den Symptomen weniger vertraut sind, reagieren sie oft erst, wenn die Entzündung fortgeschritten ist.

Borderline
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) wird auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung genannt. Sie führt zu so extremen Gefühlsspannungen, dass diese nicht selten in Selbstverletzung bis zum Suizid enden. Nicht zuletzt auch die frauenzentrierte Gesundheitspolitik hat dazu beigetra­gen, Borderline fälschlich als „Frauenkrankheit“ einzustufen. Ärzte vermuten nämlich, dass die Dun­kelziffer bei Männern höher ist, da sich deren Symptome anders äußern als bei Frauen. Bei Männern richtet sich die Aggression häufiger gegen andere als gegen sich selbst. Dadurch werden Betroffene häufiger als „Schläger“ oder „Säufer“ wahrgenommen. Deshalb landen männliche Borderliner im Ge­gensatz zu weiblichen häufiger im Gefängnis als im Krankenhaus. [15]

Brustkrebs
Auch Männer haben eine Brust, sogar eine Brustdrüse. Sie wird in der Pubertät nur nicht weiter ent­wickelt, weil die weiblichen Geschlechtshormone fehlen. Doch auch die Anlage genügt. Experten schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 500 Männer an Brustkrebs erkranken. Diese Zahlen sind zwar derzeit noch sehr gering, sind aber im Steigen begriffen. Als besonders fatal erweist sich oft, dass Männer damit zu spät zum Arzt gehen, weil kaum jemand damit rechnet, an Brustkrebs zu erkranken.

Prostatakrebs
In Deutschland werden derzeit etwa 58.000 Prostatakarzinome [16] pro Jahr diagnostiziert.

Somit ist die Prostata (Vorsteherdrüse) mit 18,7 Prozent inzwischen die häufigste Lokalisation bösar­tiger Neubildungen beim Mann und hat seit 1998 den Lungenkrebs als häufigsten Tumor beim Mann abgelöst. Bei den zum Tode führenden Krebserkrankungen steht das Prostatakarzinom mit 10,5 Pro­zent an dritter Stelle. [17] Trotzdem ist die Bekämpfung von Prostatakrebs weiterhin, im Gegensatz zur Bekämpfung von Brustkrebs, kein nationales Gesundheitsziel in Deutschland.

Ein großes Problem ist, dass die Diagnostik hoffnungslos veraltet ist. Als Kassenleistung gibt es nur die Tastmethode (digital-rektale Palpation). Hier kann ein Tumor aber oftmals erst erkannt werden, wenn er schon zu groß ist.

Aus diesem Grund haben die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU), der Berufsverband der Deutschen Urologen, die Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO), die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG), die Deutsche Krebshilfe e.V. (DKH), die Bundesar­beitsgemeinschaft Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. (BPS), der Arbeitskreis Labordiagnostik der Deutschen Urologen sowie die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft (AWMF) – also alle wichtigen Fachgesellschaften auf diesem Gebiet – im interdisziplinären Konsens einen Leitlinienkatalog zur PSA-Bestimmung in der Prostatakarzi­nomdiagnostik erarbeitet:

  • Das Eintrittsalter in die jährliche Früherkennung liegt bei 50 Jahren.
  • Eintrittsalter bei familiärer Belastung liegt bei 45 Jahren.
  • Eine letzte Früherkennung erfolgt mit 75 Jahren, bei steigender Lebenserwartung später.
  • Die digital-rektale Palpation allein ist keine Früherkennungsuntersuchung, sie wird durch die Bestimmung des PSA-Wertes ergänzt.
  • Vor der PSA-Wert-Bestimmung ist die Aufklärung über nachfolgend notwendig werdende Maßnahmen wie Biopsie der Prostata, die Behandlung und deren Risiken notwendig.
  • Ein erhöhter PSA-Wert muss vor einer weiteren Diagnostik kontrolliert werden. Fehlerquel­len in der Prä-Diagnostik und Analytik sind zu beachten und auszuschließen.
  • Der Schwellenwert von 4,0 ng/ml wird z.Zt. als Indikation zu einer weiteren Abklärung mit einer Biopsie unter sonographischer Kontrolle und Antibiotikaschutz gesehen.
  • Stanzbiopsien werden in den bekannt häufigsten Tumorregionen, vorwiegend also lateral vorgenommen.
  • Die Anzahl der Biopsien ist abhängig von dem durch transrektale Sonographie ermittelten Volumen der Prostata, beträgt aber mindestens 6 Biopsien. Eine höhere Zahl verbessert die Diagnose eines Karzinoms.
  • Bei nicht eindeutigem oder zweifelhaftem bioptischen Befund, fehlendem Karzinomnach­weis bei gleichbleibendem oder steigendem PSA-Wert, einer High Grade PIN (prostatische intraepitheliale Neoplasie) oder einer ASAP (atypical small acinar proliferation), wird eine Rebiopsie mit mindestens 6 Gewebeproben innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss aller intra-und extraprostatischen Störfaktoren vorgenommen.

Durch eine solche Untersuchung kann der Tumor im heilbaren Stadium entdeckt werden. Der PSA-Wert kann bundesweit bestimmt werden. Der dafür notwendige Bluttest ist zumut­bar. Die Bestimmung des PSA-Wertes zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand unverzichtbar. Die Bevölkerung soll unbedingt über diese Möglichkeit der Früherkennung informiert werden. [18]

Vorrangiges Ziel des Nationalen Krebsplans ist aber lediglich, die bestehenden Programme zur Früh­erkennung des Gebärmutterhals-und Darmkrebses organisatorisch weiterzuentwickeln. Trotz der hohen Erkrankungsrate und der schlechten Diagnosemöglichkeiten ist die Verbesserung der Früher­kennung von Prostatakrebs KEIN Ziel des nationalen Krebsplans 2008. [19]

Bei der operativen Behandlung von Prostatakrebs gibt es seit einiger Zeit eine Weiterentwicklung. Die roboterassistierte Da Vinci [®] Prostatektomie soll die Weiterentwicklung der konventionellen Laparos­kopie darstellen. Hierbei handelt es sich um eine minimal invasive OP-Technik zur Entfernung der Prostata. [20]

Hodenkrebs
Hodenkrebs ist eine weitere Krebserkrankung, die nur bei Männern auftreten kann. Interessant ist, dass das Hodenkrebsrisiko mehrere Maxima aufweist und nicht exponentiell zunimmt, wie üblich bei Krebsrisiken. Das erste Maximum steigt schon ab der Volljährigkeit steil an.

Fallzahlen bei Hodenkrebs abhängig vom Alter. Die Daten sind aus dem Krebsatlas aus Heidelberg, Abruf 2008

Die verschiedenen Maxima kommen dadurch zustande, dass es verschiedene Arten von Hodenkrebs gibt, deren Auftreten alterstypisch ist. Die Untersuchung der äußeren Genitalien durch den Arzt ist eine gesetzliche Sozialleistung. Fatal ist jedoch, dass diese erst ab 45 als Kassenleistung gilt und damit viel zu spät einsetzt. Durch Tastuntersuchung können aber junge Männer selber erkunden, ob es auffällige Veränderungen gibt. Das Problem ist nur, dass viele junge Männer das Problem und auch die Selbstuntersuchung gar nicht kennen und deshalb gar nicht auf die Idee einer solchen Selbstuntersuchung kommen. Dazu ein Zitat [21]:

Eine aktuelle Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts hat eine Verdoppelung der Er­krankungszahl seit 1980 ergeben. Betroffen sind überwiegend junge Männer zwischen 20 und 35 Jahren. Besonders sie sollten ihre Hoden regelmäßig abtasten. Jede Schwellung muss vom Arzt abgeklärt werden. Hodenkrebs ist heute zu 90 Prozent heilbar – je früher er erkannt wird, desto größer ist die Heilungschance.

MANNdat hat früher schon angeregt, jungen Männern ab 18 beim ersten Besuch des Arztes eine Info zu Hodenkrebs und dessen Selbstuntersuchung zu geben. Der Vorschlag wurde aber nie aufgegrif­fen. Auch bei den Krankenkassen wird nur selten auf die Problematik des frühen Maximums hinge­wiesen.

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