Bildungspolitische Benachteiligung von Jungen als Frauenfördermittel

von Manndat

5. Die Bundesbildungspolitik versucht sich ihrer Verantwortung zu entziehen

Die Regierungsfraktion aus CDU/CSU und FDP hat 2011 einen Antrag Drs. 17/5494 zur Jungenförderung, der noch im gleichen Jahr vom Bundestag angenommen wurde, eingereicht. Darin hieß es u.a.: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,…sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass diese geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Lesekompetenz der Jungen zu stärken und ihr Leseengagement weiter zu erhöhen“.

Auf unsere Anfrage zum Stand der Umsetzung des Antrags, teilte uns Frau Dr. Icken, Leiterin des Referats für Jungen- und Männerpolitik im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im Jahr 2013 mit, dass keine relevanten geschlechterspezifischen Unterschiede im Lesen vorhanden seien, die eine spezielle Jungenleseförderung sinnvoll erscheinen lassen würde.

Der Leiter des OECD-Büros in Berlin, Heino von Mayer, bestätigte uns darauf nach Anfrage mit Schreiben vom 14. Februar 2014 nochmals, dass es entgegen der Ausführungen von Frau Icken durchaus erhebliche geschlechterspezifische Lesekompetenzunterschiede gäbe. Die OECD führt die PISA-Studien durch, mit denen alle drei Jahre die Schulleistungen der Schüler in den OECD-Ländern verglichen werden.

Weiterhin legte Herr von Mayer dar:

„Ich kann Ihnen ferner versichern, dass unsere Bildungsexperten auch in Interviews betont haben, dass das Geschlechtergefälle bei den Leseleistungen der Jungen genauso problematisch ist, wie bei den Mathematikkenntnissen der Mädchen. Falls das von Vertretern der Bundesregierung nicht anerkannt wird, ist das traurig, hätte aber mit den Ergebnissen der PISA-Studie und deren Kommunikation nichts zu tun.“

MdB Patricia Lips (CDU/CSU) – die einzige Bundespolitikerin, die auf unsere Anfrage antwortete – hat uns auf unsere Anfrage zur Jungenbildungsförderung mit Mail vom 14.September 2014 in ihrem Namen antworten lassen:

„Die von Ihnen angesprochene Förderung von Jungen in Schulen halten wir für wichtig. Wie Sie aber wissen, haben wir im Bund nicht die Kompetenz für Angelegenheiten der Schule, die allein Ländersache sind. Denn es geht Ihnen ja um die die Altersgruppe der Schüler/Jugendlichen. Daher möchten wir keine Aussagen außerhalb unserer Zuständigkeit hier treffen.“

Tatsache ist jedoch, dass sich die Bundesregierung sich schon seit Jahrzehnten im Bereich der Mädchenbildungsförderung im MINT-Bereich, auch in Altersstufen der Schüler/Jugendlichen sehr intensiv engagiert. Beispiele hierzu:

Die Bundesregierung fördert weiterhin folgende Mädchen-MINT-Projekte:

  • Smart Girls
  • JOB Werkstatt Mädchen des Technischer Jugendfreizeit- und Bildungsverein e.V. (tjfbv)
  • MINT Role Models
  • tasteMINT

Das sind alles Förderprojekte für Schülerinnen, also für die Klientel, für die die Bundespolitik angeblich nicht zuständig wäre. Trotzdem engagiert sie sich in der Bildungsförderung von Mädchen. Die Bundesregierung könnte sich also auch durchaus auch in der Jungenbildungsförderung engagieren, wenn sie es denn wollte.

Zudem gibt es den o.g. Jungenförderauftrag, einschließlich Kooperation bei der Jungenleseförderung, aus dem vom Bundestag mit Drucksache 17/5494 verabschiedeten Beschluss zur Jungenförderung, den bislang das Bundesjugendministerium weder unter Frau Schröder noch unter Frau Schwesig umgesetzt hat.

Die Bundespolitik ist außerdem mit zuständig für die Hochschulen und damit auch für die Ausbildung der Lehrkräfte. Und Stichproben zeigen, dass auch heute frisch ausgebildete Lehrkräfte kaum Ahnung von Jungenbildungsförderung haben.

Die mangelnde Jungenbildungsförderung liegt also ausschließlich am „nicht wollen“ und nicht etwa am „nicht können“.

6. Wo Jungen Nachteile haben, wird das Kriterium „Geschlecht“ ausgeblendet

Ein wichtiger Hinweis für die Erklärung, warum die Bildungspolitik Jungen in der geschlechterspezifischen Förderung vernachlässigt, gibt uns die Antwort von MdL Heiner Scholling von Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag. Er meint:

„Ein genauerer Blick zeigt allerdings auch, dass die Jungen keineswegs eine homogene Gruppe darstellen. Ein Teil der Jungen zeigt durchaus vergleichbare Leistungen und erlangt genauso  hohe Abschlüsse wie Mädchen.“

Eine Argumentation, die wir sehr häufig antreffen. Und tatsächlich hat er damit auch recht. Drei Faktoren zeigen die PISA-Studien gerade in Deutschland immer wieder auf. Bildungserfolg hängt ab von

  • Geschlecht
  • sozialer Stellung der Eltern
  • Migrationshintergrund

Was Herr Scholling aber nicht erwähnt hat, ist, dass nicht nur die Jungen sondern auch die Mädchen keineswegs eine homogene Gruppe darstellen. Und trotzdem gibt es eine Vielzahl von Mädchenbildungsförderprojekten, aber keine Jungenbildungsförderprojekte. Und das ist ein genereller Unterschied, wie er in der Geschlechterpolitik insgesamt zu beobachten ist. Dort wo Mädchen schlechtere Quoten aufweisen (also z.B. im MINT-Schulbereich), wird der Fokus auf „Geschlecht“ oder, wie es neudeutsch heißt, „Gender“ gesetzt und die Bereiche Migrationshintergrund und sozialer Hintergrund werden bestenfalls nachrangig betrachtet. Dort, wo jedoch Jungen die schlechteren Quoten aufweisen, wird „Geschlecht“ oder „Gender“ nahezu vollständig ausgeblendet, selbst wenn hier die größten geschlechterspezifischen Unterschiede auftreten, wie z.B. bei der Lesekompetenz und der Fokus auf Migrationshintergrund und sozialem Status gelegt.

Dies stellt eine systematische Ungleichbehandlung dar. Die Bildungspolitik fungiert hier als geschlechterpolitischer Polarisator und sorgt mit diesem Prinzip der Jungenmarginalisierung dafür, dass Jungen bei Bildungsfördermaßnahmen immer benachteiligt bleiben.

Hier ist jetzt kein Platz das Für und Wider der geschlechterpolitischen Strategie Gender Mainstreaming zu beleuchten. Unsere Untersuchung zeigt aber, dass die politisch Verantwortlichen, diese von ihnen propagierte geschlechterpolitische Strategie, nach der ja die geschlechterspezifischen Belange beider Geschlechter gleichberechtigt berücksichtigt werden sollen, selber nicht wirklich ernst nehmen. Es dient vielmehr als Mittel zum Zweck, das dort als Argument genannt wird, wenn es zufällig in die politisch gewünschte Richtung zeigt. Dort wo es nicht dem politischen Willen dienlich ist, dort wo es vielleicht sogar unbequem werden könnten lassen es die politisch Verantwortlich einfach unter den Tisch fallen.

Charakteristisch dafür sind nicht nur die Bildungsstatistiken, die geschlechterspezifisch ausschließlich Mädchendaten, nicht jedoch Jungendaten ausweisen. Auch in den Antworten wird dies immer wieder deutlich. So schrieben die SPD-Bildungspolitiker aus Schleswig-Holstein unter Führung von Beate Raudies in ihrer Rückantwort dreimal so viel über die Nachteile von Mädchen in der Mathematik als über die Nachteile von Jungen in der Lesekompetenz, obwohl wir speziell nach Jungenförderung gefragt haben, und obwohl die geschlechterspezifischen Unterschiede zuungunsten der Jungen in der Lesekompetenz um das Dreifache höher sind als die Unterschiede zuungunsten der Mädchen in Mathematik.

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