Bildungspolitische Benachteiligung von Jungen als Frauenfördermittel

von Manndat

Vergleich zu unserer Studie aus 2008

Im Jahr 2008 hatten wir die verschiedenen Bildungsministerien von Bund und Ländern angeschrieben und nach Jungenbildungsförderung gefragt. Die Ergebnisse sind in unserer damaligen Studie „Berücksichtigung jungenspezifischer Belange in den für Bildung zuständigen Ministerien in Deutschland“ zu lesen. Ein Vergleich mit den damaligen Ergebnissen zeigt ein deutlich verringertes Interesse an der Bildungssituation von Jungen.

Damals war der Rücklauf deutlich besser mit 12 von 17 angeschriebenen Ministerien. Seinerzeit war immerhin die Erfordernis einer konkreten Förderung im Bereich Lesen zu erkennen. Daraus geworden ist allerdings nicht viel, wie die jetzige Erhebung zeigt. Auf das Thema „Leseförderung von Jungen“ gingen damals 35% konkret ein. Zwei Ministerien (12%) erwähnten damals eine Sprachförderung von Jungen, allerdings ging damals kein einziges Ministerium auf die Motorikproblematik von Jungen ein. Auf die Frühförderung bei Jungen geht in der neuen Analyse lediglich eine Antwort (2%) ein.

Berlin gab 2008 immerhin zu, das Thema bis dahin vernachlässigt zu haben. Daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, diesmal gab es noch nicht einmal mehr eine Antwort aus Berlin.

In 24% der Ministerien wurde seinerzeit das Thema „Männer in Kindergarten/Schule“ aufgegriffen. Heute beschäftigt sich nur noch eine Antwort (5%) mit diesem Thema.

Schon damals ging kein einziges Ministerium auf die Ungleichbehandlung von Jungen (schlechtere Noten bei gleichen Kompetenzen; seltenere Empfehlung auf höhere Schulen bei gleichen Noten) ein.

Als Hauptproblem erwies sich seinerzeit, dass die Ursachen für die Benachteiligungen von Jungen von offiziellen Stellen nicht erforscht werden. Das hat sich bis heute nicht geändert. Anstatt einer objektiven Ursachenerforschung wird die Bildungssituation von auf die Rollenbilddiskussion reduziert.

Damals formulierten wir:

„Die Glaubwürdigkeit von Geschlechterpolitik wird sich dran messen lassen müssen, inwieweit sie bereit ist, sich auch den Benachteiligungen von Jungen zu stellen.“

Auswertung der Antworten

1. Kollektive Gleichgültigkeit an der Bildungssituation von Jungen

Wir weisen hier nochmals darauf hin, dass wir die konkreten bildungspolitischen Fachleute der jeweiligen Bundesländer angeschrieben haben. Diese Leute entscheiden über die Bildung unserer Kinder und haben damit einen wesentlichen Einfluss auf die Bildungskarriere und Zukunftsperspektiven unserer Kinder. Der Großteil dieser bildungspolitisch Verantwortlichen ist nicht in der Lage eine fachlich fundierte Auskunft auf eine sachliche Anfrage zu ihrem Spezialgebiet zu geben.

Unabhängig davon, dass diese extrem schlechte Rücklaufquote eine äußerst fragwürdige Einstellung der Bildungspolitiker zu den Bürgern vermuten lässt, zeigt dieser schlechte Rücklauf allein schon ein ausgeprägtes Desinteresse der bildungspolitisch Verantwortlichen an der Bildungssituation von Jungen. Die bildungspolitisch Verantwortlichen tragen nach Artikel 7 Absatz 1 des Grundgesetzes die Verantwortung für das zunehmend geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen. Darin heißt es: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“.

Bremen ist zwar sicher nicht repräsentativ für die Bildungspolitik in ganz Deutschland, wohl aber sehen wir die Antwort  von Herrn Jan Klepatz (Wissenschaftlicher Referent für Bildung und Beiräte) im Namen des bildungspolitischen Sprechers der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Herrn Dr. Thomas vom Bruch, vom 5.9.2014 charakteristisch für die Bildungspolitik insgesamt beim Thema „Bildungssituation von Jungen:

„Unser übergeordnetes bildungspolitisches Ziel ist es, dass jedem Kind passgenau die individuelle Förderung zuteil wird, die es auch benötigt. Dies hat unabhängig vom sozialen Status, einer möglichen Migrationserfahrung oder einem sonderpädagogischen Förderbedarf und eben vom Geschlecht des jeweiligen Kindes zu erfolgen. Bei Wahrung dieser Maxime, ergibt sich nach unserer Einschätzung aktuell kein eigenständiger, weitergehender Handlungsbedarf in Bezug auf eine geschlechterspezifische Bildungsförderung im Land Bremen.“

Obwohl in Bremen

  • die männliche Jugendarbeitslosenquote um 28% höher als die weibliche (Stand 2012) ist,
  • die Abiturabschlüsse der Jungen relativ um 24% niedriger sind als die der Mädchen (Stand 2011),
  • der Anteil der männlichen Jugendlichen ohne Schulabschluss dafür um 56% höher ist (Stand 2011),
  • sich die geschlechterspezifische Differenz der Abiturabschlüsse von 1995 zu 2011 sich in Bremen um das 2,6-fache vergrößert hat,

sehen die bildungspolitisch Verantwortlichen keinen Handlungsbedarf an geschlechterspezifischer Förderung. Würden die gleichen Bildungspolitiker ebenso keinen Handlungsbedarf sehen, wenn das geschlechterspezifische Bildungsgefälle dermaßen zuungunsten der Mädchen existieren und sogar noch zunehmen würde? Das ist ausgeschlossen.

Hierzu passt, dass bei unserer Anfrage im Jahr 2012 zu Jungenleseförderprojekten beim hessischen Bildungsministerium das Projekt der Landesstiftung in Hessen „Kicken&Lesen“ noch nicht einmal bekannt war, was noch einmal das Desinteresse der Bildungspolitik an Jungenbildungsförderung unterstreicht.

Die Bildungspolitiker, die laut Grundgesetz die Verantwortung für das geschlechterspezifische Bildungsgefälle tragen, dulden also zumindest die Ungleichheit zuungunsten der Jungen.

 2. Keine Jungenleseförderprojekte

 Auch 14 Jahre nachdem die OECD im Rahmen ihrer ersten PISA-Studie Jungenleseförderung als wichtige „bildungspolitische Herausforderung“ formulierte, gibt es außer dem Informationsflyer für Eltern und Lehrer in Sachsen kein einziges Jungenleseförderprojekt durch ein Bildungsministerium. 

3. Benachteiligung von Jungen bei der Bildungsförderung

Der Mangel an Jungenleseförderprojekten wäre nur dann eine Ungleichbehandlung, wenn es umgekehrt auch keine speziellen Mädchenbildungsförderprojekte geben würde. Dem ist aber bekanntermaßen nicht so. 94 staatlich initiierte und geförderte Mädchen-Bildungsfördermaßnahmen haben wir in unserer Studie „Stand der Jungenleseförderung in den Bundesländernaus dem Jahr 2012 feststellen können. Die bildungspolitisch Verantwortlichen gewähren Jungen also weitaus weniger Hilfe und Unterstützung als Mädchen, obwohl das geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen diese Benachteiligung nicht rechtfertigt.

4. Stand der Wissenschaft zur Jungenleseförderung bleibt unberücksichtigt

Die internationalen Fachleute im Bereich Lesekompetenz sind sich einig. Die Grundlage einer erfolgreichen Jungenleseförderung ist die geeignete Lesemotivation, d.h. dass man bei der Auswahl von Literatur die Leseinteressen von Jungen stärker berücksichtigt. Als Beispiel seien hier Frau Prof. Grabe von der Universität Köln (vgl. Handbuch für Jungenpädagogik, Beltz-Verlag, S. 289 „»Echte Kerle lesen nicht? Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss“) oder die finnische Spezialistin in Sachen Lesekompetenz (die u.a. auch an den PISA-Studien mitgearbeitet hat), Sari Sulkunen (vgl. hier Interview von www.jungenleseliste.de mit Frau Sari Sulkunen).

Keine einzige politisch verantwortliche Person ging konkret auf den Stand der Wissenschaft zur Jungenleseförderung ein.

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Lesermeinungen

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    • By Dr. Bruno Köhler

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