Bildungspolitische Benachteiligung von Jungen als Frauenfördermittel

von Manndat

7. Individuelle Förderung zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Der Großteil der bildungspolitisch Verantwortlichen macht es sich einfach, indem sie sich auf das Konzept der „individuellen Förderung“, manchmal auch als „binnendifferenzierenden Unterricht“ oder „passgenaue Förderung“ bezeichnet, jedes einzelnen Kindes zurückziehen. Individuelle Förderung wäre selbstverständlich die optimale Lösung. Aber sie ist nur ein Idealfall, von dem die schulische Praxis aber noch sehr weit entfernt ist.

Es liegt uns keine repräsentative Studie zur individuellen Förderung in Schulen vor. Wenn wir aber die Erfahrungen der Väter und Mütter unseres gemeinnützigen Vereins betrachten, dann ist diese „individuelle Förderung“ in der Praxis zumindest sehr fragwürdig. Der Autor dieses Berichtes selbst hat als Vater und Elternvertreter vier verschiedene Schulen (Grundschule, Gymnasium, sonderschulpädagogische Grundschule und sonderschulpädagogische Realschule) kennengelernt. Vor diesen vier kann man nur einer einzigen eine individuelle Förderung bescheinigen. Bei einer anderen bestand die „individuelle Förderung“ in je einer Zusatz-Mathematik-Stunde und einer Zusatz-Deutsch-Stunde pro Woche pauschal für alle, die in diesen Fächern schlechte Leistungen erbracht haben. Diese Stunden musste sich die Schule selber zusammenbasteln, indem sie die normale Schulstunde von 45 auf 40 Minuten kürzte und diese Zusatzstunden waren natürlich die ersten, die bei Lehrkraftmangel gestrichen wurden. Wie gesagt, dies ist nicht repräsentativ, zeigt aber, dass wir von einer „individuellen Förderung“ noch weit entfernt sind. Und dies wiederum zeigt, dass viele bildungspolitisch Verantwortliche die Situation in den Schulen sehr unrealistisch einschätzen.

Das gleiche Bild ergibt sich auch bei AD(H)S. Obwohl dieses Krankheitsbild durchaus relevant für Schulen ist, hat die Erfahrung gezeigt, dass von den vier Schulen nur eine einzige sinnvolle Konzepte für den Umgang mit Kindern mit AD(H)S hatte.

Das geschlechterspezifische Bildungsgefälle dürfte es zudem bei einer wirklichen individuellen Förderung nicht geben. Jungenfeindliche Sexismen sind zwar heute durchaus auch politisch en vogue, wenn z.B. Jürgen Trittin in Jungen pauschal das unbegabtere Geschlecht sieht oder wenn die Bundeskanzlerin daselbst Jungen pauschal weniger Fleiß bescheinigt. Aber es ist nicht bewiesen, dass Jungen die dümmeren Kinder wären.

Außerdem zeigt gerade die Vielzahl von Mädchen-MINT-Förderprojekten, dass es die vielbeschworene individuelle Förderung nicht gibt. Im MINT-Bereich wird nicht nach individuellem Förderbedarf gefördert, sondern geschlechtsteilabhängig. Jungen, die in diesen Bereich auch eine Förderung bräuchten, werden kurzerhand zurückgelassen.

Tatsache ist auch, dass die pädagogischen Erkenntnisse von Lesekompetenzfachleuten aus verschiedenen Ländern (Erhöhung der Lesemotivation; vergleiche Punkt 4) bislang kaum Berücksichtigung in der Bildungspolitik finden. Stattdessen konzentriert sich auch die Bildungspolitik bei Jungen auf Sozialisation, was nicht einer individuellen Förderung entspricht.

Diese Darlegungen zeigen, dass der Verweis der bildungspolitisch Verantwortlichen auf eine „individuelle Förderung“ zumindest äußerst fragwürdig ist.

8. Mädchen fördern ohne Rücksicht auf Jungen

MdL Bettina Brück (CDU) listet in ihrer Antwort als einzige Bildungspolitikerin konkrete Jungenfördermaßnahmen an Schulen auf. Zudem legt sie dar:

„Schon im Grundschulalter können Schulen mit einem Bündel von organisatorischen Maßnahmen, ausgeprägter pädagogischer Flexibilität und der stärkeren Einbeziehung männlicher Bezugspersonen auch von außerschulischen Partnern in das Schulleben Jungen fördern, ohne Mädchen zu benachteiligen.“

„Jungen fördern, ohne Mädchen zu benachteiligen“ ist eine häufig genannte Prämisse. Das ist grundsätzlich fair und gerecht. Frau Brück nennt deshalb konsequent zu jedem Jungenfördermaßnahmen die entsprechenden Mädchenfördermaßnahmen.

Der entscheidende geschlechterspezifische Unterschied besteht aber darin, dass es umgekehrt bei der Mädchenförderung eine solche Prämisse nicht gibt. Hier wird keine Rücksicht auf Jungen genommen. Für die vielfältigen Mädchenförderprojekte im MINT- Bereich können deshalb auch keine analogen Jungenförderprojekte genannt werden. Selbst der Girls`Day wird in Rheinland-Pfalz, zusammen mit Bremen eines der beiden einzigen Bundesländer, immer noch als reiner Mädchen-Zukunftstag geführt, während dieser in anderen Ländern längst zu einem Girls´& Boys`-Day weiterentwickelt wurde.

Durch diese ambivalente Geschlechterförderung – einerseits keine Jungenförderung ohne entsprechendes analoges Projekt für Mädchen, aber andererseits Mädchenförderprojekte ohne entsprechende Projekte für Jungs – resultiert natürlich wieder unterm Strich eine Benachteiligung von Jungen.

9. Talent- und Begabungsverschwendung werden in Kauf genommen

Unabhängig von der individuellen Benachteiligung von Jungen hat die Vernachlässigung von Jungen auch volkswirtschaftliche Auswirkungen. Bildung ist der wichtigste volkswirtschaftliche Faktor für Deutschland. Durch die Untätigkeit der bildungspolitisch Verantwortlichen in der Jungenbildungsförderung werden Begabungen und Talente bei Jungen nicht ausreichend gefördert und allgemeinwohldienlich genutzt. Damit bekommen die alltäglichen Klagen von Politik und Wirtschaft wegen eines angeblichen Fachkräftemangels eine ganz neue Bedeutung.

10. Benachteiligung von Jungen wird akzeptiert.

Verschiedene Studien, wie z.B. die Hamburger Lau-Studie, die von Maaz, Baeriswyl und Trautwein (2011) erstellte Studie “Herkunft Zensiert?” oder die Studie von Heike Diefenbach (2007) „Die schulische Bildung von Jungen und jungen Männern in Deutschland“ belegen, dass Jungen bei gleichen schulischen Leistungen schlechtere Noten als Mädchen erhalten. Die bildungspolitisch Verantwortlichen nehmen diese Feststellungen lediglich stillschweigend zur Kenntnis. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weigert sich, etwas dagegen zu tun, weil sie sich für nicht zuständig hält. Würden die bildungspolitische Verantwortlichen ebenfalls die Ergebnisse lediglich stillschweigend zur Kenntnis nehmen und würde die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ebenfalls nichts tun, wenn die Ergebnisse umgekehrt die Benachteiligung von Mädchen ergeben hätte? Das ist auszuschließen.

Wird die gesetzliche Frauenquote das Zurücklassen von Jungen forcieren?

Wir haben festgestellt: Jungen machen seltener Abiturabschlüsse und sind häufiger unter den Schulabbrechern als Mädchen. Zudem werden Jungen durchschnittlich später eingeschult, bleiben häufiger sitzen, müssen bessere Leistungen erbringen, um dieselben Grundschulempfehlung zu erhalten wie Mädchen. Trotzdem werden Jungen von der Bildungspolitik weitaus weniger gefördert und unterstützt als Mädchen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Die PISA-Studien zeigen, dass die geschlechterspezifischen Kompetenzunterschiede nur dort zurück gehen, wo sie zuungunsten der Mädchen ausfallen. Dort wo sie zuungunsten der Jungen ausfallen nehmen sie stetig zu. Obwohl dem Staat und damit speziell der Bildungspolitik nach Artikel 7 des Grundgesetzes die Kontrolle über das Schulwesen obliegt und damit die bildungspolitisch Verantwortlichen für das existierende geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen verantwortlich sind, wird von deren Seite nichts Effektives getan. Das lässt darauf schließen, dass dieses geschlechterspezifische Bildungsgefälle zuungunsten der Jungen kein Zufall, sondern bildungspolitischer Wille ist.

Für Deutschland ist Bildung einer der wichtigsten volkswirtschaftlichen Faktoren. Warum also vernachlässigen die Bildungspolitiker ihre Verantwortung gegenüber Jungen und warum wird von Politik und Gesellschaft diese Talent- und Begabungsverschwendung akzeptiert? Wer ist der Nutznießer dieses geschlechterspezifischen Bildungsgefälles?

Als einzige Nutznießerin dieser geschlechterspezifischen Bildungsbenachteiligung von Jungen ist eine Form von Frauenpolitik, die meint, Mädchen können nur gewinnen, wenn Jungen verlieren. So hat die Soziologin Marianne Grabrucker schon 1985, also vor gut 30 Jahren in ihrem Werk „Typisch Mädchen“, das auch heute noch zu einem Standardwerk von Gendertheoretikern gilt, dargelegt:

„[…]die Anerkennung der Mädchen kann nur auf Kosten der kleinen Buben geschehen.“

2003, zwei Jahre nach Bekanntwerden der Ergebnisse der ersten PISA-Studie 2000, meint Waltraut Cornelißen, damals Leiterin der Abteilung Geschlechterforschung und Frauenpolitik am Deutschen Jugendinstitut in München, dass eine „Feminisierung“ des Schulwesen durchaus die sprachliche Entwicklung von Jungen hemmen könne. Aber das sei nach ihrer Meinung aus Gründen der Frauenförderung notwendig. (Quelle: Neutzling, R. (2005): Besser arm dran als Arm ab. In: Rose, L./Schmauch, U. (Hrsg.): Jungen – die neuen Verlierer? Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, S. 75).

Unabhängig davon, ob diese Aussage stimmt, sie zeigt, dass die Benachteiligung von Jungen im Bildungswesen als gerechtfertigte Maßnahme zur Frauenförderung angesehen wird und zwar von einer politisch einflussreichen Stelle. Das Deutsche Jugendinstitut berät die Bundesregierung zur Jugendpolitik.

Zehn Jahre später, 2013, forderte Hildegard Matthies:

„Wer mehr Frauen an der Spitze will, sollte Mädchen fördern.“ (Quelle: WZBrief Bildung 27 | Dezember 2013)

Dies sei das Ergebnis Ihrer Studie „Exzellenz und Geschlecht in Führungspositionen der Wissenschaft und Wirtschaft“. Tatsächlich forderte sie aber in der Studie Patenschaftsmodelle für Kinder oder Mentoring-Programme für Schüler/-innen (also unabhängig von Geschlecht!). (Quelle: http://sciencefiles.org/tag/wer-mehr-frauen-an-der-spitze-will-sollte-madchen-fordern/ 2.12.2014)

Hier haben wir ein Beispiel, wie Studienergebnisse, die für beide Geschlechter von Nutzen sein könnten, politisch einseitig nur in Mädchenförderung enden.

Aber die Studie von Frau Matthies zeigt noch mehr. Sie wurde nämlich gefördert mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und – man höre und staune – des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, also dem Ministerium, das behauptet, für Bildungsförderung von Mädchen oder Jungen gar nicht zuständig zu sein.

Hier zeigt sich auch nochmals deutlich, was oben schon ausgeführt wurde, nämlich, dass die fehlende Jungenbildungsförderung durchaus nicht an der mangelnden Zuständigkeit sondern am mangelnden Willen liegt.

In Kürze wird in Deutschland die gesetzliche Frauenquote eingeführt. Zwar meint Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD):

„Die Geschichte, dass es nicht genug Frauen gibt, die können wirklich nur Leute erzählen, die geistig im letzten Jahrhundert hängen geblieben sind.“

(Quelle: „Frauenquote für Aufsichtsräte“: Beitrag vom 26.11.2014 im Deutschlandfunk; im Internet unter http://www.deutschlandfunk.de/bundesregierung-frauenquote-fuer-aufsichtsraete.1818.de.html?dram:article_id=304351; Abruf 4.12.2014)

Trotz diesem, von einem Minister sehr unpassenden und selbstgefälligen Versuch, Kritiker an der Frauenquote moralisch zu stigmatisieren, lassen sich aber auch Fachleute nicht davon abhalten, sofort nach Bekanntwerden der Einführung der Frauenquote den Mangel an geeigneten Frauen für Führungspositionen zu beklagen, so z.B. die Headhunterin Christina Virzí, die im Spiegel-Artikel der Ausgabe 49/2014 „Wir müssen Frauen aus dem Ausland holen” eben diesen Mangel beklagt, der nach Meinung von Justizminister Maas nur von geistig hängen gebliebenen Menschen stammen kann.

Wenn man diese Entwicklung betrachtet, ist es durchaus realistisch zu befürchten, dass die gesetzliche Frauenquote als weitere Absolution der bildungspolitisch Verantwortlichen für deren Vernachlässigung von Jungen im Bildungswesen dienen wird und Jungen im Bildungsbereich noch stärker zurückgelassen werden als bisher. Die Geschlechterpolitik hat dafür schon vor Jahren das Paradebeispiel eines Euphemismus geschaffen – die „positive Diskriminierung“.

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